Er ist einer der streitbarsten Aktivisten in der Geschichte des Internet – Julian Assange. Gestern hatte ich Gelegenheit, Face-to-Skype mit dem WikiLeaks-Gründer zu sprechen.
Breaking Request
Die Mail kam Sonntag um 16:38 Uhr und sie trug den Titel „Breaking Request“. Keine 38 Stunden später finde ich mich auf einem Podest des Convention Centers der Messe Hannover wieder, eingekreist von rund 1000 Konferenzteilnehmern und spreche mit Julian Assange.
Persönlichkeit der Zeitgeschichte
Beliebte Frage bei Einstellungstests für Journalisten: Wen würden Sie gerne mal interviewen? Bis vor kurzem lautete meine Standard-Antwort Steve Jobs. Nach dessen Tod war es der WikiLeaks-Gründer. Kein Mann polarisiert mehr wie als Julian Assange. Niemand ist so schwer zu greifen, physisch wie geistig. Ein Mann mit einer großen Vision und einem noch größeren Ego.
Allüren eines Rockstars
Narzist? Provokateur? Visionär? So sehr ich mich auch anstrenge, Assange passt in keine der vielen Schubladen, die ich mir im Laufe meines Lebens angelegt habe. Gerne hätte ich ein paar Hintergründe dazu ausgebreitet, wie dieses Gespräch zu Stande kam. Doch die vielbeschworene Transparenz, die Assange stets von anderen einfordert, für ihn selbst gilt sie nicht.
So wurde den Veranstaltern des Convention Camps rund um Ingo Stoll von der Kommunikationsagentur neuwaerts genau diktiert, über welche Kanäle der Auftritt Assanges verbreitet und verwertet werden durfte.
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Dystopie statt Utopie
„Das Internet kann uns befreien aber auch versklaven“, so der Australier. Für Regierungen stelle das Netz aber auch einen noch nie da gewesenen Kontrollverlust dar, ein Umstand, den die Staatsgewalt mit allen Mitteln zu bekämpfen versuche.
Laut Assange steuern wir auf eine Dystopie zu, deren Anfänge wir bereits heute erleben können: Vorratsdatenspeicherung unter dem Vorwand der Terroristenjagd. Facebook als „CIA-Spionage-Maschine“, bei der die Teilnehmer praktischerweise ihre eigenen Akten gleich gegenseitig anlegen. Assange vergleicht das Freunde-Netzwerk gar mit dem Spitzelsystem der STASI in der DDR. Weil Facebook die Anfragen der Behörden nicht mehr bewältigen könne, habe man eine Art Backdoor eingerichtet, über welche die Ermittler Zugriff auf alle Nutzerdaten hätten.
Die Motivation, sein Leben freiwillig bei Facebook auszubreiten, sei ganz einfach, sagt Assange: Sie basiert auf der Hoffnung, flachgelegt zu werden (ich musste an dieser Stelle noch einmal nachfragen, weil ich zunächst dachte, mich verhört zu haben). Die Geheimdienste nützten diese menschliche Schwäche schamlos aus.
„…you have to take control o[f| him. Control means financial, sexual or psychological control…“
Aus dem Stratfor-Leak The Global Intelligence Files
Das Web, ein totalitäres Überwachungssystem
10 Millionen Dollar koste es, die Kommunikation eines mittleren Landes ein Jahr lang abzufangen und zu speichern, behaupten Assange und seine Mitstreiter in Cypherpunks. Es sei viel günstiger, gleich alle zu überwachen, als einzelne Telefone anzuzapfen und sich im Zweifel immer wieder neue Genehmigungen beim Richter holen zu müssen. Sascha Pallenberg später in einer Nachbetrachtung: „Wär ich Geheimdienst, ich würd’s genauso machen!“
Hoffnung aus dem Universum
Es gebe Hoffnung, sagt Assange, wenn auch nur eine vage. Kryptographie – Verschlüsselungstechnologie. Wenn wir es uns zur Gewohnheit machen würden, unsere gesamte Kommunikation über verschlüsselte Wege zu führen, könne der Traum eines freien Internet doch noch wahr werden. „Das Universum glaubt an die Kryptographie“ sagt Assange in dem Skype-Schaltgespräch.
Literarisches Verschwörungs-Quartett: Auf diesem Gespräch basiert das Buch „Cypherpunks“
WikiLeaks nicht funktionstüchtig
Bezeichnenderweise scheitert Assange selbst genau an diesem Punkt: WikiLeaks ist es seit dem Bruch mit seinen früheren Weggefährten nicht gelungen, die „Submit“-Plattform, also das Herzstück des Whistleblower-Systems so sicher zu kriegen, dass für die Anonymität eines Tippgebers garantiert werden kann.
Drakonische Strafen
Und die US-Regierung tut ihrerseits alles, um potentielle Verräter vor ähnlichen Taten abzuschrecken: Bradley Manning, der im Verdacht steht, die US-Depeschen weitergegeben zu haben, sitzt seit 2010 in Haft, ihm droht die Todesstrafe. Der Hacker Jeremy Hammond, der den privaten Geheimdienst-Ableger „Stratfor“ geknackt haben soll, befindet sich seit 8 Monaten in Haft – ohne Anklage.
Demnächst im Kino
Im Januar beginnen die Dreharbeiten zum ersten Hollywood-Streifen, der auf den Aufzeichnungen von Assanges früheren Freund Daniel Dominik Domscheit-Berg beruht. Das Drehbuch stammt von Josh Singer („West Wing“). Julian Assange soll von Benedict Cumberbatch verkörpert werden, den wir aus der Neuauflage der BBC-Serie „Sherlock Holmes“ kennen. Daniel Brühl soll angeblich die Rolle von Domscheit-Berg übernehmen.
Es mag abgedroschen klingen, war aber in der Tat einer der Gründe, weshalb ich Journalist geworden bin: Keine TV-Serie, kein Kinofilm ist so aufregend wie die Wirklichkeit. Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten. Und das letzte Kapitel von Julian Assange in seiner Rolle als Julian Assange ist noch lange nicht geschrieben.
als. mehr als. :-)
mehr wie danke. ;-D
Gibt es dazu gar keine Aufzeichnung?
Waren viele Journos da – leider hat wohl keiner (verbotenerweise) mitgeschnitten. Schade. Ein paar (wenige) gute Stellen gab es dann doch.
Und ich Depp, habe die Einladung dorthin auch noch ausgeschlagen :(