Die Fernsehindustrie steht vor einem gewaltigen Umbruch. Wir befinden uns am Anfang einer Veränderung von Sehgewohnheiten, wie sie die Branche noch nicht erlebt hat. Apple, Amazon, Google und Netflix weisen den Weg.
It’s the talent, stupid
Fernsehen erlebt aktuell eine Renaissance, wie man das vor Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Ausgelöst wurde dieser Imagewandel nicht etwa durch neue Technologien, sondern durch die Inhalte. TV-Serien, monumental wie Wagner-Opern (Game of Thrones), episch wie Shakespeare (Breaking Bad), packend wie Hitchcock (Homeland) und journalistischer als CNN (The Daily Show with Jon Stewart).
Ob Screenwriter (Aaron Sorkin) oder Blockbuster-Produzent (Ridley Scott), Fernsehserien bieten eine Bühne, auf der sich die Geschichten-Erzähler austoben können, wie sonst an keinem anderen Ort der digitalen Medienwelt. Auch die Schauspieler haben das erkannt, immer häufiger zieht es namhafte Hollywood-Größen (Claire Danes in Homeland, Glenn Close in Damages) vor die Fernsehkamera. Der Kamera ist es egal, für welches Medium man arbeitet – oder wie es Kevin Spacey heuer in seiner Eröffnungsrede des Edinburgh Television Festival [ Video / Transkript ] so grandios auf den Punkt brachte:
Its like when I’m working in front of a camera . . . that camera doesn’t know it’s a film camera or a TV camera or a streaming camera. It’s just a camera. I predict that in the next decade or two, any differentiation between these formats – these platforms – will fall away.
Shift happens
Wir stehen an der Schwelle einer gewaltigen Verschiebung traditioneller (Fern-) Sehgewohnheiten, eine Verschiebung, die weitreichende Konsequenzen für die gesamte Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie mit sich bringen wird. Die Karten im TV-Business werden neu gemischt. Erste Ausläufer dieses Wandels lassen sich schon beobachten:
Der Trend des sog. Binge-Watchings (gesprochen „binsch“, frei übersetzt: Koma-Glotzen) also das Aufsparen und Ansehen von mehreren Folgen einer Serienstaffel hintereinander weg, anfangs noch über DVD-Boxen aus dem Kaufhaus, zunehmend häufiger über Online-Streaming-Plattformen.
Lebhafte Diskussionen bei Facebook oder Twitter, welche neue Serien Potential haben oder in welcher Staffel man gerade steckt. Nicht zu vergessen der obligatorische Achtung: Spoiler-Alert, um Nachzüglern nicht zu verraten, [dass Walter White am Ende der letzten Staffel von Breaking Bad tatsächlich stirbt](…Ooops).
Noch einmal der großartige Kevin Spacey:
And the audience has spoken: they want stories. They’re dying for them. They are rooting for us to give them the right thing. And they will talk about it, binge on it, carry it with them on the bus and to the hairdresser, force it on their friends, tweet, blog, Facebook, make fan pages, silly Gifs and god knows what else about it, engage with it with a passion and an intimacy that a blockbuster movie could only dream of. All we have to do is give it to them.
Die Ungeduld wächst
Wären doch nur alle Medienmacher so kundenorientiert, hätten wir uns 10 Jahre Zeitungsdebatte, Urheberrechtsstreitereien und Pirateriekriege sparen können. Aber Bezahlmodelle sollen hier heute nicht das Thema sein. Der Wandel, der uns bevorsteht, ist größer als Geld.
Die Ungeduld der Menschen gegenüber einer unbeweglichen weil saturierten TV-Industrie ist mit Händen zu greifen. Zuschauer, die es leid sind, von Programmplanern, Geräteherstellern oder Rechtehändlern gegängelt zu werden, wann sie was auf welcher Plattform zu sehen haben. Wir haben es in der Musikindustrie erlebt. Wir durchleben es gerade wieder mit den völlig missratenen Paywall-Modellen der Print-Industrie. Und wir kennen den Ausgang all dieser Besitzstandswahrungs-Kämpfe.
Give people what they want – when they want it – in the form they want it in – at a reasonable price – and they’ll more likely pay for it rather than steal it; well, some will still steal it, but I believe this new model can take a bite out of piracy.
Kevin Spacey
Um es ganz deutlich zu sagen: Das Problem ist nicht das Internet, sind nicht die Kunden oder deren Bereitschaft zu zahlen. Es handelt es sich um ein Versagen einer Industrie, die es sich lang genug leisten konnte, minderwertige Angebote durch künstliche Verknappung teuer verkaufen zu können. Das Internet ändert Dinge, weil es uns wachrüttelt und zeigt, dass es auch anders geht.
Nie wieder zurück
Wer schon mal mit Hulu, Netflix oder Apple TV in Kontakt gekommen ist, weiß wovon ich spreche. Wenn ganze Serienstaffeln unmittelbar nach US-Start zur Verfügung stehen. Wenn man auf Reisen im Zug oder abends im Hotel dort weiterschauen kann, wo man am Abend zuvor zuhause die Pause-Taste gedrückt hatte. Wenn der Fernseher lernt, einem immer das anzubieten, worauf man gerade Lust hat, wer möchte jemals wieder zurück? Nutzern dieser Streaming-Plattformen wird auf einmal klar, wie sie jahrzehntelang von Sendern und Werbetreibenden sprichwörtlich an der kurzen Leine gehalten, sprich: für dumm verkauft wurden.
Daran werden auch die sogenannten SmartTVs nichts ändern. Im Gegenteil. Ich habe es letztes Jahr schon gesagt und ich sage es wieder: SmartTVs sind eine Totgeburt, ein typischer Fall von D.O.A. – Dead On Arrival. Kaum einer nutzt die vielen unnötigen Features, weil diese – fest verbaut in einem nicht transportierbaren Kasten – in etwa soviel Sinn machen, wie ein Auto ohne Räder. Zusatzinfos ausgerechnet auf dem Schirm, auf dem man gerade ein Programm schauen möchte – wozu? Kein Mensch will E-Mails, Facebook-Nachrichten oder Tweets in 3-Meter-Entfernung auf einem Fernsehbildschirm lesen. Selbst der Zugriff auf die Mediatheken über die TV-Fernbedienung: zu langsam, zu umständlich, zu nervtötend.
TV-Gerät der Zukunft: Mehr Smartphone als Fernseher
Wer im September in den Messehallen der IFA unterwegs war, wird eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht haben: Verschwunden all die Prototypen vom letzten Jahr, die durch Sprache, Körperverrenkungen oder ähnliche Spielereien gesteuert werden. Die Hersteller mussten erkennen: Das Eingabegerät, das die Fernbedienung ablösen wird, ist das Smartphone, respektive das Tablet. An die Stelle von bunten Knöpfen oder abstrakten Zifferntasten von 1 bis 0 treten Apps, hinter denen alle Sendungen inkl. Begleitmaterial hinterlegt sind. Und die sucht man sich lieber auf dem Schoß zusammen, als mit hoch erhobenem Arm über den Hauptbildschirm an der Wand.
Kurz: Das Fernsehen der Zukunft wird mehr Smartphone sein (mit Übertragungsmöglichkeit auf den großen Schirm), als Fernsehgerät mit unbrauchbaren Smartphone-Gimmicks. Neben den bisherigen Platzhirschen, also den TV-Geräteherstellern und den klassischen Networks, werden neue Player den Ton angeben. Die Kandidaten mit den (meiner Meinung nach) vielversprechendsten Ansätzen für das Fernsehen der Zukunft möchte ich im Folgenden diskutieren:
Apple
Meine Vision zu Apples TV-Plänen habe ich bereits Anfang des Jahres hier in aller Ausführlichkeit beschrieben. Vieles von dem, was ich noch im Januar prophezeit hatte, findet sich inzwischen im Source-Code des soeben eingeführten iOS sowie der neuen AppleTV-Software, u.a. die Möglichkeit, Filme und Serien direkt über das iPhone auf beliebige Apple-TV-Set-Top-Boxen zu streamen.
Neu auch die Möglichkeit, Bluetooth-Geräte zu koppeln (Tastatur, Game-Controller). Am bemerkenswertesten jedoch: Apple schaufelt seit 2012 kontinuierlich immer neue Programmkanäle auf die Apfel-TV-Box (Disney, ESPN, Fox News, National Geographic).
Schon heute konsumieren Apple-Kunden 800.000 TV-Episoden sowie 350.000 Filme über iTunes – und das täglich (!). Ohne es an die große Glocke zu hängen, ist Apple zum weltweit größten Anbieter für Video-Downloads aufgestiegen (vgl. iTunes und der Musikmarkt). Auch eigene Programminhalte sind neu im Repertoire: Die Apple-Produktpräsentationen der vergangenen Jahre sowie ein eigener Kanal mit Konzertmitschnitten von iTunes-Festival finden sich auf der Apple-TV-Startseite.
Das Killer-Feature: AirPlay, die Möglichkeit, den Bildschirminhalt von iOS- (iPhone, iPad) oder OSX- (Macbook, iMac) Geräten auf den Fernsehbildschirm zu spiegeln. Damit lassen sich Video inkl. Audio, egal ob legal oder illegal (d.h. auch außerhalb von Apples Walled-Garden) per Knopfdruck auf den Fernseher beamen.
Prognose: Die Auslieferung einer neuen AppleTV-Hardware steht unmittelbar bevor. Es wird das letzte „Hobby“-Update sein, bevor der iPhone-Konzern seine eigentliche AppleTV-Lösung präsentieren wird, die vermutlich 2014, spätestens aber 2015 auf den Markt kommt.
Wie ein Schlüssel zu einer Tür in eine andere Welt, entsperrt Googles Chromecast-Stick (35 US-Dollar) jeden Fernseher mit HDMI-Eingang, befreit den Zuschauer von den Fesseln der Programmplaner, der schmierigen Degeto-Produzenten, der ranschmeisserischen Ferrero-Küsschen-Reklameverkäufer. Jeder Spielfilm, ob Blockbuster oder Independent, jede TV-Serie, die auf irgendeinem Server online steht, jede Mediathek und jeder YouTube-Clip lässt sich mit einem Fingerwisch von iPhone oder Android-Geräten (Ja, Google unterstützt auch die Apple-Plattform) auf den Fernseher beamen. So weit die Theorie. In der Praxis lassen sich mit Chromecast ausschließlich von Google genehmigte Inhalte auf den großen Bildschirm übertragen. Kein technisches Problem, sondern das Geschäftsmodell von Google. Dadurch will das Unternehmen sicherstellen, dass nur lizensierter Bewegtbild-Content den großen Bildschirm erreicht.
Prognose: Mit seinem Chromecast-Stick ist Google seinem Rivalen aus Cupertino zuvor gekommen und hat nach zahlreichen Flops zum ersten mal ein vielversprechendes TV-Konzept präsentiert. Mit YouTube verfügt das Unternehmen über eine Bewegtbild-Plattform, die ihresgleichen sucht. Die Entwicklung eigener hochwertiger Inhalte über die eigenen „YouTube-Space“ Produktionsstudios (vgl. Amazon) ist nur eine Frage der Zeit.
Amazon
Die Spatzen twittern es von den Dächern, dass Amazon noch vor Weihnachten eine eigene Set-Top-Box herausbringen wird. Überraschend wäre das nicht: Neben Büchern ist Amazon gerade durch den Verkauf von DVDs groß geworden. Die eigene Video-Plattform Amazon Instant Video / Lovefilm fristet ein Schattendasein neben Apple iTunes oder auch Microsoft Xbox Video. Durch die Einführung einer eigenen Hardware-Lösung könnte sich das rasch ändern. Ähnlich wie Google und Microsoft hat auch Amazon von Apple gelernt, wie entscheidend es ist, den Kunden eine einheitlich aufeinander abgestimmte Komplettlösung aus Hardware, Software und Inhalten anbieten zu können. Was die Inhalte betrifft, so hinkt Amazon bei der Vielfalt neuer Kino-Filme und Serien anderen Anbietern hinterher. Auch hier versucht der Online-Händler an die Erfolge der Konkurrenz anzuknüpfen, indem man dazu übergeht, Serien und Filme exklusiv für die eigene Plattform zu produzieren. Mit nicht weniger als 14 Piloten ist Amazon dieses Jahr in den TV-Markt gestartet. Über seine Kreativ-Plattform AmazonStudios.com hat der Konzern über 4000 Skriptvorschläge eingesammelt.
Prognose: Amazon wird demnächst eine eigene Set-Top-Box anbieten. Mit der Einführung des Kindle und des Kindle Fire hat das Unternehmen eindrucksvoll bewiesen, dass man durchaus in der Lage ist, aus dem Stand eigene Hardware-Ökosysteme im Markt durchzusetzen. Durch die weltumspannende Online-Warenhauskette verfügt Amazon über die nötige Distributionsplattform, seine Geräte noch schneller und preisgünstiger unter die Leute zu bringen, als Marktführer Apple neue Stores aus dem Boden stampfen kann.
Netflix
Die Comeback-Story von Netflix liest sich wie die Wiederauferstehung von Apple nach der Rückkehr von Steve Jobs. Als der Aktienkurs immer tiefer in den Keller ging und der ehemalige DVD-Versandverleiher 2011 nahe am Abgrund stand, gelang dem Unternehmen ein Rebound, wie er im Buche steht. Ein radikal verbesserter Kundenservice und die Neuausrichtung des Sortiments verhalfen dem Unternehmen nicht nur zur Trendwende. Nach einer rasanten Talfahrt schnellte der Aktienkurs innerhalb weniger Tage um 42 (!) Prozent in die Höhe.
Das sprichwörtliche As, das der Videoverleiher aus dem Ärmel zog, die Eigenproduktion „House of Cards“ mit Kevin Spacey (sic!). Der Erfolg der Serie war alles andere als ein Lucky Shot. Dank einer umfassenden Kundendatenbank war es Netflix möglich, die Erfolgsaussichten eines Politthrillers von David Fincher (Fight Club, The Social Network) mit Kevin Spacey in der Hauptrolle (American Beauty) durch Zahlenmaterial abzusichern. In seiner Rede beschreibt Kevin Spacey, wie der Deal mit Netflix zustande kam:
“We believe in you. We’ve run our data and it tells us that our audience would watch this series. We don’t need you to do a pilot. How many episodes do you want to do?” And we said . . . “Two seasons?”
Inzwischen ist die zweite Staffel von „House of Cards“ abgedreht, wie schon bei der ersten Staffel werden sämtliche Folgen auf einmal Anfang 2014 veröffentlicht.
Prognose: Netflix ist bereits in 40 Ländern vertreten, darunter auch in Großbritannien, Irland, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland. Angeblich soll 2014 auch Deutschland an der Reihe sein. Was das für den deutschen TV-Markt bedeuten kann, hat mein österreichischer Blogger-Kollege Jakob Steinschaden hier ausführlich beschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Thesen zur Zukunft des Fernsehens
1. Dumme Bildschirme statt SmartTVs
Statt von SmartTVs werden wir künftig umzingelt sein von „dummen“ Bildschirmen. Ob in der Küche, im Badezimmer oder unterwegs im Taxi, überall werden Informationstafeln und Werbebotschaften flimmern, vergleichbar mit einem Bildschirmschoner. An ausgewählten Orten lassen sich diese Screens auch als Projektionsfläche für individuellen Content ansteuern, beispielsweise für Präsentationen, Filme oder Computerspiele. Die Inhalte selbst liegen auf den Zentralservern eines Anbieters und können mit dem eigenen Mobilgerät (Smartphone, Tablet oder Armbanduhr) freigeschaltet und auf den jew. Bildschirm gebeamt werden.
2. Der Second Screen wird zum First Screen
Fernsehen ist ein Lean-Backward-Medium und wird es auch in Zukunft bleiben. Alle Handlungen, die eine Lean-Forward-Aktivität erfordern (Programmauswahl, Zusatzinformationen, Social-TV-Kommunikation etc.), erfolgen individuell über den Second Screen. Dadurch verschiebt sich die Aufmerksamkeit zusehends weg vom Fernsehgerät hin zu dem Begleitbildschirm auf dem Schoss. Der Second Screen wird zum First Screen, der die kognitive Aufmerksamkeit an sich bindet. Das eigentliche Fernsehprogramm dient somit zunehmend zur Berieselung im Hintergrund.
3. Einschaltquoten sind relativ
Die ganze Welt spricht über Mad Men, Breaking Bad oder Homeland. Ginge es nach GfK- oder Nielsen-Quoten, hätte es keine dieser Serien jemals geben dürfen. Weder in Deutschland, noch in den USA haben es diese Erfolgsshows jemals in die Top-Ten der TV-Charts geschafft. Haben die verantwortlichen TV-Bosse versagt? Oder messen wir einfach nur falsch? Fakt ist: die Quotenerhebung nach klassischem Muster sagt wenig aus über den tatsächlichen Gesprächswert eines Programms. Tatsächlich haben sich die Seh- und Kommunikatiosgewohnheiten der Zuschauer (Mediatheken, Streaming-Angebote, Video on demand) schneller gewandelt als die Messmethoden der Zuschauerforschung. Prognosen über die Fernsehtrends von morgen treffen zu wollen, anhand von Erhebungsmethoden von vorgestern, das wird nicht mehr lange gut gehen.
4. Komaglotzen statt Fernsehen nach Vorschrift
House of Cards war ein Game Changer. Zum ersten Mal hat ein TV-Anbieter, der noch nicht einmal ein Fernsehsender im klassischen Sinne ist, out of the Box gedacht und dem Publikum das gegeben, was es sich wünscht: Die Entscheidungshoheit darüber, wann und wie man eine TV-Serie konsumieren möchte. Die Veröffentlichung sämtlicher Folgen einer Staffel auf einen Schlag – abrufbar von zuhause aus über TV-Box oder mobil über Smartphone oder Tablet-App; ein Kniefall vor dem Zuschauer, der fast schon Symbolcharakter hat für eine Branche, die nicht gerade dafür bekannt ist, sein Publikum sonderlich zu schätzen.
5. Weltweit einheitliche Erscheinungsdaten
House of Cards macht aber auch ein weiteres, bislang ungelöstes Problem der TV-Industrie deutlich, das dringend in Angriff genommen werden muss: saisonal unterschiedliche Erstausstrahlungen von Filmen und Serien. Fernsehtrends kommen und gehen, machen vor Landesgrenzen nicht halt. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter beschleunigen diesen Effekt. In vielen Ländern kommen die TV-Produktionen aber oft erst Jahre später auf den Schirm, nicht selten, wenn sie ihren Zenit schon hinter sich haben. Das nutzt weder Zuschauer, Macher, noch dem ausstrahlenden Sender, der die abgestandene Ware absenden muss, während die Welt schon lange über die nächste Kult-Serie spricht.
Hollywood hat auf diese Entwicklung bereits reagiert und ist bemüht, Blockbuster weltweit zeitgleich zu starten. Auf diese Art und Weise können Verluste minimiert werden, nicht nur wegen Raubkopien, die sich schnell im Netz verbreiten, sondern auch, weil sich dadurch Flops nicht so schnell herumsprechen und zumindest in den ersten Tagen noch ansehnliche Einspielergebnisse an der Kinokasse erzielen können. Damit gehören auch künstliche Kontroll-Mechanismen wie das Geoblocking endgültig der Vergangenheit an. Fun Fact: House of Cards wird in Ländern wie Deutschland frühestens 2015 legal zu sehen sein. (Korrektur: House of Cards darf lediglich in den USA nicht vor 2015 zweitverwertet werden. In D ist die Serie u.a. bei Sky und auch im dt. iTunes-Store gelaufen. Danke Oliver, Kurt und Blubber für den Hinweis!) Kein Wunder, dass die Serie weltweit zu der am meisten raubkopierten TV-Show in der Geschichte der Bit-Torrent-Technologie zählt.
6. Neue Verwertungsketten
Die klassische Verwertungskette Kino, Videoverleih, Verkauf und TV-Ausstrahlung wird nach und nach abgelöst durch einen neuen Mix aus Kinopremieren, Direkt-Distribution via Streaming-Plattformen sowie klassischer Rechte-Vermarktung über TV-Networks. Schon heute experimentiert Apple mit Streaming-Premieren parallel zum Filmstart in den Kinos. Soweit man den Produzenten trauen darf, können sich die Einspielergebnisse aus diesem Hybrid-Verwertungsmodell durchaus sehen lassen, ein Kanibalisierungseffekt ließ sich nicht feststellen. Eine große Chance gerade für Independent-Filmemacher, die weder über ein großes Marketing-Budget noch einen länderübergreifenden Vertrieb verfügen.
TV-Sender haben noch nicht begriffen, welche Möglichkeiten sich durch den Direktvertrieb ihrer Produktionen im Web auftun. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass man die vierte Staffel Downton Abbey zwar in England im Free-TV und in den USA beim öffentlich-rechtlichen PBS gratis sehen kann, der Rest der Welt aber warten muss, bis die neuen Folgen legal verfügbar sind. Preisfrage: Was wären Fans der Serie wohl bereit zu zahlen, um ihre Lieblinge auch anderswo parallel zur Erstausstrahlung – gegen Entgelt – wiedersehen zu dürfen?
7. Neue Player
Natürlich sind Apple, Amazon, Google und Netflix nur die Speerspitze jener Anbieter, die um den TV-Markt der Zukunft buhlen. Wie groß der Anteil des Kuchens sein wird, den sich Newcomer wie Roku, Hulu oder aber auch etablierte Medienhäuser wie Sony oder Sky am Ende sichern können, ist heute noch nicht absehbar. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass die größten Game Changer einer Industrie oft aus branchenfremden Kreisen stammen, Neugründungen oder Unternehmen, die keiner auf der Rechnung hatte.
Folgen für die Programmmacher
Wenn ich ein paar – nennen wir es Leitlinien – aus meinen Beobachtungen der letzten Jahre aufstellen müsste, hier die 2 wichtigsten:
Fazit
Die TV-Revolution steht unmittelbar bevor, im Grunde befinden wir uns schon mitten drin. Wie bei allen großen Umwälzungen verläuft der Wandel anfangs schleppend. Wenn die Schleusen dann aber aufgehen, kommt der Umbruch rasant und umso gewaltiger. Sicher ist: Der Druck auf die etablierten TV-Marktführer wächst von Tag zu Tag, die Angreifer kommen aus allen Richtungen. Wer wird wohl das Rennen machen – und wer wird als Nokia oder Kodak der Fernsehbranche vom Bildschirm verschwinden?
Diskutiert mit mir.
Spannend, danke für den Ausblick. was ich noch vermisse ist eine Überlegung zu den Finanzierungsmodellen, denn was die meisten Streaming-Angebote meines Wissens auszeichnet ist die Abwesenheit der nervigen weil überpräsenten TV-Werbung.
Die meisten Streaming-Angebote sind Pay-TV-Abos, siehe Netflix, Hulu Plus etc. Im Grunde nichts aufregend neues – aber sicher ein spannendes Thema, das bestimmt einen gesonderten Blogpost wert wäre. Danke für die Anregung.
These: Wie auch die Steuerung der Inhalte, wird wohl auch die Kapitalisierung teilweise über den Second Screen (der dann zum First Screen wurde) laufen.
Ziel für die deutschen TV-Marktführer ist eine gesamtdeutsche Firewall, die die Geschäftsmodelle von 1992 wenigstens solange bewahrt, bis man den Springer machen kann (Zeitungen durch Zanox ersetzen). Dass das für ARD und ZDF so eher nicht funktionieren wird, hat ihnen der Gorny bei den Sitzungen der Deutschen Content Allianz anscheinend vorenthalten.
Wir werden ja sehen, wozu das führt. Früher oder später brechen die Dämme. Der Zuschauer findet einen Weg, an die Programme und Serien zu kommen, die er sehen möchte. So oder so.
Das sehe ich ja schon bei meinen beiden Söhnen (3&5 Jahre). Die können und wollen es nicht verstehen, dass sie Sonntags die Sendung mit der Maus nicht direkt nach dem Frühstück schauen können. Zu Recht rasten sie dann vollständig aus, wenn sie Teile der Folge nochmal sehen wollen, weil die lustig, interessant oder spannend waren, die Mediathek aber erst Stunden später nach der Ausstrahlung aktualisiert wird. Bei uns gibt es keinen Fernseher und niemand vermisst ihn!
@Familienvater
Ein weiterer Vorteil des neuen Models ist, wir Eltern können den Konsum noch besser steuern. Wenn ich meinen Kindern zu einem Zeitpunkt meiner Wahl das richtige Programm präsentieren kann und nicht die Sendung die gerade in dem Augenblick läuft wenn ein wenig Zeit für die „Glotze“ ist, macht Fernsehen mehr Spaß.