Welchen Einfluss hatten Lobbyisten auf die bevorstehende EU-Datenschutzverordnung? Ihr habt gespendet, wir haben gearbeitet: In den nächsten Tagen werden wir detailliert auflisten, welche Länder, Parteien und EU-Abgeordnete den Datenschutz ihrer Bürger den Wirtschaftsinteressen geopfert haben.

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von Marco Maas, Martin Virtel, Sebastian Vollnhals, Andrej Sandorf, Richard Gutjahr

Wie Politiker gekauft umworben werden

Es gibt EU-Parlamentarier, die setzen sich für einen besseren Datenschutz in Europa ein. Und dann gibt es Abgeordnete wie Séan Kelly. Der Ire ist vor einigen Tagen mit dem IAB Leadership Award ausgezeichnet worden. Eigentlich ein Grund zum Feiern, würde es sich bei diesem Preis nicht um den Gefälligkeitspreis eines Lobbyverbands handeln.

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Der Preis ist heiss

Der Dachlobbyverband IAB vertritt die Interessen von über 5.000 Unternehmen, darunter Microsoft, Ebay und Google. Jene Firmen, die an den Gesetzestexten zur EU-Datenschutzverordnung heimlich mitgeschrieben haben – und das mit tatkräftiger Unterstützung von Abgeordneten wie dem Konservativen Séan Kelly.

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EU-Parlamentsmitglied Séan Kelly nimmt in Barcelona einen Preis von der Lobbyistengruppe entgegen

Die Preisverleihung fand in einem Strand-Hotel im sonnigen Barcelona statt. Kelly wurde für die Sause extra eingeflogen – auf Einladung des Lobbyverbandes, versteht sich. Unrechtsbewusstsein? Fehlanzeige. Sichtlich stolz nimmt der EU-Abgeordnete die Trophäe entgegen und lässt sich von den Veranstaltern feiern für seine – Zitat: „Führungsrolle und Spitzenleistung in Anerkennung seines Beitrags für die öffentliche Debatte“.

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Brüssel kann so schön sein – Lobbyveranstaltung mit Preisvergabe in Barcelona / Quelle: flickr – Pressefotos von IABEurope

LobbyPlag meldet sich zurück

Als wir Anfang des Jahres LobbyPlag ins Leben gerufen haben, wussten wir nicht, worauf wir uns einlassen. Es begann mit einzelnen Fundstellen in Gesetzestexten, die offenbar 1 zu 1 aus Lobbypapieren stammten. Daraufhin programmierten wir eine Datenbank, um die laufenden Eingaben der EU-Parlamentarier mit den rund 15.000 Seiten Lobbymaterial abzugleichen, die uns vorlagen.

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Schnell merkten wir, dass wir mit dieser Methode zwar zahlreiche weitere Copy & Paste-Fundstellen zutage fördern konnten. Wir mussten aber auch feststellen, dass die Anzahl der übereinstimmenden Textpassagen nichts über die Tragweite der Änderungen aussagt. Oft sind es nur kleine Worte, manchmal nur Silben, die eine Vorschrift aushebeln oder gar ins Gegenteil kehren können.

Hinzu kommt, dass Politiker wie Lobbyisten durch unsere Veröffentlichungen gewarnt waren und offenbar auch schon Maßnahmen ergriffen haben, um sich beim Abschreiben nicht so leicht erwischen zu lassen. Interne Rundschreiben aus den EU-Abgeordnetenbüros verweisen auf LobbyPlag und die Berichterstattung, die sich vom deutschsprachigen Raum schnell auf ganz Europa ausgebreitet hat. Gesetzesvorschläge von Lobbyisten an Abgeordnete enthalten neuerdings explizit die Aufforderung: „Text bitte nicht kopieren!“

Die EU-Datenschutzverordnung besteht aus nahezu 100 Artikeln und nochmal so vielen Zusätzen. Grundlage ist ein Kommissionsentwurf von Januar 2012. Seitdem haben EU-Rat und Parlament die Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen. Die immense Bedeutung der Verordnung lässt sich an der Anzahl der Eingaben ablesen. Allein für den parlamentarischen Hauptausschuss sind über 3.100 Änderungswünsche eingegangen (so viele wie noch nie zuvor bei vergleichbaren Gesetzgebungsvorhaben). Einige dieser parlamentarischen Änderungswünsche stammen Wort für Wort aus der Feder von Lobbyverbänden und Konzernen.

Lobbyismus hat viele Gesichter

Vor allem aber mussten wir einsehen: Lobbyismus hat viele Gesichter. Mit dem bloßen Abgleichen von Textstellen würden wir lediglich einen winzigen Teil der tatsächlichen Einflussnahme abbilden können. Deshalb haben wir uns von unserem ursprünglichen Konzept verabschiedet und stattdessen damit begonnen, das Pferd von hinten aufzuzäumen – sprich: zu analysieren, welche Gesetzesänderungen bis dato das Rennen gemacht haben, wer sie eingebracht hat und wem sie am meisten nutzen.

Dadurch haben wir ein umfassenderes Bild darüber gewinnen können, wer innerhalb der EU den Datenschutz hoch hält und wer ihn wirtschaftlichen Interessen opfert.

Bei der EU-Datenschutzreform handelt es sich um eine der größten Gesetzesreformen seit Bestehen der EU. Anders als die aktuelle EU-Richtlinie, die 18 Jahre alt ist und damit quasi noch aus einer Zeit vor dem World Wide Web stammt, ist dieses Regelwerk für alle EU-Mitgliedstaaten bindend. Es tritt an die Stelle der jew. nationalen Datenschutzgesetze, 500 Millionen EU-Bürger sind unmittelbar davon betroffen. Für sie geht es um die Speicherung und Weitergabe persönlicher Daten. Für Internet-Konzerne, Datenhändler, Banken und Versicherungen geht es um Hunderte Milliarden Euro, da strenge Datenschutzvorgaben große Auswirkungen haben, gerade auf global operierenden Konzerne

Recherchetools für Journalisten und interessierte Bürger

Unsere Plattform soll auch Hilfestellung sein für Journalisten, die im Tagesgeschäft kaum die Zeit haben, tausende Seiten an Gesetzestexten durchzulesen, geschweige denn diese aus dem Stegreif bewerten zu können. Mit unserer Arbeit wollen wir mehr Transparenz in den Gesetzgebungsprozess in Brüssel bringen. Es soll ein Stück Infrastruktur liefern für weitere, individuelle Recherchen, anhand derer die Motive und Entscheidungen einzelner Volksvertreter unter die Lupe genommen werden können. Unsere Datenbanken stehen jedem offen, sollen auch in Zukunft laufend aktualisiert und verbessert werden.

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Ankündigung

In den nächsten Tagen werden wir auf lobbyplag.eu Visualisierungen zur Verfügung stellen, mit denen sich der aktuelle Stand der EU-Datenschutzverordnung mit Augenmerk auf folgenden Kriterien durchsuchen lässt:

  • Parlamentarierlobbyplag-preview
  • Fraktionen
  • Länder

die aktiv dazu beitragen, den Datenschutz in der EU zu stärken bzw. zu schwächen

  • “Battlegrounds” – die strittigsten Themen

Die Datenbank steht, sämtliche Verknüpfungen von Änderungsanträgen, EU-Abgeordneten, Partei- und Länder-Zugehörigkeiten sind erfolgt. Aktuell feilen wir noch an der grafischen Aufarbeitung. Ziel ist es, eine klare Wasserstandsanzeige abzugeben, wie es um den Datenschutz in Europa steht.

Spoiler Alert: Séan Kelly, Lobbyisten-Preisträger und Verhandlungsführer im Industrie- und Technik-Aussschuss (ITRE), gehört klar zum Lager derer, die den Datenschutz der EU-Bürger absenken wollen – es gibt aber einige Abgeordnete, die ihn mit ihren Forderungen deutlich übertreffen. Darunter auch einige Überraschungen.

Bald mehr.

In dieser Reihe erschienen:

LobbyPlag – Die Copy & Paste-Gesetzgeber aus Brüssel

Neues von LobbyPlag

LobbyPlag: Die Datenfänger von Gütersloh

Bertelsmann: Kindergärten angetestet

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9 Kommentare
  1. xx schreibt:

    In was für eine beschissene Welt wurde ich eigentlich reingeboren?
    War es früher besser, oder nur anders schlecht?

    • Andres Wittermann schreibt:

      Du darfst eines der folgenden Jahre wählen, um dorthin – und an Deinen Wohnort (ich nehme mal Deutschland an) gebeamt zu werden (das beantwortet dann vielleicht auch Deine Frage): 1350, 1630, 1914, 1939.

      • xx schreibt:

        Ich nehm 1914.. in den goldenen Zwanzigern konnte man wenigstens noch stilvolle Hüte tragen.

    • Ulli schreibt:

      Früher war es nur deshalb „scheinbar“ besser, weil der Bürger weniger wusste.

  2. […] Marco Maas, Martin Virtel, Sebastian Vollnhals, Andrej Sandorf und Richard Gutjahr, der zuerst auf “gutjahrs blog” unter der Lizenz CC-BY-SA erschienen ist. Welchen Einfluss hatten Lobbyisten auf die bevorstehende […]

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