Eine Woche nach dem Tod von Osama Bin Laden erscheint morgen das erste Buch über die Liquidierung des Terroristenführers. Nur eines von einer ganzen Reihe an Titeln, die in den nächsten Tagen auf den Markt kommen. Die Verlage wittern einen neuen Mega-Trend: Fastfood-Bücher, sog. „Instant eBooks“.
Extra: Chat mit Leander Wattig zum Akzeptanz-Gefälle von eBooks in Deutschland und den USA (s. unten)
2011 – Ein Jahr der Extreme
Was für ein Jahr: Guttenberg-Rücktritt, arabische Revolution, Japan-Erdbeben, Fukushima und die Atomdebatte, Kate & William, Bin Laden – und wir haben gerade mal Mai!
Für Medienmacher ist eine derart üppige Nachrichtenlage Traum und Trauma zugleich, denn während es Zeiten gibt, in denen so rein gar nichts passiert, überschlagen sich die Ereignisse heuer derart, dass Verlage und Autoren mit ihren Print-Publikationen kaum noch hinterher kommen.
Zuviel des Schlechten
Schlechte Nachrichten sind gut für die Auflage. Zuviel des Schlechten kann aber auch schlecht fürs Geschäft sein. Denn jede Story folgt bekanntermaßen einer Dramaturgie, einem Spannungsaufbau mit einem sich zuspitzenden Konflikt, dem Showdown und einer Nachbetrachtung. Ist der Zenit einer Geschichte überschritten, verschwindet sie von den Titelseiten, macht schließlich Platz für die nächste Sau, die durchs Dorf getrieben wird.
Zur Zeit haben wir es nicht mit einer Sau, sondern mit ganzen Sau-Herden zu tun, die, wie vom Pferd getreten, quer über den Globus galoppieren. Verlage und Autoren hecheln den Ereignissen atemlos hinterher: gestern noch Fukushima, heute der Buckingham Palace, morgen Abbotta- what?!
Beispiel: Kate & William
Das mediale Glück der Märchenhochzeit wehrte nur ein Wochenende lang – bang! the honeymoon was over. Mit seinem Geheimkommando killte US-Präsident Obama nicht nur Osama Bin Laden, sondern auch Tage- wenn nicht gar Wochen voller auflagenträchtiger Titelgeschichten rund um die Royals. Die königlichen Biographien – vom Druck direkt auf die Grabbeltische.
Beispiel: Nachrichtenmagazine
SPIEGEL und Focus überschlagen sich in letzter Zeit förmlich, Sonderhefte zu produzieren (insbesondere dann, wenn sich ein Ereignis wieder mal nicht an den Redaktionsschluss halten wollte). Ein Zeichen mehr dafür, dass das Konzept eines Wochen-Magazins dringend weiter gedacht werden muss, will man der neuen Taktung in einem digitalen Medienzeitalter gerecht werden.
Buchverlage schließen die Lücke
Ausgerechnet eines der ältesten Mediengewerbe geht neue Wege: die Buchindustrie. Weil die Aufmerksamkeits-Zyklen kürzer werden, müssen die Titel noch aktueller geschrieben und unters Volk gebracht werden. „Ist ein Buch nicht per se ein absolutes Meisterstück, sollte man es so schnell wie nur irgend möglich auf den Markt werfen“, zitiert das Wall Street Journal einen Insider.
Der Titel „Seal Team Six“ von Macmillan (Holtzbrinck) sollte urspr. am 24. Mai erscheinen – der Veröffentlichungstermin wurde auf heute vorgezogen
Es war Amazon (einst ein reiner Online-Shop für Bücher), dem es mit seinem 1-Click-Button gelungen war, die Zahl der Impulskäufe im Netz in die Höhe zu treiben. Mit einem ähnlichen Prinzip hat es die Firma Apple vollbracht, aus dem Nichts binnen weniger Jahre zum größten Musikhändler der Welt aufzusteigen.
Der Markt des Momentums
Anders als mit gedruckten Büchern, machen es iPad, Kindle & Co nun möglich, einen Markt zu erschließen, der noch gar nicht existiert: der Markt des Augenblicks. Um in diesem neuen Markt erfolgreich zu sein, bedarf es mehr denn je aktueller Produktangebote: Titel, die punktgenau zu dem Zeitpunkt erscheinen, in dem ein Thema seine fifteen-minutes-of-fame durchläuft. Publikationen, die zu früh oder zu spät erscheinen, verfehlen ihr Ziel, den kurzzeitigen Konsumwunsch der Masse.
Das erste Instant eBook
Random House (Bertelsmann) bringt morgen also sein erstes Instant eBook für den Kindle heraus, einen Essay-Band für 1,23 € (!), der den Tod Osama Bin Ladens nachzeichnet und die möglichen Folgen beleuchten will. Ein Buch, das tatsächlich erst letzte Woche geschrieben worden und keine bereits vorbereiteten Texte enthalten soll, so Herausgeber Jon Meacham in der Daily Show bei Jon Stewart. „We hit it hard last Monday“, sagt er.
Bei den Impulskäufen steht weniger die Frage der Qualität im Vordergrund, als die Schnelligkeit, meint auch der Medienexperte Leander Wattig (s. Experten-Chat unten). Denn was nutzt das größte Meisterwerk, wenn es den entscheidenden Moment verpasst, wenn der Kunde auch nur einen Tag später zu dem Schluss kommt: „So wichtig ist mir das Buch gar nicht“, oder aber auch nur, wenn schon die nächste Sau in den Startlöchern steht – respektive abgeknallt wird.
Gutjahr: Leander, Random House wird morgen mit „Beyond Bin Laden“ sein erstes „Instant eBook“ auf den Markt bringen. Haben solche Instant eBooks Deiner Meinung nach eine Chance?
Wattig: Bücher müssen Käufer finden. Kurzfristig räume ich Instant E-Books bekannter Verlage auf jeden Fall gute Chancen ein. Mittel- bis langfristig werden die Leser jedoch immer genauer prüfen, welche inhaltliche Qualität diese Bücher tatsächlich aufweisen.
Gutjahr: Du meinst, solche Schnellschüsse taugen nicht viel mehr wie Fastfood?
Wattig: Verallgemeinern lässt sich das sicher nicht. Fakt ist, dass Schnelligkeit kein Ersatz für Qualität ist. Wenn der Leser am Ende ein schlechtes Buch gekauft hat, ist auch der Vertrauensvorschuss bekannter Verlagsmarken schnell aufgebraucht.
Gutjahr: Überrascht war ich über den Preis: 1,23 Euro für eine Aufsatzsammlung renommierter Autoren. Könnte das ein Hebel sein, um Gelegenheitslesern Instant eBooks schmackhaft zu machen?
Wattig: Die Preise für E-Books fallen ja ohnehin tendenziell. Für Instant Books als Einstieg in ein aktuelles Thema liegt es aber besonders nahe, den Preis relativ niedrig anzusetzen. Hier soll ja ein breites Interesse genutzt werden, das voraussichtlich nicht lange anhalten wird.
Gutjahr: Das heisst, es kommt bei Instant eBooks vor allem auf den Moment und auf den Preis an, weniger auf die Qualität.
Wattig: Die Einflussfaktoren sind grundsätzlich keine anderen als sonst auch. Die Zeit ist jedoch bei Instant Books der Hauptfaktor, weil ein flüchtiges Interesse besteht. Die Buchbranche hat viel Erfahrung darin, für die schnellere Verfügbarkeit von Inhalten erfolgreiche Erlösmodelle zu entwickeln. In der Vergangenheit konnten beispielsweise Hardcover allein schon deshalb teurer als Paperbacks verkauft werden, weil die Bücher zunächst nicht anders erhältlich waren. Im Falle von Instant Books sind die Alternativ-Angebote jedoch nach kurzer Zeit sehr zahlreich. Daher wird im Normalfall kein allzu hoher Preis durchsetzbar sein. Die Chancen liegen aus meiner Sicht zudem auch auf anderen Feldern. So erlauben Instant Books, ein Thema schnell zu besetzen und die Themen-Hoheit später auf verschiedenen Wegen zu monetarisieren.
Gutjahr: Du erwähntest vorhin die fallenden Preise bei eBooks. Woran liegt das: am Erfolg oder Misserfolg von eBooks?
Wattig: Gewissermaßen am Erfolg von E-Books. Es gibt nämlich immer mehr davon zu allen denkbaren Themen und wenn das Angebot steigt, sinkt tendenziell der Preis. Außerdem fallen etliche Kostenblöcke weg, die im analogen Buchgeschäft unvermeidbar gewesen sind.
Gutjahr: Amazon hat ja gerade erst seinen Kindle eBook-Store auch in Deutschland eröffnet. Wie steht es bei den Deutschen mit der Akzeptanz von eBooks?
Wattig: Die Deutschen sind bei dem Thema viel zurückhaltender als die US-Amerikaner oder Asiaten. Bedenken muss man dabei aber, dass der deutsche Buchmarkt sehr hoch entwickelt ist. Papierne Bücher werden bei uns so schnell in die Buchhandlung geliefert wie Medikamente in die Apotheke. Unabhängig davon sind die Lesegeräte einfach noch nicht von der Qualität, dass viele Durchschnittsleser versucht wären umzusteigen. Wir reden zwar seit Ende der 1990er Jahre über E-Reader, doch erst jetzt werden sie langsam zur echten Alternative.
Gutjahr: Wie lange würdest Du schätzen wird es noch dauern, bis sich eBooks auch in Deutschland etabliert haben?
Wattig: Die Frage ist, wie man etabliert definiert. Ein Massenmarkt werden E-Books wohl erst in einigen Jahren sein. Heute sprechen wir noch über einen Anteil von unter 1 Prozent am gesamten deutschen Buchumsatz.
Gutjahr: In den USA wird für dieses Jahr mit einem eBook-Marktanteil von 9 bis 10 Prozent gerechnet. Das ist ja ein gewaltiger Unterschied!
Wattig: Doch nicht zuletzt die Nutzungsentwicklung von Social Networks in Deutschland zeigt, dass wir hierzulande manchmal etwas länger brauchen, dann aber zügig aufholen.
Gutjahr: Wo wir gerade bei Social Networks sind: Christian Jakubetz und einige Mitstreiter/innen (ich bin auch dabei) haben ja gerade ein Journalismus-Buch geschrieben („Universalcode„), das wir bei Euryclia, quasi „on demand“ herausbringen. Haben solche Modelle Deiner Meinung nach Zukunft?
Wattig: Das Subskriptionsmodell ist eines, das in der Buchbranche schon sehr lange genutzt wird. Interessant ist, dass es sehr gut zu dem passt, was wir heute als Crowdfunding bezeichnen. Verkauft wird zunächst nur eine Idee, für die man werben muss. Dabei tun sich jene leichter, die bereits Teil einer passenden „Community“ sind und sich Vertrauen erarbeitet haben. Ohnehin würde ich heute jedem Autor empfehlen, sich zunächst ein Publikum zu erschreiben, weil das eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung für alle möglichen Arten von Publikationsmodellen ist. Letztlich erfüllen On-Demand-Modelle wie das von Euryclia auch eine Marktforschungsfunktion, indem nur das publiziert wird, was auf eine konkrete Nachfrage stößt. Ich denke, dass dieser Ansatz Zukunft hat. Ohnehin bewegt sich der gesamte Buchmarkt in diese Richtung, indem das Papier-Buch immer öfter nur ein Add-on für ohnehin schon Erfolgreiches und Nachgefragtes ist.
Leander Wattig ist als freier Berater in Frankfurt am Main tätig. Er unterstützt führende Medienunternehmen beim Marketing im Social Web und bloggt über dieses Themenfeld auf leanderwattig.de.
Solange eBooks in Deutschland genauso viel kosten wie Papierbücher, man sie aber nicht weiterverkaufen oder auch nur weitergeben kann, werden sie sich in Deutschland wohl kaum so durchsetzen wie in den USA. Man hat bei eBooks als Käufer in Deutschland alle Nachteile, aber praktisch keine Vorteile.
Außerdem taugen die Reader derzeit nur für Bücher, noch nicht für Zeitschriften.
Der Sony PRS-650, wohl der beste Reader auf dem Markt, ist zwar schön für reine eBooks, bei den als eBook angebotenen Zeitschriften im PDF-Format wie z.B. Brand Eins scheitert er aber schon. Ich hab das Ding wieder verkauft.
Wie TeeKay es schon richtig schreibt: Der Preis macht es. Wenn sich das gedruckte Buch preislich nicht vom eBook unterscheidet, wird die breite Masse kaum umsteigen.
Wenn das gedruckte Taschenbuch für 8,90 EUR als eBook für 4,90 zu haben ist, wird die Sache anders aussehen. Gerade in Deutschland ist die Mentalität der Konsumenten besonders ausgeprägt, auf (vermeintliche) Schnäppchen anzuspringen.
Es wird auf jeden Fall sehr spannend werden. Denn wenn sich ein Autor komplett vom Verlag lösen und sein eBook z.B. über Amazon für einen kleinen Preis, aber eine hohe Marge, vertreiben kann, eröffnen sich ganz neue Chancen.