Wer, wo, was, mit wem? Ohne Vorratsdaten wären wir schon längst alle tot. Mindestens. Mit immer mieseren Tricks und Täuschungsmanövern versuchen CDU/CSU und SPD die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen.

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Schmutzige Tricks

„Politik und Überwachungslobby arbeiten gezielt mit der Konstruktion von Kausalitäten, wo keine nachweisbaren Zusammenhänge bestehen“ – mit diesem Satz bringt es Sascha Lobo in seiner aktuellen Spiegel-Online-Kolumne wieder einmal auf den Punkt. Wurde bislang stets der Kampf gegen Terrorismus und Kinderpornographie ins Feld geführt, griff SPD-Chef Sigmar Gabriel vergangene Woche zu einem besonders schmutzigen Trick, um die 180-Grad-Drehung der Genossen in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen.

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Sigmar Gabriel in der ARD

Da behauptet der designierte Vize-Kanzler doch tatsächlich ohne jedes Schamgefühl in einem TV-Interview: Nur durch die Vorratsdaten sei es in Oslo gelungen, den Amokläufer Anders Breivik so schnell zu identifizieren (ab Minute 7:00). Eine infame Lüge, um von schlechter Politik abzulenken, wie Kai Biermann bei Zeit Online schreibt – auf dem Rücken der 77 Opfer dieses Massakers.

„Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommuni- kationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter so- wie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen.“

Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD, 2013

Gezielte Täuschungsmanöver

Ich selbst habe bei TV-Interviews und als Moderator von Podiumsdiskussionen immer wieder erlebt, wie schnell Sicherheitspolitiker die Terror- oder die Kinderporno-Keule ziehen, um ihre Forderungen nach noch mehr staatlicher Kontrolle und einer flächendeckenden Überwachung unschuldiger Bürger zu begründen (Ja, liebe Kinder, einst galt man solange als unschuldig, bis einem das Gegenteil bewiesen wurde).

Eine gezielte Täuschung der Bevölkerung, denn wenn jemand die tatsächlichen Anlässe für das millionenfache Abfragen von Bestandsdaten oder gar das Anzapfen von Handys oder PCs kennt, dann doch die Innenminister und ihre Sicherheitsbehörden. Die Jagd auf Terroristen oder auf Kinderschänder spielt in der Praxis kaum eine Rolle:

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Totale Intransparenz

Bezeichnend übrigens, dass solche Statistiken von Bund und Ländern nicht offiziell bekannt gemacht werden. Pressemitteilung, grafische Aufbereitungen oder Erläuterungen, wie sie sonst in Berlin für jedes noch so fade Thema üblich sind, sucht man rund um die staatlichen Überwachungsmaßnahmen vergebens. Die Tabellen auf dieser Seite musste ich mir weitestgehend aus Excel-Tabellen selbst zusammen basteln.

Dass diese Zahlen überhaupt veröffentlicht werden, haben wir einem parlamentarischen Kuhhandel zu verdanken. 2007 wurden die Spitzelgesetze (Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen) ausgeweitet. Im Gegenzug dazu wurde die Veröffentlichungspflicht eingeführt. Zuvor war selbst das bloße Zahlenmaterial unter Verschluss und nur für Parlamentarier via schriftliche Anfrage einsehbar.

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Unkontrollierte Datenabfrage

In einer vorweggenommenen großen Koalition haben Union und SPD bereits im Frühjahr gemeinsam ein neues Gesetz zur Bestandsdatensicherung und zur Telekommunikationsüberwachung verabschiedet. Die SPD war damals auf die Forderungen der Union eingegangen, nachdem beim Richtervorbehalt und bei der Benachrichtigungspflicht nachgebessert wurde. Schein-Maßnahmen, die nur auf dem Papier stehen. Wie eine groß angelegte Max-Planck-Studie im Auftrag des Justizministeriums eindrucksvoll belegt, finden weder richterliche Kontrolle noch eine nachträgliche Benachrichtigung der überwachten Personen in der Praxis statt (Zusammenfassung).

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Oft unterschätzt: Bestandsdaten

Bestandsdaten unterscheiden sich von Vorratsdaten (Wer? Wann? Wo? Mit wem? Wie lange?) vor allem dadurch, dass sie nichts über geführte Telefonate oder das Bewegungsprofil eines Mobilfunkteilnehmers verraten. Dafür eröffnen sie aber ganz andere Möglichkeiten der Überwachung, von denen kaum jemand weiß:

Nach § 113 Absatz 1 Satz 2 TKG fallen auch „Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird“, unter die ggf. zu beauskunftenden Daten. Laut einer von mir angeforderten Auskunft bei der Bundesnetzagentur heißt es, dass der Gesetzgeber auch solche PIN-Nummern oder Passwörter – soweit sie einem Telekommunikationsdiensteanbieter bekannt und bei ihm gespeichert sind – zu den Bestandsdaten zählt.

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Auch Passwörter sind Bestandsdaten

Das können die PIN oder der PUK für ein Handy oder Smartphone sein, aber auch Passwörter zu E-Mail-Postfächern oder zu einer Cloud – falls der Telekommunikationsserviceanbieter eine solche externe Speichermöglichkeit anbietet und über die zugehörigen Passwörter verfügt. Auch die beim Anbieter hinterlegten Kontodaten zählen zu Bestandsdaten.

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Jede Sekunde eine Abfrage

Allein in Deutschland haben rund 250 Sicherheitsbehörden automatisierten Zugriff auf unsere Bestandsdaten, die bei den 140 Telekommunikationsanbietern hinterlegt sind. Im Jahr 2012 haben die Behörden über 36 Millionen mal auf diese Informationen zugegriffen. Auf das gesamte Jahr gerechnet bedeutet das im Schnitt etwa jede Sekunde eine Abfrage (der aktuelle Timer für 2013). Ziel der Bestandsdatenabfrage ist u.a. die Verfolgung von schweren Straftaten aber auch von Ordnungswidrigkeiten.

Open End Speicherfrist

Während bei der Vorratsdatenspeicherung noch ausgehandelt wird, wie lange die Verbindungs- und Positionsdaten eines Bürgers gespeichert bleiben müssen, unterliegen Bestandsdaten keiner maximalen Speicherfrist. Die Daten bleiben in der Regel über die gesamte Dauer des Vertragsverhältnisses bei einem Mobilfunkanbieter gespeichert und müssen nicht gelöscht werden.

Fazit

Trotz immer neuer NSA-Enthüllungen und den öffentlichen Lippenbekenntnissen deutscher Spitzenpolitiker für mehr Datenschutz, baut der Staat die flächendeckende Überwachung seiner Bürger Schritt für Schritt weiter aus. Gemacht wird, was technisch möglich ist. Begründet wird das stets mit der Jagd auf Schwerstkriminalität. Über die tatsächlichen Anwendungsgebiete, wie z.B. der Verfolgung von minderschweren Delikten oder von Ordnungswidrigkeiten, werden die Bürger im Unklaren gelassen.

Gerade der ungebremste Zugriff staatlicher Behörden auf die Datenbanken privater Internet- und Telekommunikationsserviceanbieter erweist sich dabei als fatal. Von einem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1983 verkündet hatte, kann heute, 30 Jahre später, keine Rede mehr sein.

…dann wiederum – wer braucht schon Freiheit, wenn man bedenkt, dass Vorratsdaten dieses niedliche Robbenbaby retten könnten:

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93 Kommentare
  1. […] und SPD die vom Bundesverfassungsgericht gekippte Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen: Die Vorratsdaten-Verräter. Sollte man lesen. Vor allem als SPD-Mitglied das abstimmen […]

  2. […] Gutjahr hat über “Die Vorratsdaten-Verräter” gebloggt und dabei gleich die passende Plakatserie […]

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