Die letzte Ausgabe von Wetten dass mit Thomas Gottschalk läutet das Ende einer Ära ein. Fernsehen, wie wir es kannten, gehört der Geschichte an. Damit meine ich nicht, dass die Industrie tot ist. Denn die ganz große Epoche steht der TV-Branche noch bevor.

Plausch mit Markus „Videopunk“ Hündgen über Gottschalk und die Welt

Der König ist tot, lang labert der König

Schon oft wurde mit dem Abendprogramm der Untergang des Abendlandes begründet. Doch inzwischen geht es um mehr als nur um Gottschalk, um Wetten dass oder die Zukunft der Samstag-Abend-Show.. Es geht um die Zwangs-Häutung einer gesamten Branche, die wie der „letzte Clown“ in die Jahre gekommen ist und die es aufgrund ihrer eigenen Größe und Deutungsmacht nie wirklich nötig hatte, sich selbst in Frage zu stellen oder gar neu erfinden.

„Fernsehen macht soviel Geld mit schlechtem Programm, dass es für die Verantwortlichen nie einen Grund gab für echte Innovation“, urteilt Sree Sreenivasan, Journalismus-Professor an der Columbia University in New York, und beruft sich dabei auf Fred W. Friendly, Präsident von CBS-News und Wegbereiter des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in den USA. Das Internet werde auch das Fernsehen zwingen, umzudenken.

In den Sendeanstalten sieht man das freilich anders. Das lineare Fernsehen habe auch in Zukunft eine wichtige Ordnungsfunktion, heißt es da beharrlich, es helfe den Menschen, den Tag zu strukturieren und besser bewältigen zu können. Kein Mensch wolle sein eigener Programmdirektor sein. Der Fehler, der bei dieser Argumentation gerne gemacht wird: Die Fernsehmacher gehen von dem aus, was sie kennen, womit sie selbst groß und nicht selten auch mächtig geworden sind. Viele von ihnen stecken dabei in der klassischen Kompetenzfalle, wissen zu viel über die eigene Branche, um überhaupt noch in der Lage zu sein, „outside the box“ zu denken.

„Fragen Sie mal einen Manager von Nokia,

ob der heute, 5 Jahre nach Einführung des iPhones,

immer noch lacht.“

Wie trotzige Kinder verteidigen sie ihre Förmchen und Schaufelchen gegenüber jedem neuen Eindringling, der sich zu ihnen in den Sandkasten gesellt. Was Kleinkindern noch gelingt, fällt gestandenen Medienmachern oft schwer: Teilen zu lernen und zu akzeptieren, dass es außerhalb der eigenen Wahrnehmung auch noch andere Wahrheiten gibt. Wer in einer Welt ohne Internet aufgewachsen ist, der kann sich eben ein Leben jenseits von Hörzu und Tagesschau nur schwer vorstellen.

Noch mögen sich die Fernsehmacher in Sicherheit wiegen und auf ihre Millionen-Quoten verweisen. Wen wundert das? Bewegt man sich in einem nach außen hin hermetisch abgeschirmten Territorium, in dem sich wenige Player (ob öffentlich-rechtlich oder privat) den Markt untereinander aufteilen. Doch was passiert, wenn die Schleusen aufgehen und die geballte Masse an Apps und Web-Videos das Wohnzimmer flutet? Wenn mittelmäßige TV-Shows und Serien plötzlich gegen jedes Katzenvideo der Welt konkurrieren? „Wer will schon ein Fernsehgerät von Apple?“, lachen die Programmverantwortlichen überheblich. Fragen Sie mal einen Manager von Nokia, ob der heute, 5 Jahre nach Einführung des iPhones, immer noch lacht.

„An das Berufsbild des Fernsehdirektors

werden wir uns schon bald zurückerinnern

wie an die Programmansager in den 70ern.“

Wer wissen will, wie sich das Fernsehen der Zukunft anfühlen könnte, sollte ins Ausland schauen. Die Fernsehgewohnheiten in Israel beispielsweise sind völlig anders, als bei uns in Deutschland. Durch das Oligopol zweier Kabelnetzbetreiber ist das nonlineare Fernsehen in Großstädten wie Tel Aviv weiter verbreitet als in Deutschland. Das Programm sämtlicher Kanäle lässt sich 48 Stunden zurückspulen. Lieblingsserien werden auf Wunsch komplett mitgeschnitten und im Speicher abgelegt. Dabei ist die Bedienung so einfach, dass selbst jemand wie ich, mit meinen rudimentären Hebräisch-Kenntnissen, ohne Probleme zu Recht kommt. Wenn ich Lust auf „Breaking Bad“ habe, schaue ich gleich 2 oder 3 Folgen am Stück – und das im englischen Original.

Die Folge: Israelis zappen nicht mehr allein zwischen den Kanälen, sondern auch in der Zeit. Wenn das Telefon klingelt, halte ich wie selbstverständlich die Live-Nachrichten an und drücke ‚weiter’ sobald ich fertig bin. Wer das einmal erlebt und sich an diese neue Freiheit gewöhnt hat, möchte nie wieder zurück.

…was wohl passiert, wenn solche Clips den großen TV-Schirm erobern?

Noch heute weigern sich viele Redaktionsleiter in den öffentlich-rechtlichen Sendern, ihre „Perlen“ ins Internet zu stellen, weil ihnen das angeblich die Quote bei der linearen Ausstrahlung verhagelt. Die eigene Bedeutung wird an die Kontrolle über die Programme geknüpft. Machterhalt durch künstliche Verknappung – damit kommt man im Internet nicht weit. Wer sich ins Web begibt, ist es gewohnt, Inhalte sofort abzurufen, und das wann und wo man will. An das Berufsbild des Fernsehdirektors werden wir uns schon bald zurückerinnern wie an die Programmansager in der 70ern.

„Im Seichten kann man nicht untergehen“

Auch was die Inhalte selbst betrifft, ist Israel deutlich experimentierfreudiger als Deutschland. Anders als uns Deutschen gelingt es den Israelis laufend, TV-Formate in die USA zu verkaufen („Homeland„, „In Treatment„). Dort hat sich ein faszinierender Markt für Qualität entwickelt. Die Amerikaner haben sowohl das beste als auch das schlechteste Fernsehen der Welt. Während sich gerade die Nachrichtensender immer mehr vom Intellekt ihrer Zuschauer verabschieden, überraschen Serien-Juwele wie „Mad Men“, „Damages“ oder auch „American Horror“ ihr Publikum mit anspruchsvollen Plots und kinoreifen Bildern. Soviel Qualität mag einerseits an den enorm hohen Produktionsbudgets liegen, die sich im vergleichsweise winzigen deutschsprachigen Markt kaum refinanzieren lassen. Vor allem aber ist es eine Frage des Muts, der den deutschen Sendern über all ihre Quiz-, Koch-, und Casting-Klons hinweg abhanden gekommen zu sein scheint. Noch immer gilt die Maxime von Helmut Thoma: „Im Seichten kann man nicht untergehen“.

Thomas Lückerath vom TV-Branchendienst DWDL.de war jüngst auf mehreren TV-Festivals in Los Angeles und New York unterwegs. Zwei Beobachtungen hat er gemacht: „Egal ob im Kino, auf dem Fernseher, dem Notebook, Tablet oder Smartphone – wenn es um fiktionale Stoffe geht, muss die Geschichte stimmen“, so der TV-Kenner. „Wie oft wurde über WebTV und MobileTV debattiert und jetzt erleben wir mit zunehmender Bandbreite des Webs auch im Mobilen: Geschaut wird, was gut ist. Nicht, was sich jemand für irgendeine Medienform erdacht hat.“

„Jede technische Plattform wird nur so gut sein können,

wie die Inhalte, die es bietet.“

Ein anderer Trend, den Lückerath in den USA ausgemacht hat: die Umkehrung der Interaktivität. „Jahrelang galt es bei Fernsehschaffenden als chic und erstrebenswert, den Fernsehzuschauer über irgendwelche banalen Fragen zum Programm abstimmen zu lassen“, so Lückerath. Doch das sei keine Interaktivität, sondern Beschäftigungstherapie für ein Publikum, das sich bitte nicht weitergehend einmischen soll. Die Interaktivität war quasi vorgegeben und beschränkt. Doch gerade bei der Integration von Twitter, aber auch Facebook, hätten einige Realityformate in den USA in den vergangenen Monaten einen neuen Weg beschritten: Tweets werden in großer Zahl während dem TV-Programme eingeblendet.

Und das könnte nur der Anfang einer sehr viel größeren Entwicklung sein. App-Entwickler wie Jason Yim von „trigger“ rüsten sich schon jetzt für das Zeitalter von Apple- bzw. Google-TV. Der große Bildschirm im Wohnzimmer sei so was wie der „Heilige Gral“. Für Yim ist es nur eine Frage der Zeit bis das Fernsehen und die App-Welt zusammen wachsen. „Die Zuschauer wollen mit dem Programm interagieren, wollen nicht länger nur passiv konsumieren.“ Schon heute ist jeder zweite Amerikaner parallel zum Fernschauen online.

Thomas Lückerath macht den Erfolg eines Apple- oder auch Google-Fernsehers von den Inhalten abhängig. „Jede technische Plattform wird nur so gut sein können, wie die Inhalte, die es bietet.“ So hat auch Facebook damit begonnen, Kinofilme on demand über sein Soziales Netzwerk zu streamen. Auch YouTube hat vor wenigen Wochen einen exklusiven Kooperations-Vertrag mit Disney geschlossen. Während der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe ein neues Horror-Szenario über die Dominanz von Apple, Google, Amazon und Facebook an die Wand wirft, bleibt Lückerath diesbezüglich gelassen. „Angst macht mir eher die Zurückhaltung deutscher Medienhäuser, auf diese Partner zuzugehen. Weil das den ganzen Markt bremst.“

Für mich steht fest: Die Art und Weise, wie wir fernsehen, wird sich radikal wandeln. Und das in nicht allzu ferner Zukunft.

Top, die Wette gilt.

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45 Kommentare
  1. Robert Kindermann schreibt:

    http://www.wir-muessen-twittern.de/blog/2011/01/03/2011-der-anfang-vom-ende-des-linearen-fernsehens/

    :-) nun fast ein Jahr alt, mein Beitrag zu dem Thema. Liebe Grüße Robert

  2. Dirk Küpper schreibt:

    Seit knapp 6 Jahren schaue ich kein Fernsehn mehr. Okay kein ist übertrieben, manchmal wenn ich Zeit habe um 20.00 Uhr die Nachrichten. Die meisten Informationen bekomme ich tagsüber schon über das Internet geliefert, die sind dann Abends schon alt. Ältere Generationen die nicht so am Netz hängen und damit gross geworden sind wie ich, brauchen das Fernsehn aber noch. Das aber beides aber immer mehr verschmilzt ist nicht von der Hand zu weisen. Es geht wie immer in Deutschland nur sehr langsam.

Willkommen!