Schon oft wurde Facebook für tot erklärt. Doch pünktlich zu seinem 10. Geburtstag steht das Soziale Netzwerk so gut da, wie noch nie zuvor. Woran das wohl liegt?

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Liebes, verhasstes Facebook …

… wir müssen reden. Zehn Jahre bist Du jetzt alt. Glückwunsch. Zeit für eine persönliche Bilanz: 28 Tage, vier Stunden und fünf Minuten. So viel Lebenszeit hast Du mir schon gestohlen in den sieben Jahren, in denen ich bei Dir Mitglied bin. 17 Minuten verbringt ein durchschnittlicher Facebook-Nutzer wie ich täglich auf Deinen Seiten und hinterlässt dabei einen Wust an mit unter sehr persönlichen Informationen. Lange dachte ich, ich sei Dein Kunde. Dabei verhält es sich genau umgekehrt: Ich bin das Produkt mit dem Du Dein Geld verdienst. Meine Geheimnisse sind Dein Kapital.

Das Internet vergisst nie – und Facebook nie-er

Weißt Du noch, wie Dir damals dieses Missgeschick passiert ist und Du aus Versehen einem Deiner Nutzer verraten hast, was Du alles über ihn weißt? Max Schrems, Datenschutzaktivist aus Wien, war es gelungen, an die ungefilterten Rohdaten zu kommen, die Du in nur drei Jahren über ihn heimlich gesammelt hast. Das Ergebnis: 1200 Schreibmaschinenseiten gespickt mit Hardware-, Orts- und Zeitangaben, Fotos und vertraulichen Chatprotokollen, die Schrems, wie er sagt, eigentlich schon längst gelöscht hatte. Damit erinnerst Du mich fast ein wenig an meine Frau. Die vergisst nämlich auch nichts. Nie.

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Das Ende des Privaten

Julian Assange würde Dich sicher nicht „liken“. Der WikiLeaks-Gründer bezeichnet Dich gar als Spionage-Werkzeug der US-Regierung. „Die Menschen sind auf Facebook, um flachgelegt zu werden“, hat er mir mal erklärt. Assange sagt: Wer bei Dir Mitglied ist, tut das vor allem hormongetrieben, um mit Deiner Hilfe potentielle Kandidaten zur Fortpflanzung zu finden. Die Geheimdienste würden sich dieser menschlichen Schwäche bedienen und gelangen so an Informationen, an die sonst keiner rankäme. Damals, vor zwei Jahren, habe ich Assange ob dieser Verschwörungstheorie noch für total durchgeknallt gehalten. Heute tue ich das nicht mehr.

Das Konzept von Privatsphäre habe sich ja ohnehin überlebt, hat Dein Schöpfer, Mark Zuckerberg mal gesagt, und das lange noch vor dem NSA-Skandal. Dass Mr. Zuckerberg nicht sonderlich viel vom Datenschutz hält, ist kein Geheimnis. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Wisconsin-Milwaukee hat sich die Mühe gemacht, sämtliche Interviews und Äußerungen Deines „Sugar“-Daddys zu sammeln und auszuwerten. Dabei stellte er fest, dass der Begriff „Privatsphäre“ bei Euch im Silicon Valley offenbar so gut wie gar nicht existiert. Nur 68 mal habe Zuckerberg das Wort bislang öffentlich in den Mund genommen, so der Autor der Zuckerberg Files. Eine verschwindend geringe Zahl, wenn man berücksichtigt, wie oft Dein Herr Pappa in den vergangenen Jahren doch immer wieder auf dieses Thema hin angesprochen wurde.

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Die Arroganz der Macht

Einmal hast Du mich zuhause bei Dir empfangen, das war noch in Deiner alten Butze in Palo Alto. Das Großraumbüro, in dem Deine Programmierer saßen, erinnerte mehr an einen Kinderspiel-, als an einen Arbeitsplatz: Skateboards, Tischtennisplatten, ein Basketballplatz und überall Cola, Obst und Süßigkeiten für mau. Aber so einfach lasse ich mich nicht blenden. Natürlich weiß ich, wie mächtig Du bist. Du hockst nicht nur auf Yottabytes von Daten, Du thronst auch auf einem gigantischen Berg an Kapital, das Du durch den Börsengang vor zwei Jahren eingesammelt hast.

Mit einem Börsenwert von 156 Milliarden US-Dollar verputzt Du DAX-Konzerne wie Volkswagen oder Siemens zum Frühstück. 28 Millionen Nutzer hast Du allein in Deutschland, 1,2 Milliarden aktive Nutzer weltweit. Jeder zweite Internetnutzer weltweit surft auf Deiner Welle. Kein Werbetreibender kommt mehr an Dir vorbei. Diese Marktmacht kriegen vor allem diejenigen zu spüren, die nicht bereit sind, regelmäßig größere Summen an Dich zu überweisen. Fehlt nur noch, dass Du Anzeigenkunden, die lieber bei Google Reklame schalten, einen Pferdekopf ins Bett legst.

Nicht tot zu kriegen

Das Netz ist voll mit Beschwerden von Werbetreibenden, die sich von Dir mies behandelt fühlen. „Wer nicht bereit ist, mindestens 10.000 Euro monatlich auf den Tisch zu legen, der wird von Facebook ignoriert“, hat Alex neulich gepetzt, der für eine Marketingfirma in Köln Tausende von Werbekunden betreut. Tatsächlich vertröstest Du solche Tagelöhner mit einer Do-it-yourself-Seite im Netz: „Deinen Angaben zufolge sind unsere Selbstbedienungsoptionen die besten Werbelösungen für Dich.“ Deine Telefonnummer aber bekommen nur Premium-Kunden, die sich diese Sonderbehandlung ordentlich was kosten lassen.

Oft wurdest Du schon für tot erklärt – auch von mir. Mitgliederschwund, fehlender Coolness-Faktor, ein einsetzender Exodus der jungen Leute. Den Vogel aber schoss die Princeton-Universität ab, die vergangene Woche eine Rechnung [PDF ]präsentierte, wonach Facebook seinen Zenit überschritten habe und in drei Jahren dicht machen könne. Genüsslich hast Du diesen Fehdehandschuh aufgehoben und der Elite-Universität vorgerechnet, dass auch sie nach dieser Logik spätestens 2017 ohne Studenten da stünde. Bam!

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Keiner mag Dich

So sehr ich Dir Deinen Erfolg gönne, mein liebes, verhasstes Facebook, ich hoffe ich trete Dir nicht zu nahe, wenn ich Dir sage, dass ich Dich nicht besonders leiden kann. Mit dieser Meinung bin ich übrigens nicht allein. Auf einer nach unten offenen Beliebtheitsskala rangierst Du aktuell irgendwo zwischen Markus Lanz und FDP. Oft habe ich schon daran gedacht, den Stecker zu ziehen, mich bei Dir abzumelden. Aber ich traue mich nicht, zumindest nicht solange Du einen Großteil meiner echten wie auch falschen Freunde in Geiselhaft hältst.

Wie soll das also weitergehen mit uns beiden? Angeblich arbeitest Du an einer ganzen Reihe von Smartphone-Apps. Denn Du bist nicht blöd. Der PC ist tot, die Schlacht wird künftig auf den Mobilgeräten entschieden. In atemberaubender Geschwindigkeit hast Du Deinen Kurs korrigiert, als Du gemerkt hast, dass Dir Messenger-Dienste wie WhatsApp (30 Millionen Nutzer allein in Deutschland) den Schneid abkaufen. Einen Kalender fürs Handy willst Du bald herausbringen, munkelt man, eine Video-Plattform à la YouTube.

Hat Papier Zukunft?

In den USA kommt jetzt erst einmal Deine News-App auf den Markt. Bezeichnenderweise trägt sie den schönen Namen Paper. Mehr Substanz, weniger Gewäsch, lautet die Devise. Damit hast Du nicht nur allen Katzenvideo-Fans und Food-Fotografen den Kampf angesagt. Mit Paper willst Du mir eine elektronische Zeitung mit qualitativen Inhalten bieten, maßgeschneidert nach meinen persönlichen Interessen. Ich bin gespannt. Und auch ein bisschen besorgt. 28 Tage, vier Stunden und fünf Minuten meiner Lebenszeit hast Du mich schon gekostet. Ob ich wohl jemals wieder von Dir loskomme?

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13 Kommentare
  1. Don schreibt:

    Ich gebe zu ich tue mich schwer keinen Hassbrief über Facebook zu schreiben, aber ich werde es mal versuchen.

    Grund hierfür ist, dass nicht nur vielen Leuten ihre eigenen Daten egal sind und auch die Abhängigkeit von dieser Plattform in Punkto Funktionen und Erreichbarkeit beispielsweise, sondern eben auch die Daten und die Freiheit anderer.

    Ohne zu zögern und vor allem ohne Nachzudenken, werden private Informationen auch über Nicht-Nutzer weitergegeben und somit Facebook vollkommen (kostenlos) zur Verfügung gestellt. Wie der Fall von Max Schrems zeigt (sehr interessant übrigens, kannte ich (leider) noch nicht), bringt auch der gesetzliche Anspruch bei Facebook nahezu nichts, da es ja ein amerikanisches Unternehmen ist, blabla.

    Mich mahnen immer Leute dazu, das nicht zu dramatisieren, wär doch alles nicht so schlimm, was wollen die schon mit den Daten… wie mich diese grenzenlose Naivität und Ignoranz nervt.

    Mark Zuckerberg hat einerseits Recht, für viele Leute scheint es keine Privatsphäre mehr zu geben, viel zu verlockend sind die Aussichten auf tolle Selbstinszenierung und maßgeschneiderte Angebote, alles kostenlos und so einfach und zentral.

    Aber andererseits hat er vollkommen Unrecht, denn Privatsphäre ist und wird immer wichtig sein, denn Post-Privacy, in der niemand das Wissen von und über Andere missbraucht, ist eine Utopie.
    Alles über jeden zu wissen, ein gläserner Mensch zu sein, ist eine Gefahr. Man ist erpressbar, einschätzbar, manipulierbar.
    Freiheit heißt Freiheit sich zu entscheiden und nicht, dass Entscheidungen schon vorher getroffen werden und das Leben nicht mehr selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt ist.

    Wenn ich dann merke, wie das schlicht ignoriert wird und den Zwang spüre, auch zur Nutzung von Facebook gedrängt zu werden, dann hört für mich der Spaß auf.

    Wenn man FB-Nutzern auf die Nerven geht und ihnen die Argumente, die für eine Nutzung sprechen, ausgehen, wird immer gesagt „Es ist aber immer noch meine Entscheidung ob ich das nutze oder nicht“. Ja mag sein, aber ist es dann nicht auch meine Entscheidung es nicht zu nutzen?
    Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, aber nur missmutig wird akzeptiert, dass man nicht daran teilnimmt, zumindest in einer gewissen Altersgruppe, die sehr gut zum Diagramm passt im übrigen.
    Akzeptieren würde heißen, dass man eben nicht komplett abgeschnitten wird, sondern trotzdem die coolen Fotos von der letzten Feier bekommt oder andere Informationen die primär darüber geteilt werden, mitbekommt bzw. zu zugeschickt bekommt.
    Hauptsächlich im nicht-beruflichen Umfeld (aber selbst dort), also im privaten aber auch Vereinsgeschehen, wird es immer schwerer gegen die Windmühlen zu kämpfen.

    Es wäre schön, wenn gerade die Menschen, die Zweifel haben und nur wegen ihrer Kontakte auf Facebook bleiben, austreten würden. Denn das würde das Leben von Nicht-Nutzern erleichtern, da es die Nutzer dazu Zwingen würde, wieder andere Kanäle zu nutzen und sie sich nicht auf die schiere Masse berufen könnten.

    MfG

    Ihr Don Quijote

    • Richard schreibt:

      Hallo Don Quijote, danke für die mahnenden und v.a. konstruktiven Worte. Das Phänomen „Peer pressure“ ist ein wichtiger Punkt. Einfach mal eben so auszuscheren, sich eben NICHT bei FB blicken zu lassen, kann unmittelbare Folgen auch jenseits des Webs haben. Einladungen zu Parties, Termine, Fotos von der Klassenfahrt oder vom Betriebsausflug. Das Argument: Man macht das ja freiwillig stimmt so einfach nicht. Ich bin wirklich kein Freund von Regulierung – aber wenn ein Netzwerk 50, 60, 70 Prozent Marktanteil erreicht, muss sichergestellt sein, dass es nach den Regeln spielt: Voller Zugang zu den Daten, die über einen gespeichert werden (pfeift FB bis heute drauf), die Möglichkeit, Inhalte vollständig zu löschen (ebenso nicht möglich), Privacy per default. Klar, FB wäre nie so schnell so groß geworden, hätte es sich auch nur an eine dieser Regeln gehalten. Spätestens JETZT aber wäre es an der Zeit, diese „Versäumnisse“ nachzuholen. Ich fürchte nur, Facebook wird das alles auch in Zukunft piep-egal bleiben.

      • Don schreibt:

        Ich sehe die Verantwortung allerdings auch bei den Nutzern.

        Man könnte durchaus Jabber-Clients zum Chatten nutzen (da gibt es z.b. ganz einfach zu installierende Plugins für Verschlüsselung und es gibt sogar Clients für Android und iOS) und ein bisschen Speicherplatz oder ein wirklich privates Email-Konto kostet nicht viel Geld, zumindest Erwachsene die kein Hartz4 beziehen oder in einem ähnlichen Zustand leben, sollten die paar Euro im Monat vll. übrig haben.
        Mit WordPress (was ich zwar nicht so sehr mag aber was will man machen) aber auch mit normalen Html (sieht dann zwar nicht direkt super aus, aber immerhin) ist es auch kein Problem eine eigene Homepage aufzusetzen.
        Mit ein wenig Einarbeitung dürften auch Passwortgeschützte Bereiche und Inhalte möglich sein, wenn nicht sogar Account gebunden.
        Statt irgentwelcher Facebook-„Abos“ könnte man auch normale Feedreader nutzen.

        Es gibt noch unzählige weitere Programme zum Austausch von Daten, Voice-Chat etc.

        Anstatt also die Verantwortung primär auf die Politik oder die Unternehmen zu schieben, könnte man auch selbst etwas tun. Natürlich sitzt die Politik immer am längsten Hebel und zumindest gegen diese Massenüberwachung kann (und muss) man langfristig und effektiv nur politisch etwas tun… wenn Leute vom BKA offen für eine TOR-Nutzungsmeldepflicht plädieren, kommen einem schon ziemliche Bedenken…
        Aber ich sehe da keinerlei Interesse nur mal nach Alternativen zu suchen, geschweige denn sich über diese zu informieren.
        Selbst wenn es plötzlich perfekte Datenschutzgesetze, die weltweit gelten würden und es dazu noch effektive Behörden und Möglichkeiten (wohlgemerkt) gäbe, Verstöße zu verfolgen, was, seien wir mal ehrlich, extrem unwahrscheinlich ist, dann läge der Hebel immer noch bei den Unternehmen. Ich bin dafür, dass die Menschen Produkte kaufen die sie dann selbst (mündig) bedienen und auf Wunsch erweitern und verändern können und nicht immer alles nur noch auf Knebel-Vertrags-Dienstleistungen hinausläuft.

        Währenddessen man mithilfe von Gesetzen durchaus die staatliche Überwachung stark beschränken könnte, wofür leider auch keine Anzeichen zu erkennen sind, so würden Unternehmen sich, meiner Meinung nach sehr viel mehr als Staatsbedienstete, Mittel und Wege suchen ihre Interessen durchzusetzen.

  2. Thilo schreibt:

    Die Studie ist nicht von der Princten Universität!

    Die Studie ist von 2 Studenten der Princten Universität und wurde von diesen auf einem Portal veröffentlicht, wo viele Studenten ihre Arbeiten veröffentlicht, bevor die Arbeiten in den Peer Review gehen. Es fand kein Peer Review statt.

    • Richard schreibt:

      Danke für diese Präzisierung. Du weißt, wir Journos lieben es, Dinge (unzulässig) zu verkürzen.

Willkommen!