Das Netz hat die Medienwelt verändert – es hat mich verändert. Seitdem ich blogge und von jedem Ort der Welt arbeiten kann, kenne ich keinen Feierabend mehr. Und obwohl meine Arbeitstage oft 16 Stunden lang sind, möchte ich nie wieder zurück in mein altes Leben.

Big-Cup

Wenn Arbeiten zum Lifestyle wird

Klack-klack-klack-klack-klack. Mein Rollkoffer. Um genau zu sein, einer meiner Rollkoffer. Ich habe 3 davon. Zur Zeit sind wieder alle 3 Trolleys im Einsatz. Komme ich spät nachts nach Hause, mache ich mir gar nicht erst die Mühe, ihn auszupacken. Gleich neben der Eingangstür wartet schon Koffer Nummer 2, fertig bestückt für den nächsten Tag. Auspacken und Wäsche waschen kann ich wann anders. Die wenigen Stunden Schlaf, bis der iPhone-Wecker läutet, sind einfach zu kostbar.

New York, München, Düsseldorf, Köln, Tel Aviv, Jerusalem, Frankfurt, Saarbrücken, Hannover, München, Berlin – das alles in 14 Tagen, keine Seltenheit. Senator-Lounges, Business-Upgrades, FlugbegleiterInnen, die mich mit Namen grüßen (okay, die haben einen Sitzplan mit allen Vielfliegern vor sich liegen). Es kommt vor, dass ich morgens denselben Stellplatz im Flughafen-Parkhaus belege, den ich selbst erst wenige Stunden zuvor nach meiner Ankunft freigemacht hatte.

Überhaupt: die Flughäfen! Sie können die schönsten Orte der Welt sein und zugleich die einsamsten (Ihr kennt das legendäre Musik-Video von Richard Dunn, oder?). Vor allem früh morgens und spät abends, wenn man im Schein des Neonlichts an den verwaisten Shops und Bistros vorbeizieht. Eine Kulisse wie in einem Endzeit-Katastrophenfilm. Der letzte Mensch auf Erden und sein Trolley. Klack-klack-klack-klack-klack.

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Das süße Gift

Mein Leben war nicht immer so. Verglichen mit meinem heutigen Arbeits- und Reisepensum, lebte ich vor nicht allzu langer Zeit das Leben eines Beamten. Die Tage begannen meist mit irgendeiner Sitzung. Danach E-Mails abarbeiten, Projektgruppen, Verwaltungskram. Wenn man Glück hatte, passierte irgendetwas und man durfte raus, Filme machen. In der Regel konnte man aber sicher sein, pünktlich Feierabend zu haben.

LoboVersteht mich nicht falsch – ich bin stolz, in einigen der besten Medienhäuser des Landes arbeiten und gelernt haben zu dürfen. Doch ein fester Arbeitsplatz ist wie eine Mauer, sie funktioniert in zwei Richtungen: Einerseits beschützt sie dich vor Arbeitslosigkeit und bietet eine gewisse innere Ruhe und Planungssicherheit. Andererseits schirmt Sie dich aber auch ab von neuen Entwicklungen, Ideen und Möglichkeiten. „Alltag vergiftet das Denken und besonders die Selbstreflexion“, sagt Sascha Lobo, der schon vor 8 Jahren mit seinem Buch Wir nennen es Arbeit (Amazon-Partner-Link*) den Begriff der „Digitalen Bohème“ geprägt hatte. „Die klassische Festanstellung erschien mir lange wie etwas völlig Widernatürliches“, so Lobo. Routine breitet sich aus, wie ein schleichendes Serum, das nach und nach deine Neugier, Experimentierfreude und Risikobereitschaft abtötet. Auch ich spürte dieses Gift schon oft in mir wirken.

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Digitale Wiedergeburt

Mein neues (Arbeits-) Leben begann mit dem Web 2.0. Um genau zu sein, begann es hier, mit diesem Blog. Als der Bayerische Rundfunk mal wieder einen meiner (phänomenalen!) Themenvorschläge ablehnte, begann ich damit, diese Geschichten in meinem Blog zu veröffentlichen. So reiste ich beispielsweise nach New York, um dort möglichst früh das iPad zu testen. Ein Jahr später bloggte ich vom Beginn der arabischen Revolution direkt vom Tahrir-Platz. Ein Laptop, eine Kamera und eine Verbindung ins Internet. Klack-klack-klack-klack-klack – was kostet die Welt?

Mit meinen ungefilterten Berichten aus dem Grenzgebiet zu Syrien, von der geheimen NSA-Serveranlage in Utah oder über kritische Blogger aus Russland erreichte ich auf einmal Menschen, die sich schon lange von den klassischen Medien verabschiedet hatten. Eine Schülerin hatte mir mal geschrieben, sie interessiere sich normalerweise nicht für Politik. Aber durch meine Berichte aus Ägypten habe sie das Gefühl gehabt, mit mir auf dem Tahrir-Platz zu sitzen. Gibt es ein größeres Kompliment für einen Journalisten?

Durch diese neue Arbeitsweise war ich auf einmal extrem flexibel und konnte schneller reagieren, als viele meiner Kollegen. Ich muss nicht betonen, dass das in der ARD nicht überall nur gut ankam. Aber irgendwann war mir das egal. Was ich damals noch nicht begriff: Mit meinem Blog hatte ich den Grundstein für ein eigenes kleines Medienhaus gelegt, meinen eigenen Vertriebskanal. Ich trat aus dem Schatten der großen, alles überstrahlenden Dachmarke und war plötzlich als Person – mit all meinen (Un-) Fähigkeiten sichtbar. Ein Kollege nannte das später mal mein „Markenerwachen“. Blödes Wort. Aber irgendwie auch nicht ganz verkehrt.

Spätestens an dieser Stelle fragen die Journalistenschüler- und Studenten unter Euch, wovon ich eigentlich lebe. Wie ich mich, mein Blog, die Reisen finanziere. Denn in der Tat sind die Texte, die ich in meinem Blog veröffentliche, in der Regel gratis.

Biff Gif

Also, Gutjahr – woher kommt die Knete?!

Ich glaube ich habe es schon einmal in einem früheren Blogpost geschrieben: Wir sind die Zwischendrin-Generation. Die alten Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr – die neuen noch nicht. Deshalb muss auch ich als freier Journalist zweigleisig fahren; auf einen Mix setzen aus klassischen sowie neuen Einnahmequellen (also im Grunde nicht anders wie Springer, Burda  oder Bertelsmann das auch tun). Was man zuerst begreifen müsse, sagt Sascha Lobo, ist, dass nicht nur der Journalismus, sondern die Medienbranche insgesamt gerade zerfasert. „Die Planbarkeit ist gering, in manchen Bereichen gar nicht mehr vorhanden“, so Lobo. Der Hauptgrund, weshalb die sonst einfache Formel „Frust in der Festanstellung? Sofort kündigen!“ eben auch nicht so einfach sei.

Dementsprechend ist auch mein aktuelles Standbein noch immer ein „Legacy Medium“, in meinem Fall das Fernsehen. Ob ich davon auch in 5 Jahren noch leben kann? Wer weiß. Fakt ist, dass ich mit meinem einstigen Spielbein, mein Blog, heute schon akzeptables Geld verdiene. Sicherlich nicht genug, um davon die Miete bezahlen zu können – aber definitiv zu viel, um darauf verzichten zu wollen. Und wieso sollte ich? Das von mir unterstützte Micropayment-System LaterPay läuft gerade an, einige meiner Texte werden gegen Honorar gedruckt, zudem generiere ich durch meine Web-Präsenz jede Menge Aufträge für Moderationen, Vorträge und Workshops – so zum Beispiel dieses Jahr u.a. für Microsoft zum Thema: Arbeiten.

wh_inequality_01.jpgNeubewertung von Journalismus

Durch die Digitalisierung hat eine Neubewertung unserer journalistischen Produkte eingesetzt. Nicht alles, wofür unser Publikum einst bereit war, Geld zu zahlen, hat in den Köpfen vieler Menschen heute noch einen vergleichbaren Wert. David Bowie prophezeite um die Jahrtausendwende für Musiker, dass Musik eines Tages so selbstverständlich sein wird wie fließendes Wasser oder Strom. „Be prepared for doing a lot of touring because that’s really the only unique situation that’s going to be left.“ Hatten Konzerte früher die Funktion, Platten zu verkaufen, verhält es sich heute umgekehrt: Die Musik übernimmt die Funktion eines Teasers auf das eigentliche Produkt – das immer teuerer werdende Konzert-Ticket.

Genauso denke ich verhält es sich mit dem Journalismus. Der reine Text ist nur noch Beiwerk, die eigentliche Wertschöpfung findet nach und nach woanders statt. Erfolgreiche Blogger haben das erkannt und instinktiv ihr Businessmodell daraufhin ausgerichtet. So verdient Internet-Erklärer Sascha Lobo nicht etwa an seinen Artikeln, sondern vor allem an seinen Vorträgen. Ein Jetsetter wie der Tech-Blogger Sascha Pallenberg finanziert seine Reisen nicht durch den Verkauf seiner Blogposts, sondern durch Sponsoren, die sich durch eine Pallenberg-Partnerschaft Glauwürdigkeit und einen Imagetransfer erkaufen. Und mein Blogger-Kollege und früherer Journalistenschulen-Banknachbar, Karsten Lohmeyer, gibt neuerdings Blogger-Seminare.

Jobs im Digitalzeitalter – Gewinner und Verlierer (Grafik: New York Times)

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Forever on ?

Ob ich heute mehr arbeite, als früher? Oh ja, keine Frage. Allerdings empfinde ich selbst meine nicht unüblichen 14-16 Stunden-Tage nicht als Job, sondern wie Mobilegeek-Blogger Pallenberg eher als Lifestyle. Ähnlich beschreibt es Sascha Lobo: „Meine Arbeit bereitet mir große Freude, meistens.“ Dadurch ergebe sich aber auch ein neues Problem, nämlich, die Arbeit im Zaum zu halten. „Das musste ich aufwendig lernen, und es ist bis heute nicht leicht, erst recht nicht durch die Allgegenwart der vernetzten Arbeitsmöglichkeiten.“

George Gif

Ob dieser Prozess des digitalen Wandels bald zu Ende sein wird, wollte ich von Richard Gingras, dem Chef von Google News, nach Beendigung unseres Interviews wissen. „Oh, da machen Sie sich mal keine Illusionen“, so der Google-Mann. „So, wie Sie heute arbeiten, werden Sie bis an Ihr Lebensende arbeiten!“. Die Medien werden sich in immer kürzeren Abständen immer wieder neu aufstellen müssen – das gilt auch für ihre Macher. Ich muss gestehen, wie er das so sagte, da war ich dann doch etwas geschockt. Ob ich mein heutiges Tempo ewig so aufrecht erhalten kann? Werde ich niemals mehr Feierabend haben? Lebenslanges Arbeiten – online bis zum letzten Atemzug?

Viel Zeit, darüber nachzugrübeln, habe ich nicht – der Flieger ruft. Nicht was Ihr denkt – diesmal geht’s in den Urlaub! Wir lesen uns ab September wieder. Bis dahin alles Gute!

Klack-klack-klack-klack-klack.

 

* Ein Partner-Link ist ein spezieller Link, der mir, solltet Ihr über diesen Link bei Amazon einkaufen, ein paar Cent Provision beschert. Am Preis ändert sich für Euch dadurch absolut gar nichts. 

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31 Kommentare
  1. Cihan schreibt:

    Schöner Text für den ich sehr gerne 0,19 Euro bezahlt hätte, aber leider scheitert die Registration bei LaterPay. Die Seite lädt neu, nachdem ich E-Mail- sowie Passwortfeld ausgefüllt habe und auf „Registrieren sie sich bei LaterPay“ drücke…

    • Richard schreibt:

      Oh, welchen Rechner / Browser nutzt Du? Darf Dich unser Techniker anmailen. So etwas interessiert uns sehr!

      • Cihan schreibt:

        Windows 7 und Chrome Version 36.0.1985.125 m (auch ohne AdBlock probiert)

    • Bei mir ist das mal am Adblocker gescheitert. Eventuell den mal ausschalten.

    • Daniel schreibt:

      Um den Text zu lesen und zu kaufen, ist keine Registrierung bei LaterPay nötig (denn das ist ja die grundsätzliche Idee). Ein Häkchen setzen, um die AGB zu akzeptieren, und dann auf den „Kaufen“-Button klicken, und sofort wird der vollständige Text freigeschaltet. So einfach ist das.
      Anmelden und Zahlen muss man sich erst, wenn man 5 Euro auf seiner übergreifenden LaterPay-Rechnung angesammelt hat.

      Full disclosure: Ich arbeite als Product Manager Games/Public Relations Manger bei LaterPay. Falls es also Probleme gibt, kurze Mail an support(at)laterpay.net – wir kümmern uns darum.

    • Klaus schreibt:

      WIn 8.1, Chrome 39.0.2171.71 m, kein Adblocker. Schwarzes Overlay über dem ganzen Fenster, aber nichts zum Anklicken und kein Text.

      • Richard schreibt:

        Wir sind schon dran an dem Problem. Danke für die Specs! Das hilft sehr weiter.

  2. Jannis K schreibt:

    Funktioniert hier mit Firefox auch nicht.

    • Richard schreibt:

      Schauen wir uns an – danke!

    • Katharina schreibt:

      Hier erst gleiches Problem. Aber mit einem einfach f5 ließ es sich lösen :)

Willkommen!