Eine Woche ist es her, dass wir mit LobbyPlag gestartet sind. Der Zuspruch war enorm. Ihr habt uns viele Fragen gestellt und auch einige Anregungen gegeben, wie wir die Plattform verbessern können. Parallel zur Weiterentwicklung von LobbyPlag haben wir uns wieder auf die Suche nach kopierten Textstellen zur EU-Datenschutzverordnung gemacht. Und wir sind fündig geworden – wenn auch anders als zunächst erwartet…
„Gesetze und Würste. Je weniger die Leute wissen, wie sie gemacht werden, desto besser schlafen sie.“
Otto von Bismarck
Die letzte Woche war anstrengend. Dutzende von Gesprächsanfragen, per E-Mail, Twitter und Facebook. Das Telefon klingelt in einer Tour. Das Feedback aus allen Teilen Europas zeigt, dass wir mit LobbyPlag offenbar einen Nerv getroffen haben. Sympathiebekundungen von Korrespondenten aber auch aus den Abgeordneten-Büros, die noch einmal darauf hinweisen, wie massiv der Einfluss der Lobbyisten in Berlin und Brüssel geworden ist.
So sehr wir uns über dieses (überwiegend) positive Feedback auch gefreut haben, irgendwann mal ist es nicht mehr möglich, der eigentlichen Arbeit nachzugehen. Mitte der Woche packe ich mein Laptop und ziehe mich an einen Ort zurück, an dem ich ungestört arbeiten kann. Mizpe Ramon in der Wüste Negev. Größtmögliche Einsamkeit bei bester WiFi-Anbindung (Es kommt nicht von ungefähr, dass Israel als Startup-Nation bezeichnet wird).
Life is a beta
LobbyPlag lässt sich nur schwer vergleichen mit Crowsourcing-Plattformen wie GuttenPlag oder VroniPlag, denn im Grunde genommen ist LobbyPlag in seinem aktuellen Stadium noch überwiegend Handarbeit. Zum einen, weil es uns wichtig war, mit der Arbeit zu starten, solange die Datenschutzgesetze noch nicht in Stein gemeisselt sind. Die Oberfläche ist noch „beta“ und wird kontinuierlich ausgebaut.
Zum anderen handelt es sich bei Gesetzestexten, anders als bei Doktorarbeiten, um eine sehr komplexe Materie, bei der es nicht allein damit getan ist, die Anzahl an Fundstellen zu dokumentieren. Oft sind es einzelne Begriffe, ja manchmal sogar nur Silben, die ein Gesetz in die eine oder andere Richtung drehen können.
Kleine Änderungen – große Wirkung
So hat beispielsweise die Änderung eines „Opt-In“ zu einem „Opt-Out“ millionenschwere Konsequenzen für die Geschäfte von Datenhändlern (siehe das Schmieren-Stück um das neue Meldegesetz im Deutschen Bundestag). Gleichzeitig sind es wenige Buchstaben, die für Jahre, vielleicht sogar für Jahrzehnte über die Privatsphäre von 500 Millionen EU-Bürger entscheiden können (die letzte EU-Datenschutznovelle liegt 17 Jahre zurück).
Both sides of the story
Haben wir uns in der ersten Woche überwiegend auf die Texte der Konzerne konzentriert, liegen uns seit vergangener Woche nun auch die Unterlagen einiger Datenschutzorganisationen vor. Auch hier sind wir – wenig überraschend – fündig geworden.
Während sich die allgemeine Durchdringung der Gesetzestexte durch die Corporate-Lobbyisten scheinbar auf mehrere Schultern verteilt, ist die Einflussnahme der Datenschützer eher auf die Initiative einzelner Abgeordneter zurückzuführen. Amelia Andersdotter, EU-Abgeordnete der Piraten, hat es tatsächlich fertig gebracht, den kompletten Katalog an Änderungswünschen der European Digital Rights Initiative (EDRi) für ihre Gesetzesanträge zu kopieren.
„Die Leute haben mich nicht gewählt, weil ich eine Expertin für Rechtswissenschaften bin, sondern weil sie mir vertrauen, dass ich mich für ihre Belange einsetze“, so Andersdotter. Als ich die junge Parlamentarierin Samstag Abend am Telefon erreiche, folgt eine längere Diskussion, bei der die 25jährige zeitweise regelrecht biestig wird: „We are not the problem“, versucht sie den Spieß herumzudrehen. „Actuallay YOU are!“ LobbyPlag lenke die Diskussion auf ein Thema, das völlig irrelavant sei. Es gehe nicht um Copy & Paste, sondern um die Werte, die man repräsentiere.
Moment mal: Wir auf einmal die Bösen? Nur weil wir wissen wollen, wer bei der Gesetzgebung so alles seine Hand im Spiel hat? Und das ausgerechnet von Piraten, die sich wie keine andere Gruppierung Transparenz auf die Fahne geschrieben haben? Ist Transparenz etwa nur dann gut, solange sie der richtigen Sache dient? Und wenn ja, wer definiert das?
„Ich glaube schon, dass da ein gewisser Unterschied besteht, ob man Partikularinteressen von der Industrie übernimmt oder aber gemeinnützige Anträge von einer Datenschutzorganisation“, so die österreichische EU-Abgeordnete Dr. Eva Lichtenberger (Die Grünen), die sich bei ihren Änderungsanträgen ebenfalls großzügig aus einem NGO-Papier bedient hat.
Wenn also Copy & Paste gar nicht das Problem ist, warum nicht offensiv damit umgehen und die Quelle für die eigenen Gesetzesvorlagen gleich von Anfang an transparent machen? „Ich bin dafür, dass wir das genauso offenlegen, von wem wir Material erhalten“, so Lichtenberger. „Das ist für mich überhaupt kein Problem!“.
„You are right“, räumt auch Amelia schließlich ein. „We could have done that.“
Die Moral…
Und so scheint mir, haben alle am Ende irgendwie etwas gelernt in dieser Woche:
Plattformen wie LobbyPlag bieten eine einzigartige Chance, Dinge sichtbar zu machen, die für uns bislang verborgen geblieben sind. Gleichzeitig verführen sie aber auch zu einer Art Betriebsblindheit in Bezug auf die Inhalte selbst. Nicht zuletzt wir Journalisten sind bekannt dafür, die billigste Story aufzublasen, das Wesentliche dabei aber oft außer acht zu lassen.
Am Ende geht es eben nicht ums Erbsenzählen sondern um die Erbsen selbst. Und die können, wie wir schon von den Gebrüdern Grimm wissen, selbst Prinzessinen um den Schlaf bringen.
Datenschützer unterrepräsentiert
Wer nach unserem jüngsten Fund den Eindruck hat, es herrsche zwischen Datenhändlern und Datenschützern Waffengleichheit, dem sei an dieser Stelle noch einmal gesagt, dass wir uns diese Woche bewusst die Papiere der Datenschützer vorgenommen haben, um uns nicht dem Vorwurf auszusetzen, einseitig zu recherchieren. Betrachten wir unsere vorl. Zwischenbilanz des ersten Ausschusses IMCO, so müssen wir feststellen, dass die Datenschützer mit ihren Forderungen deutlich unterrepräsentiert sind.
…
…
Spannend dürfte werden, wer sich in den kommenden beiden Ausschüssen mit seinen Vorschlägen durchsetzt. Insgesamt haben wir gerade mal 10 Prozent der uns vorliegenden 4000 Seiten an Lobby-Papieren angesehen. Sobald die Beschlüsse der beiden Ausschüsse bekannt sind, werden wir unser Material auf das Ergebnis hin überprüfen.
Wie es weiter geht
Diese Woche tagt in Brüssel der Industrie-, Forschungs-, und Energie-Ausschuss (ITRE), sowie der Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten (EMPL) des EU-Parlaments zur neuen Datenschutzverordnung. Die Beschlüsse dieser Ausschüsse gehen als Empfehlung ein in den Hauptausschuss Mitte April. Dort wird die Basis für das spätere Gesetzespaket gelegt, über den Ministerrat und Parlament am Ende abstimmen.
Neue Recherche-Tools
Parallel zu der Auswertung der Lobbypapiere arbeitet LobbyPlag am Ausbau der Crowdsourcing-Funktionalität seiner Seite. Dazu hat Sebastian von OpenDataCity heute ein neues Analysetool für den öffentlichen Gebrauch freigeschaltet:
Dabei handelt es sich um die Beta-Version unserer Research-Oberfläche, die es ermöglicht, einzelne Textpassagen mit den gesammelten Gesetzeseingaben der Parlamentarier abzugleichen. In einem nächsten Schritt wollen wir die Fundstellen über ein Verifizierungs-System überprüfen lassen. Das ist sogar noch komplizierter, als es klingt. Aber die Jungs von OpenDataCity sind guter Dinge!
Um die immer komplexer werdenden Programmierarbeiten von LobbyPlag zu unterstützen, haben wir in der vergangenen Woche ein Crowdfunding-Projekt ins Leben gerufen. Wer uns unterstützen will, die Webadresse lautet: krautreporter.de/lobbyplag .
(siehe auch Teil 1: LobbyPlag – Die Copy & Paste-Gesetzgeber von Brüssel)
Interessant, danke.
Ein Hinweis:
Du hast in der Box oben „KOMMMENTARE“ geschrieben, da ist ein „m“ zuviel ;)
[…] der EU teilweise von Lobbyisten-Papieren abgeschrieben wurde. Nach ein paar Tagen kam ein Update und es wurde auch dargelegt, dass ebenso von Verbraucherschutz-Organisationen abgeschrieben wurde. […]