Anfang des Jahres haben wir in diesem Blog LobbyPlag vorgestellt, die Initiative einer Handvoll Journalisten, Programmierern und Juristen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den ausufernden Lobbyismus in der Politik sichtbar zu machen. Unsere Enthüllungen über Copy-and-Paste-Gesetzgebung in Brüssel sowie die Visualisierung von Lobbyeinflüssen auf die geplante EU-Datenschutzverordnung sorgten weltweit für Schlagzeilen. Jetzt wurde LobbyPlag mit 2 World-Summit-Awards ausgezeichnet. 

big-award

von Marco Maas

Richard hatte mich gebeten, noch einen kurzen Rückblick auf den World Summit Award (WSA) in Colombo, Sri Lanka zu schreiben, bei dem ich Ende Oktober für LobbyPlag zwei Preise einsammeln durfte. Der WSA Global Congress ist eine Konferenz, die federführend von den Vereinten Nationen organisiert wird, u. a. von der Unesco, der UNIDO und dem Entwicklungsprogramm der UN (UNDP).

award3

Mit dem Schwerpunkt auf eContent und Creativity werden weltweit Projekte ausgezeichnet und zum Kongress eingeladen, die sich durch originelle und neue Ideen auszeichnen. An drei Tagen gab es professionellen und wirklich inspirierenden Input – u. a. vom Ex-Skype-Geschäftsführer Timt Panaaden und Dorothy Gordon vom Kofi Annan Centre of Excellence – und etliche inspirierende Gespräche mit Teilnehmern aus über 70 Nationen.

award1

(die Jungs und Mädels haben wir in den folgenden Tagen übrigens immer wieder gesehen. Es gab immer was zu Eröffnen, Beenden, Feiern. Folkloristisch rumzulaufen ist offenbar ein einträgliches Business)

Die Preisträger

Für den Award musste sich eine Jury aus über 300 Beiträgen aus 178 Nationen kämpfen – pro Land gab es in einer von 8 Kategorien maximal einen Nominierten (aus Deutschland war insgesamt nur 1 Beitrag dabei). eine 51-köpfige Jury wählte dann aus den Nominierten 40 Sieger (bei 8 Kategorien mit jeweils 5 Beiträgen) aus. Diese 40 durften dann in Sri Lanka in 15-Minuten-Vorträgen noch einmal vor einer Jury ihr Projekt präsentieren – bewertet wurde Projekt, Präsentation und Person. Für jede der 8 Kategorien wurde jeweils ein „Global Champion“ gekürt, in der Kategorie eGovernment & OpenData war das LobbyPlag (Labern kann ich ;-)).

Für mich angenehm überraschend war die Präsenz der afrikanischen Länder – Ghana, Nigeria, Südafrika, Uganda – alle mit starken Ideen und Präsentationen. Im folgenden mal ein paar bemerkenswerte Projekte, bei denen ich auch mit den Machern diskutieren* konnte:

*trinken, feiern und disktuieren

award4

Transparent Nigeria http://www.wsis-award.org/winner/transparent-nigeria-107020130903

Für mich ist Nigeria hauptsächlich präsent im Spam-Filter und diverse Öl- und Korruptionsskandale, nicht aber für eine Transparenz-Initiative. Die Seite macht etwas ähnliches wie Where does my Money go – und zeigt an immer mehr Beispielen, welche Bereiche der Verwaltung wieviel Geld erhalten, um beispielsweise eine Straße zu bauen, wer wieviel verdient – und könnte so zu einer wichtigen Kontrollinstanz für Bürger werden. Unter den Konferenzgästen waren auch Mitglieder der Regierung, die Transparenz-Bestreben offen gegenüber sind. Und nach den Gesprächen ist es durchaus im Bereich des möglichen, dass die Welt demnächst ™ einen nigerianischen LobbyPlag-Klon erhalten könnte. Was vermutlich als erstes folgen wird, ist ein Ableger von fragdenstaat.de – Stefan – ich melde mich bald.

Infoline http://nandimobile.com/our-services.html

Ich finde die Idee von Infoline brilliant: Die Firma schafft eine Brücke zwischen Smartphones und dummen Telefonen – User können mit einer SMS eine Suchanfrage im Netz bzw. im Verzeichnis von Infoline auslösen („Ich suche einen Autoschrauber bei mir um die Ecke“ oder klassische Google-Suchen nach Informationen) und erhalten eine oder mehrere SMS mit Antworten. Der Autoschrauber auf der anderen Seite kann entweder per Internet oder auch per SMS über Suchanfragen informiert werden und darauf reagieren, das ist besonders spannend, weil gerade Kleingewerbetreibende nicht immer über Internet verfügen. Für den einzelnen Händler oder Kunden ist der Service eine Erleichterung, als Big-Data-Ansatz auch spannend für große Unternehmen: Was wird wo gesucht, wie kann ich Informationen besser vorhalten. Sehr spannend dabei: Infoline erfasst lokale und hyperlokale Informationen, die Google nicht hat. Außerdem baut dieser Weg eine neue Art der Kundenbindung auf – und wäre so durchaus auch auf netztechnisch ausgebautere Länder zu übertragen – meine Mutter z. B. wäre mit Sicherheit dankbar für die Möglichkeit, sich bei der Apotheke um die Ecke per SMS zu informieren.

Springleap http://www.springleap.com/

Springleap ist eine Design- und Marketing-Agentur – besser ein Kondensator für etliche Agenturen. Kunden wie Nokia, Nike oder Stimorol kommen mit einem Budget zu Springleap, die in einem relativ transparenten Prozess Entwickler und Designer bezahlt einladen, Layouts und Kampagnen zu entwickeln und ihre eigene Crowd zum Abstimmen mit einzubringen. Durch relativ aufwändige Filter- und Kontrollmechanismen setzten sich offenbar erfolgreich die besten Layouts und Konzepte durch, der Kunde hat schon einen Teil der Marktanalyse erfolgreich erledigt und spart am Ende sogar Geld. Ziemlich überzeugend – die Jungs sind auch schon schwerst venturecapitalisiert.

TransferWise https://transferwise.com/

Von den Machern von Skype und PayPal kommt folgende nette Idee: Banken kassieren bei internationalen Geldtransfers normalerweise kräftig mit, während Banken unter sich nur minimale Gebühren zahlen. TransferWise bietet eine Art transparenten Treuhänder-Service, bei dem ein User Geld auf ein lokales Konto von TransferWise überweist, und TransferWise überweist das Geld dann auf das lokale Konto im Zielland – bei deutlich geringeren Gebühren. Je mehr mitmachen, desto günstiger wird es.

Viele, viele weitere Ideen und Projekte waren vor Ort vertreten, wobei ich dabei auch die Notwendigkeit und den Nutzen des Kongresses gesehen habe: Einige Ideen speziell im eGovernment-/ und auch im journalistischen Bereich waren bereits vorhanden und hätten bei gleicher Schlagkraft einfach adaptiert werden können – hätten die Macher einiger Projekte von bereits bestehenden offenen und im Quellcode freien Plattformen wie z.B. fragdenstaat.de gehört, könnte Energie statt in Infrastruktur in die Datenarbeit gesteckt werden – ein Rad muss schließlich nicht 5x erfunden werden.

award7
Doppelt hält besser: Neben eGovernment & Open Data wurde LobbyPlag auch mit dem Global Champion Award ausgezeichnet

Danke!

An dieser Stelle muss ich die Organisatoren der Konferenz loben: Absolut im Mittelpunkt von Konferenz und Preisverleihung stand immer die Interaktion zwischen verschiedenen Projekten und Nationen – wer aus einem Konferenzhalbtag mit weniger als 15 Visitenkarten und 4 neuen Ideen gekommen ist, hat definitiv etwas falsch gemacht. Der Vernetzungsgedanke ist vom Programmaufbau bis zur Sitzverteilung immer zentral gewesen – das habe ich bei bisher keiner Konferenz so intensiv erleben dürfen. Es waren bestimmt 70, eher mehr Nationen vertreten und ständig umwehte einen das Gefühl von interkultureller Staatenlosigkeit – sehr faszinierend.

Mir hat die Konferenz viel gebracht – natürlich Kontakte: Nigeria, Ghana und Südafrika sind ganz oben auf meiner potentiellen LobbyPlag-Interessentenliste und auch mit österreichischen Kollegen reden wir. Viel wichtiger aber für mich ist die Erkenntnis gewesen, wieviel wir durch den persönlichen Austausch bei solchen Gelegenheiten lernen können – und welche Effekte das (theatralisch gesprochen) für die ganze Welt haben kann. Klingt nach Binsenweisheit, ist es aber nicht. Noch einmal: Vielen Dank an die WSA-Kollegen, die Vereinten Nationen und alle Mitteilnehmer – es war mir ein Fest.

LobbyPlag – wie es weiter geht  

Wir haben mit LobbyPlag diverse Visionen gezeigt, wie wir uns einen transparenteren Umgang von Lobbyisten und Politik vorstellen und anhand der Datenschutzverordnung gezeigt, dass für Verwaltungen dieser Transparenzschritt im Grunde genommen ein kleiner ist. Durch das Offenlegen des Quellcodes unter einer CC-BY-Lizenz kann jeder LobbyPlag-Klone aufsetzen (oder sich an uns wenden), eigentlich sind aber als nächstes Politik und Verwaltung gefragt, vergleichbare Mechanismen selbst zu implementieren.

Durch den internationalen Austausch bin ich guter Dinge, dass LobbyPlag-Klone z. B. in afrikanischen Staaten sprießen werden – der Prozess ist lang und noch nicht abgeschlossen – wir beobachten aber, dass Bürger, Politiker und selbst Lobbyisten merken, dass Korrektive notwendig sind. Und schließlich sehe ich auch den Journalismus in der Pflicht – weg vom Terminjournalismus und wieder hin zu investigativen und wachenden Geschichten. Nachhaltiger Journalismus ist eine der wenigen Möglichkeiten für die schreibende Zunft, Glaubwürdigkeit (und damit Existenzberechtigung) zu erhalten.

award5
Strahlender Preisträger in Sri Lanka: Marco Maas

Ich persönlich möchte mit einem LobbyPlag 3.0 mal probieren, wie sich eine Hochzeit aus Lobbyarbeit und Github anfühlt – für die Nicht-Programmierer: Github ist eine Plattform, die ein verteiltes Entwickeln von Software ermöglicht. Ein Entwickler stellt seine Projekt öffentlich zur Verfügung (die LobbyPlag-Entwicklungen liegen z. B. hier ) und andere können einen Klon davon machen (forken) und selbst weiterentwickeln. Wenn der ursprüngliche Entwickler für die Urversion Teile des neu entstandenen Codes übernehmen will, kann er diese leicht zum eigenen Code hinzufügen. Übertragen auf die Lobbyarbeit würde so ein „LobbyGit“ entstehen – der Politiker als Verwalter eines Gesetzesentwurfs, auf den von verschiedenen Seiten Änderungsanträge und Umformulierungen eingehen. Denkbar sind so auch spontan gebildete „Lobbyeingaben“ von Bürgern, ein Politiker könnte so tatsächlich den Wählerwillen abfragen, alle Änderungen würden transparent und versioniert gespeichert… Meines Wissens nach arbeitet der OReilly-Verlag mit einem grob vergleichbaren System für die eigenen Buchprojekte. Wir reden hier auch mit Parteivertretern, vielleicht können wir ja dieses Experiment mal mit einer Volkspartei wagen…

Mehr zu LobbyPlag:

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Bitte unterstützen Sie mein Blog mit einer Spende.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Notwendige Felder sind mit * markiert.

0 Kommentare

Willkommen!