Das Ende von Wetten dass – ein Vorbote für das Ende des Fernsehens? Das einstige Leitmedium steht vor einer radikalen Neuausrichtung. Die Frage: Wenn einstige DVD-Versandhäuser heute erstklassige Premium-Serien drehen, wozu brauchen wir noch Zwischenhändler und kaufen in Zukunft nicht direkt vom Erzeuger?
In der vergangenen Woche habe ich in ganz Deutschland eine Reihe von Vorträgen zum Thema Medienwandel und zur Zukunft des Fernsehens gehalten. Weil ich meine Reden weitestgehend frei formuliere, hier komprimiert die wichtigsten Thesen:
Wir sind die Zwischendrin-Generation
Das Fernsehen ist nicht tot. Im Gegenteil. Dank Smartphone, Tablets und die immer schnelleren Übertragungswege stehen Bewegtbilder so hoch im Kurs wie noch nie. Das Problem: Das alte, klassische Medien-System funktioniert nicht mehr. Das neue noch nicht. Dazwischen wir, die Zwischendrin-Generation. Was wir auch machen, wir sitzen zwischen allen Stühlen. Wir sollen voran gehen, dürfen aber niemanden zurücklassen. Wir sollen jünger werden, dürfen aber die Alten nicht verprellen. Sollen digital denken und dabei analoges Geld verdienen. Doch wie wir jetzt auch beim Massenmedium Fernsehen lernen: Wenn wir in der Mitte stehen bleiben, versuchen, es allen recht zu machen, erreichen wir bald gar niemanden mehr.
Von Thomanern, Würmern und Fischen
Der Wurm muss dem Fisch schmecken, soweit die gute alte Lehre von RTL-Boss Helmut Thoma. Das Problem: Den einen Fischtank, wie zu Thomas Zeiten, gibt es so nicht mehr. Die Schleusen sind auf, vor allem die jungen Fische haben das Aquarium längst verlassen und schwimmen mit ihren Mobilgeräten kreuz und quer durch alle Weltmeere und Zeitzonen. Oder wie es das ZDF in seinem offiziellen Statement zum Ende von Wetten dass formulierte: Schuld seien die veränderten Sehgewohnheiten.
Qualität direkt vom Erzeuger
Das Internet verändert die Spielregeln. Aus den einstigen Massenmedien sind Medien der Massen geworden. Dank Festplatten und Streamingdiensten zappen die Zuschauer nicht nur linear durch die Kanäle, sondern kreuz und quer durch die Zeit, auch über Ländergrenzen hinweg. Apple TV, Watchever, demnächst auch Netflix oder Amazon werden zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz – auch für die etablierten Programmanbieter in Deutschland.
Von wegen: Mit Qualität lässt sich keine Quote machen! Vielleicht nicht GfK-Quote. Doch wie kommt es, dass die ganze Welt über Mad Men, Breaking Bad, Downton Abbey, House of Cards oder Homeland spricht? Wenn es nach Nielsen-Ratings ginge, hätte es keine dieser Serien jemals geben dürfen! Und doch fanden eben diese Produktionen ein Millionen-Publikum, das sogar bereit ist, viel Geld für jede Staffel zu bezahlen – sei es in Form von DVD-Boxsets oder PayTV- bzw. Streaming-Abos.
Trügerische Sicherheit
Noch wiegen wir uns in Sicherheit – denn auf dem ersten Blick scheint die Statistik in Ordnung: Die Deutschen sehen seit Jahren konstant rund 4 Stunden täglich fern. Betrachtet man aber die Demographie, wird schnell klar, wie gewaltig der Medienumbruch sein wird, vor dem wir stehen. Denn bei der Generation 14-29 liegt der durchschnittliche TV-Konsum mit 133 Minuten gegenüber 218 Minuten online weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Das fällt heute nur noch nicht so stark auf, denn die analogen „Alten“ sind den digitalen „Jungen“ zahlenmäßig weit überlegen.
Wozu überhaupt noch TV-Sender, wenn man hochwertige Bio-Produkte direkt vom Erzeuger kaufen kann? Zumal die gespritzten Gewächshaus-Tomaten aus dem Supermarkt alle irgendwie nach Wasser schmecken?
ARD, ZDF, RTL & Co – die GroKo des Deutschen Fernsehens?
„Konvergenz“ – so beschrieben die Medienforscher einst die drohende Angleichung der Programmangebote. Diese Konvergenz fordert mit Wetten dass..? nun ihr erstes großes Opfer. Öffentlich-Rechtliche und Private haben sich (in ihren Hauptprogrammen) bis zur Unkenntlichkeit einander angepasst, dass Unterschiede kaum noch erkennbar sind: ARD, ZDF, RTL, SAT1 und ProSieben – die GroKo des Deutschen Fernsehens. Über allem steht die Quote. Wer ihr nicht genügt, hat in beiden Systemen ein Problem.
Vor allem die Öffentlich-Rechtlichen sehen sich hier seit jeher einem Paradoxon ausgeliefert: Sind sie zu erfolgreich, heißt es, sie schielen nur auf die Quote. Machen Sie aber Programm für Minderheiten, heißt es: Wofür zahle ich Gebühren?
„Kann ich dafür Ärger kriegen?“
Die Folge: Die Ver-Degeto-isierung der Primetime, lauwarme Fernsehkost, die keinem wehtut aber auch keinem wirklich schmeckt. Über Jahrzehnte galt in den Sendern Mittelmaß als die oberste Maxime: Befördert wurde, wer nicht aneckte. Wann immer man mit einer neuen Idee um die Ecke bog, sah man förmlich die Denkblase über dem Kopf des Vorgesetzten aufsteigen: „Kann ich dafür Ärger kriegen?“.
Warum kein deutsches House of Cards?
Nicht auszudenken was passiert wäre, wären die Drehbücher von „House of Cards“ in einer deutschen Unterhaltungsredaktion gelandet. Man stelle sich die Diskussion allein um die erste Szene vor, in welcher der Kongressabgeordnete Frank Underwood (Kevin Spacey) einem angefahrenen Hund den Hals umdreht, um ihn von seinen Schmerzen zu erlösen.
Unterhaltungsredakteur 1: „Das können wir auf gar keinen Fall so senden! Ich sehe schon die Briefe der Tierschützer – körbeweise!“
Unterhaltungsredakteur 2: „Könnte er den Hund nicht stattdessen zum Tierarzt bringen?“
Noch bevor der Autor auch nur Piep sagen kann, stimmen die Vertreter der Abteilung „Programm-Innovation“ wohlwollend mit ein:
Stellvertretender Innovationsbeaufragter: „Und die Tierärztin, eine ehemalige Schulfreundin, von der er früher nie Notiz genommen hatte…“
Unterhaltungsredakteur 1: „…eine alleinerziehende Mutter mit einem Adoptivkind aus dem Senegal.“
Ein kurzer Moment der Stille. Dann – erleuchtete Gesichter:
Alle: „Veronica Ferres!“
Seien Sie der Erste oder der Beste!
Mein Rat an alle Entscheidungsträger: Wenn Sie im Neuland reüssieren wollen, müssen Sie die Hosen runterlassen. Seien Sie der Erste oder seien Sie der Beste. Kein Mensch wartet heute noch auf Mittelmaß.
Entweder Sie erkennen Trends als Erster, Sie reagieren entsprechend und haben dadurch einen Startvorteil (Dazu zählt in Zukunft mehr denn je auch die Übertragung von Live-Events).
Oder Sie konzentrieren sich auf Hochglanz und profitieren vom Longtail-Effekt des Netzes, der Ihnen gigantische Einschaltquoten bescheren kann, nur eben nicht mehr wie einst bei Wetten, dass..? geballt an einem Samstag-Abend, sondern verteilt über unterschiedliche Kanäle und einen längeren Zeitraum.
Das Netz ist Ihr Freund!
Suchmaschinen, Videoplattformen, Streamingdienste sowie die Empfehlungsökonomie der Sozialen Netzwerke sind Ihr Freund! Allerdings nur, solange Sie sich vom Einheitsbrei abheben und Sie sich trauen, der wirklich Beste Ihres Faches werden zu wollen. Gefragt sind Talent, Mut und vor allem ein langer Atem. Der Erfolg kommt nicht über Nacht. Erfolgshows wie „Breaking Bad“ benötigten mehrere Staffeln, um Kult und damit Mainstream zu werden.
Seien Sie radikal!
Um dahin zu kommen, müssen Sie Eier haben: Seien Sie radikal! Setzen Sie auf unbequeme, kreative Köpfe, die gewohnt sind, außerhalb der Box zu denken. Schaffen Sie eine Umgebung, in der die Kreativen ihren Ideen freien Lauf lassen und ungestraft Kapuzenpullis tragen können. Und: Sorgen Sie dafür, dass die Bedenkenträger um sie herum nicht länger den Ton angeben! In Zeiten des Wandels brauchen Sie Menschen, die bereit sind, Risiken einzugehen und auch mitzutragen – keine Kulturpessimisten und Erbsenzähler.
Gehen Sie All-in!
Es ist wie beim Pokern: Wenn Sie mit dem Rücken zur Wand stehen, dürfen Sie nicht Runde für Runde nur den Mindesteinsatz spielen und darauf warten, bis Sie pleite sind. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, müssen Sie All-in-gehen.
Klar, je größer Ihr Unternehmen, je mehr Verantwortung Sie tragen, umso schwerer fällt diese Entscheidung. Und umso mehr werden die Besitzstandswahrer versuchen, Ihre Pläne zu sabotieren. Und dennoch führt kein Weg daran vorbei.
Werbe-Ikone Amir Kassaei sagte mir mal vor Jahren (s. Video): In Zeiten des radikalen Wandels sind radikale Ansätze erfolgsversprechender, als wenn man versucht, sich mit Mittelmaß durchzuschummeln. Die jüngsten Entwicklungen auf dem Print- und auf dem Fernsehmarkt geben ihm Recht.
Was am Ende zählt, sind – so banal das klingt – gute Inhalte. Ob aus dem Supermarkt oder vom Bio-Bauern, ist dem Zuschauer letztlich piep-egal.
Eure Meinung: Brauchen wir in Zukunft überhaupt noch TV-Sender?
Der Tag, an dem das Fernsehen starb
Der Apple-Fernseher, der gar keiner ist
Amazon TV – Der Fernseher fängt Feuer
Breaking the utterly bad – Die bevorstehende TV-Revolution
„Veronica Ferres!“ made my Day. :-)
Schöne Diskussionsrunden analog, wenn Privatversicherten über die Zukunft der Gesetzlich Versicherten reden. So auch jetzt: Nichtseher und Wegseher wollen den Inhalt bestimmen.