Nach dem Blogpost zum Thema Datensammeln an Schulen haben sich Dutzende Betroffene, aber auch Mitarbeiter von Bertelsmann bei mir gemeldet. Sogar das von inmediaONE beauftragte Logistik-Unternehmen, das 10 Jahre zuständig war für die Beschaffung der Kinder-Adressen, gewährte mir ein paar neue Einblicke…
„Wir haben gerade einen Anruf des Magazins ‚Eltern‘ erhalten“ schreibt Daniel in seinem Blog. „Der nette Herr am Telefon hat uns zur Geburt unserer Tochter Lene gratuliert und möchte uns ein Abo verkaufen.“ Solche und ähnliche Erlebnisse erreichen mich Dutzende seit vorgestern, via Facebook, über Twitter, und per Mail.
Völlig Ahnungslos
In den meisten Fällen sind die Betroffenen völlig ahnungslos und können sich nicht erklären, woher Bertelsmann die Telefonnummer bzw. die Post-Adresse hat. Mehr noch: „Woher kennen die den Namen meiner Tochter?“
Die von Bertelsmann beauftragte WKV Direktvertriebs GmbH, die bis Ende 2012 für die Beschaffung der Kinder-Adressen zuständig war, weiß es genau. Allein in den vergangenen 4 Jahren habe man um die 4 Millionen Gutschein-Karten (siehe letzter Blogpost) gedruckt und verschickt, heißt es bei der Firma.
Kindergärten „angetestet“
Das Sammeln der Daten erfolge in Wellen, berichtet ein Mitarbeiter. Ein- bis zweimal im Jahr käme ein neuer Auftrag von der inmediaONE, dann heißt es, man brauche wieder 300.000 bis 400.000 Adressen.
32.000 Schulen in ganz Deutschland sowie in Österreich werden mit jeder Sammelaktion angeschrieben. Die Akzeptanz sei hoch, heißt es. Nur eine von 5 Bildungseinrichtungen lehne das Angebot für Gratisbücher ab.
In mindestens 2 Erhebungswellen habe man dabei auch Kindergärten „angetestet“. Das habe aber nicht sonderlich gut funktioniert. Bei den Schulen sei die Rücklaufquote mit 50-60 Prozent aller ausgegebenen Gutscheinkarten deutlich höher. Die Postkarten mit den Angaben zu den Schülerinnen und Schülern werden maschinell ausgelesen; jede Adresse mit einem Image-Scan hinterlegt, um den Eingang der Karte zu belegen.
„Wir wollen keine Familien abzocken“
Rund 30 Personen seien an einer solchen Sammelaktion 2-3 Monate beteiligt. Die daraus gewonnenen Adressen und Telefonnummern werden über ein spezielles Datenformat an die inmediaONE übergeben. „Was dann mit diesen Daten geschieht, entzieht sich unserer Kenntnis“, heißt es bei der WKV.
Weshalb die Logistikfirma den langjährigen Vertrag mit der inmediaONE gekündigt habe? Antwort: Man wolle in die „Machenschaften“ der Bertelsmann-Tochter nicht hineingezogen werden. Auf die Nachfrage, was denn genau mit „Machenschaften“ gemeint sei, bringt es der Mitarbeiter ziemlich deutlich auf den Punkt: „Wir wollen keine Familien abzocken.“
Alles unter einem Dach
Anstelle der WKV kümmert sich seit Anfang 2013 die Bertelsmann-Tochter AZ direct um das Sammeln der Kinder-Daten. Auf ihrer Web-Seite wirbt AZ direct u.a. damit, über Daten von über 40 Millionen Haushalten zu verfügen mit „mehr als 250 kombinierbaren Merkmalen, zum Beispiel zu Soziodemografie, Psychografie, Konsumeigenschaften und Lebensphasen“. Mit den Daten aus den Kindergärten und Schulen ist hierfür sicher ein guter Grundstein gelegt.
Bei der aktuell laufenden Datensammel-Aktion an Schulen in Deutschland/Österreich mit Produkten der Marke „Brockhaus“ handelt es sich laut Angaben von Bertelsmann wieder um eine „niedrige siebenstellige Auflage“.
Damit die Kinder im Internet auch ein bisschen Medienkompetenz lernen, habe ich mir erlaubt, das Schaubild „Wie kommen Adressenhändler an Kinder-Daten“ (JPG-Datei / Creative Commons) auf die Facebook-Seite des Kinder-Brockhaus / inmediaONE zu stellen.
Wem die Bildung von Kindern am Herzen liegt, der kann da eigentlich nichts dagegen haben, oder?
Richard Gutjahr gefällt das
Weitere Blogposts zum Thema:
„Selbst erlebt auf Elternabend: Lehrer machen Druck, alle Eltern sollen diese Zettel ausfüllen, damit man einen Klassensatz an Duden hat.“
Claudia
„Wir mussten das ausfüllen, dass alle Schüler auf dem gleichen Stand sind…. krass…“
Gianna
„Meine Tochter (7. Klasse Gymnasium) hatte den Gutschein letzte Woche auch dabei. Der kam dann umgehend in den Papiermüll – nach einigen Diskussionen.“
Sebastian
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Susanne
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Michael
„Ich bin im weiteren Umfeld von Bertelsmann tätig und weiß, dass ziemlicher Aufwand betrieben wird, um Adressen rechtskonform einzuwerben.“
Anonym
„Die Verwendung des Begriffes „Bertelsmann“ im Gespräch ist den Drückern übrigens in der Regel streng verboten.“
Steffen
Ich sollte wohl schockiert oder zumindestens überrascht sein, hm?
Willkommen im neoliberalen Kapitalismus.
Auch: Warum kannte ich diese Seite noch nicht?
Warum Sie die Seite noch nicht kannten? Die meinige? …Safe the best for last? ;-)