Wetten dass… SmartTVs alles andere als smart sind und dass die Zukunft des Fernsehens den dummen First- und den schlauen Second Screens gehört?

1. Das Lagerfeuer ist aus aber brennt woanders weiter

Der Begriff „SocialTV“ bestimmt zur Zeit wieder alle Medienkonferenzen. Als ob wir es mit einem neuen Phänomen zu tun hätten. Fernsehen war schon immer „social“. Was sich geändert hat, ist die Art und Weise, wie wir gemeinsam fernsehen. Das familiäre Lagerfeuer, das Kulenkampff, Carrell oder Gottschalk einst entfacht hatten, ist erloschen und einem Meer von LCD-Bildschirmen gewichen. Ob auf dem iPad unterwegs oder auf dem Laptop im Kinderzimmer, sämtliche Studien deuten darauf hin: Mit den neuen technischen Möglichkeiten beginnen die (einst passiven) Zuschauer nach und nach damit, sich ihr Wunsch-Programm selbst à la carte zusammenzustellen.

Das Digitale Quartett vom Sonntag-Abend zum Thema SocialTV

2. 80 Millionen potentielle Programmdirektoren

Mediatheken und Set-Top-Boxen machen es möglich, dass wir nicht mehr länger nur durch die Kanäle zappen können, sondern auch durch die Zeit. Lust auf einen Mad-Men-Marathon? Kein Problem; die Festplatte, die Cloud oder YouTube ist unser Freund. „Niemand will sein eigener Programmdirektor sein!“ habe ich meinen früheren Fernsehdirektor noch im Ohr. Daran habe ich schon damals nie geglaubt. Folgt man dieser Logik, wozu dann überhaupt eine Fernbedienung?

Hier geht’s zur Second Screen App von Wetten dass..?

3. Live-Events – gemeinsam einsam

Natürlich gibt es immer Momente, da wollen wir nicht isoliert voneinander auf den Bildschirm starren. Bei großen Live-Events (wie gestern bei der Markus-Lanz-Premiere von Wetten dass..?) treffen wir uns wieder zum kollektiven Rudel-Glotzen. Hier geht es darum, sich als Teil einer Gemeinschaft zu erfahren, die zusammen lernt, lacht und leidet. Dazu braucht man keine Familie, keine Kneipe an der Ecke oder Fan-Meile. Mit dem Laptop auf dem Sofa ist man mit der ganzen Welt verbunden. Social Viewing statt Public Viewing. Gemeinsam einsam.

4. Kein Second- ohne den First Screen

Das Netz als gigantischer Verstärker, ein Kosmos, dem es aufgrund seiner dezentralen Struktur auch immer wieder gelingt, sich den Gesetzen klassischer Programmplaner und Gatekeeper zu entziehen („Shitstorm happens“). Und doch ist diese Web-Welt nicht so unabhängig, wie es manche Internet-People gerne hätten. Kein Second Screen ohne den First Screen. Twitter ohne Bild, BamS und Glotze wäre sicher um einiges geistreicher – aber eben auch verdammt öde.

„Die Macht“ – die Second Screen App zur „rundshow“

5. SmartTV: Dead On Arrival

Und so müht sich die Fernsehindustrie seit Jahren damit ab, Fernsehen und Internet irgendwie unter eine Haube zu bekommen. Ob auf der IFA in Berlin oder im Institut für Rundfunktechnik in München-Freimann; über die letzten Jahre hinweg habe ich die Entwicklung der Hybrid- und SmartTVs interessiert mitverfolgt. Funktionen und Userinterfaces sind in der Tat umfangreicher und vor allem benutzerfreundlicher geworden. Das ganze dummerweise 5 Jahre zu spät.

6. Smartphones sind smarter und schneller

Das Problem: SmartTVs besitzen keine Funktion, die mein Smartphone nicht mittlerweile genau so gut – in vielen Fällen sogar besser – beherrscht. Natürlich kann ich den Wetterbericht, Tweets oder Börsenkurse als Picture-in-Picture-Darstellung 3 bis 4 Meter weit entfernt auf dem Fernsehbildschirm studieren. Aber im Ernst: Wer macht das? Im Vergleich zu Smart-TV-Anwendungen, unabhängig von Hersteller oder Betriebssystem, komme ich mit meinem Smartphone/Tablet fast überall schneller, komfortabler und punktgenauer ans Ziel, als über den Umweg Fernbedienung/Fernseher. Hinzu kommt: Ich nerve keine Familienmitglieder mit meinen permanenten Einblendungen.

7. HbbTV und SmartTV in der Sackgasse

Vor allem aber krankt das SmartTV-Konzept an einem ganz zentralen Punkt: SmartTV-Geräte sind nicht mobil! Die Schaltzentrale, also das, was die SmartTVs überhaupt erst smart macht, ist fest verbaut in einem riesigen, unhandlichen Bildschirm, der bei mir im Wohnzimmer an die Wand gedübelt ist. Was aber, wenn ich im Zug sitze oder abends im Hotelzimmer Lust auf eine alte Folge Simpsons habe? Dann schaue ich mit meinem SmartTV zuhause an der Wand dumm aus der Wäsche bzw. in die Röhre.

Das eigentliche SmartTV?

8. Dumme First- und smarte Second Screens

Die Lösung kann daher eigentlich nur die folgende sein: dumme Bildschirme statt schlaue Fernseher. Die werden größer, flacher und stylischer sein, am Ende aber dienen sie lediglich als Projektionsflächen für jene Inhalte, die wir uns via Smartphone/Tablet aus der Wolke holen. Damit wäre auch endlich das Problem der gefühlten 17 Fernbedienungen gelöst. Meine Überzeugung: Die Zukunft gehört den dummen, stationären First- und den smarten, mobilen Second Screens.

9. TV-Branche in der Kompetenzfalle

Ob Programmanbieter, Kabelnetzbetreiber oder Gerätehersteller, die TV-Branche steckt in einer Kompetenzfalle. Man kennt und beherrscht sein Geschäft so gut, dass man nicht in der Lage ist, out-of-the-(TV)-box zu denken. Was in solchen Phasen geschieht, ist, dass ausgerechnet die Platzhirsche den Anschluss verpassen. Frühere Branchenprimusse (-Primi? -Primaten?) wie Sony, Nokia oder Kodak können ein Lied davon singen.

9 1/2. Fernsehen muss sich neu erfinden

Wir TV-Macher wären gut beraten, unsere Arroganz des einstigen „Leitmediums“ abzulegen und uns jetzt daran zu machen, mit all dem Geld und den Resourcen, über die wir (noch) verfügen, uns neu zu erfinden. „Wozu die Eile?“, höre ich die Verantwortlichen sagen. Noch nie hätten die Menschen so viel ferngesehen wie heute. Die Zahlen geben ihnen recht. Genauso, wie die Zahlen einst den Zeitungsverlegern und den Plattenbossen Ende der Neunziger Jahre recht gegeben haben. Dann kam der Sturm.

Print- und Musik-Industrie Ende der 90er auf dem Höhepunkt
Mein Fernseher daheim

Ausblick

„Fernsehen ist wie YouTube – nur kaputt“, hat ein Digital Native das Problem mal auf den Punkt gebracht. Doch wie lässt es sich reparieren? Angeblich soll Steve Jobs kurz vor seinem Tod eine Lösung gefunden haben („I finally cracked it„). Wird Apple nach der Musik-, der Mobilfunk- und der Printindustrie auch noch die TV-Branche revolutionieren? Nach meinen letzten Gesprächen mit „gut informierten Quellen“ aus Cupertino bin ich mir da nicht mehr so sicher. Woran ich aber glaube: Die Lösung wird nicht von einem der aktuellen Player aus dem TV-Business kommen, sondern von einem Branchen-Neuling, der mit Fernsehen zuvor wenig oder vielleicht sogar gar nichts zu tun hatte.

Wetten dass..?

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23 Kommentare
  1. mstemmle schreibt:

    Diese SmartTV-kritik ist eine Kritik an der Fragmentierung und der Verschlossenheit durch die Hersteller, nicht an dem Konzept Inhalte modular auf einem Bildschirm darzustellen. Das schließt eine Second-Screen Nutzung natürlich nicht aus.

    Wenn wir nur eine SmartTV-Plattform hätten die dazu auch offen ist (̶A̶p̶p̶l̶e̶), könnte eine breite Nutzerbasis Expertise entwickeln und die Plattform weiterentwickeln. Da werden dann automatisch Konzepte entstehen, die besser sind, als Alles was sich die Samsungs und Sonys dieser Welt zur Zeit ausdenken und patentieren lassen. „Die Lösung wird nicht von einem der aktuellen Player aus dem TV-Business kommen…“ D’accord! Ich brauch aber auch keine zusätzliche Box, wenn der SmartTV sowieso schon genug Rechenleistung mitbringt.

    Aber warum keine zusätzlichen (Text-)Inhalte halb-transparent oder in den Freiräumen die entstehen, wenn die Seitenverhältnisse von produziertem Fernsehbild und Fernseher nicht übereinstimmen, darstellen? Potenziell wünscht der Nutzer sowas, er weiß er vielleicht noch nicht. Insgesamt eine Riesenchance für die Barrierefreiheit!

    Das Gegenkonzept zur Fernbedienung heißt klassisch Tastatur oder eben SecondScreen. Wenn ich unterwegs bin streamt mir der SmartTV sein Bild aufs Tablet. Das geht sogar heute schon :)

    • Richard schreibt:

      D’accord. Mit einer Gegenthese: Warum sollte der TV-Screen mir den Inhalt auf das Tablett streamen – und nicht umgekehrt? Was passiert, wenn ich mit dem Gerät das Haus / Netzwerk verlasse?

      • mstemmle schreibt:

        Naja schon in beide Richtungen streamen – je nach dem, wo der gerade interessantere Inhalt ist. Wenn du mit dem Tablet das Haus verlässt, nimmst du alles mit, was eben zu Hause auch verfügbar ist – VPN. Auch ins Ausland etc. und ohne Fremddienst, nur eben über die eigene Bandbreite.

        Szenario: Du guckst nen Film auf Fernsehsender X über Astra 19,2° E, Anruf kommt rein – du musst los. Online-Verwertungsrechte hat der Privatsender X nicht/kein Anbieterstream verfügbar. Erstmal timeshift auf dem TV an, losgehen und dann mit dem Tablet in der Bahn genau an der Stelle weiter gucken, ohne suchen ohne Einstellungen – nur connect, play/resume.

        • Richard schreibt:

          Funktioniert sogar noch besser, wenn der Inhalt nicht mehr bei Dir zuhause, sondern auf dem Sender-Server/ beim Provider zwischengespeichert liegt. Zum Abspielen reicht eine schlanke, mobile Steuereinheit; der Fernseher selbst muss lediglich das Signal deines Smartphones/Tablets empfangen. Auf die Art und Weise habe ich vor 2 Wochen „Schlag den Raab“ in Israel live geschaut. Web-Videostream (ProSieben) -> iPhone (im WLAN-Netz)-> Flatscreen (Empfang über Apple-AirPlay). Während das Telefon „sendete“, konnte ich parallel damit twittern und im Web surfen. Das Telefon genügt. Alles drin.

  2. Jens Schmidt schreibt:

    Das ist noch einmal ein schöner Fokus auf das Web TV Thema, das gestern in der Diskussion leider etwas zu kurz gekommen ist. Ich teile deine Meinung zur Aussage: „Niemand will sein eigener Programmdirektor sein!“ Das ist gestern schon falsch gewesen und inzwischen absurd geworden. Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2012 (!) sagt dazu: „Bereits 13 Prozent der Fernsehzuschauer nutzen gelegentlich neben dem Fernsehen den Second Screen des Smartphones, des Tablet oder des Laptops.” http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/

    Bei Econsultancy findet man die Zahl 24 Prozent Second Screen-Nutzer für das United Kindom. http://econsultancy.com/de/blog/10570-24-of-people-use-second-screens-while-watching-tv

    Die Kunst wird in Zukunft sein, dieses wachsende Interesse an Zusatzinformationen und Austausch so zu konzipieren, dass eine „schlaue” Second Screen Anwendung entsteht. Second Screen muss die Informationen aus sozialen Netzwerken zusammenführen, kommentieren, Interessantes herausstellen und mit weiterführenden relevanten Informationen anreicheren. Es muss einen „Qualtitätsdialog” entstehen können, der anderswo in dieser Form nicht möglich ist. Das fordert auch eine neue Art redaktioneller Auseinandersetzung. Die Kompetenz dazu muss bei den Fernsehsendern noch optimiert werden, aber der Wille und die Offenheit dazu ist da, was für mich gestern ein sehr positives Signal war.

    Und noch ein Interessanter Link für die ZDF Second Screen Anwendung für „Wetten dass…?”. Der Link unten führt zum tatsächlichen (Second) Screen wie man ihn während der Sendung sieht. Die Abbildung die du oben zeigst, ist nur eine Archivauswahl-Startseite: http://webapp.wettendass.de/sendung/gast/duesseldorf-2012/#backstage

    • Richard schreibt:

      Danke Jens für das ausführliche Feedback. Ich freue mich, dass sich in unseren Häusern immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass wir was tun müssen – auch wenn es heute „nur“ 13 bzw. 24 Prozent unserer Zuschauer betrifft. Mit der Wetten dass..? App geht Ihr definitiv den richtigen Weg und sammelt wichtige Erfahrungen, für alles was da noch kommt. Ich freue mich für und mit allen Pionieren wie Euch. (Danke für den Link, ich baue ihn oben ins Bild mit ein).

    • Ich muss sanft widersprechen. Die vernetzte Nutzung von TV und Internet ist keine „Nischenveranstaltung“ wie die Ergebnisse der ARD/ZDF Online Studie vermuten lassen.

      Anywab hat im Juni eine umfassende Online-Untersuchung zum Thema Second Screen realisiert und zwar in der werberelevanten und medienaktiven Zielgruppe der 14-49 jährigen. Wir kommen auf einen beeindruckenden Wert von 49% gelegentlicher Second Screen Nutzung. Damit eins klar ist, die Studie ist von uns in Eigeninitiative durchgeführt worden. Da stehen keinerlei Interessen dahinter. Wie kommt es aber zu einer solchen Abweichung:

      – ARD/ZDF hat alle Altersgruppen befragt. Das sind 17 Mio. Menschen mehr!
      – Wir haben online befragt, ARD/ZDF hat sich für den Medienbruch entschieden und
      telefonisch befragt. Da geht erfahrungsgemäß etwas flöten.
      – Wir haben die Second Screen Nutzung nach konkreten Nutzungsarten abgefragt und
      die Ergebnisse dann in der Gesamtnutzung zusammengefasst. So haben wir u.a. den
      Bereich Online-Wetten parallel zum Live-Sport Event mit abgefragt oder die Suche
      im Intrnet mit Bezug zur aktuell laufenden Sendung.

      Im Dezember werden wir die zweite Welle veröffentlichen und die Veränderung im Zeitablauf nachzuweisen.

      Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Potentiale der Second Screen Nutzung in drei Bereichen liegen:
      1. Information. Die User nutzen den Second Screen um Infos über Schauspieler, Regisseure, Reiseziele, Produkte zu sammeln. Mit Bezug zum laufenden TV-Programm
      2. Entertainment. Die User haben Spass mit Bezug zur Sendung zu Quizzen, zu Wetten und zu Voten. Sie werden auch Spass daran haben, Politiker live to bewerten oder Schiedsrichterentscheidungen zu kommentieren. Der Second Screen wird der Rückkanal für die Zuschauer und steigert so die Attraktivität des First Screen.
      3. Social Media. Die Fernsehzuschauer nutzen ihre soziales Netzwerk, um das aktuelle Programm zu kommentieren bzw. zu lesen, was das Netzwerk macht.

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