Was ich als bloggender Journalist über guten Online-Journalismus gelernt habe – hier mein Text für das Fachmagazin Tendenz, das über Entwicklungen in der Medienbranche berichtet. „Das Internet verbessert den Journalismus“ – Lest dazu auch die Statements von Peter Kloeppel (RTL), Hans-Jürgen Jakobs (sueddeutsche.de) etc.
Wenn wir davon reden, was guten Online-Journalismus auszeichnet, dann gibt es darauf nur eine Antwort: das gleiche, was wir unter gutem Print- oder Rundfunkjournalismus verstehen; nämlich die umfassende Recherche, das Streben nach Ausgewogenheit, Transparenz und Fairness bei der Berichterstattung.
Wir alle haben unsere sieben Ws gelernt, kennen den Pressekodex. Doch in der Online-Welt gelten andere Bedingungen als in der klassischen one-to-many-Kommunikation. Das gilt insbesondere für Bereiche wie Soziale Netzwerke oder Blogs. Daher müssen auch die tradierten Regeln und Richtlinien für „guten Journalismus“ im Netz erweitert werden.
Folgende sieben Punkte habe ich ausgemacht, die sich in der Online-Arbeit von meinen bisherigen Tätigkeiten als Print-, Hörfunk-, und Fernsehjournalist unterscheiden. Vieles davon mag trivial erscheinen. Jedoch habe ich im Laufe der letzten Jahre immer wieder feststellen müssen, wie wichtig es ist, diese Kriterien zu beherzigen und sich immer wieder daran zu erinnern.
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1. Online ist keine Einbahnstraße
Einer der größten Fehler der klassischen Medien ist es, das Internet lediglich als ein weiteres Medium wie Fernsehen oder Hörfunk zu betrachten. Es ist weit mehr als das. Amir Kassaei von der DBB Group bezeichnet das Netz als die „Infrastruktur des 21. Jahrhunderts“. Kommunikation verläuft nicht länger nur in eine Richtung. PR-Profi Gunnar Bender spricht von einem „Wandel der Massenmedien“ hin zu einem „Medium der Massen“.
Talkback-Funktionen, Votings, Crowdsourcing oder User Generated Content Plattformen werden heute noch in vielen Medienunternehmen nur halbherzig und äußerst begrenzt eingesetzt. Wer sich aber in Zukunft als ernstzunehmender Kommunikationspartner verstehen will, muss runter von seinem Elfenbeinturm und mit seinem Nutzer (formally known as audience) in einen Dialog treten. Und zwar auf Augenhöhe.
2. Journalismus als Prozess begreifen
Online-Journalismus entwickelt sich immer mehr zu einem Prozess-Journalismus, der mit der Veröffentlichung eines Textes oder eines Beitrages nicht endet. Nutzer-Kommentare, Facebook-Diskussionen oder Hinweise, die über Twitter kommen, können wertvolle Informationen für die Fortschreibung einer Geschichte liefern. Oft sind sie auch Ausgangspunkt für eine neue Story, auf die man – abgeschirmt in seinem Redaktionsbüro – nie gekommen wäre. Auch hier werden viele Medienhäuser jenen unzähligen Möglichkeiten nicht gerecht, die das Internet bietet.
3. Größtmögliche Transparenz
Durch die gigantischen Umwälzungen innerhalb unserer Branche vergessen wir oft, dass nicht nur wir, die Produzenten einen Wandel durchmachen, sondern auch die Konsumenten, unser Publikum. Ob Digital Native oder Silver Surfer, die Nutzer von Online-Medien sind sehr viel vernetzter und medienerfahrener als das Publikum, mit dem wir es früher zu tun hatten.
Die Menschen bedienen sich aus unterschiedlichen Quellen, und das immer mehr zeit- und ortsunabhängig. Sie durchschauen die Mechanismen heute sehr viel besser, unter denen Berichterstattung zustande kommt, hinterfragen daher auch mehr. Durch Watchblogs wie zum Beispiel das BILDblog sind Medien nicht mehr länger die alleinige vierte Gewalt, sondern stehen plötzlich selbst unter Beobachtung.
Fehlerhafte Recherche oder gar Falschinformationen unter den Teppich zu kehren, ist nicht mehr so leicht möglich – im Netz „versendet“ sich nichts. Es ist keine Schande, Fehler zu machen. Auf den richtigen Umgang damit kommt es an. Auch die Bedingungen, unter denen ein Bericht oder ein Interview zustande kommt, sollten dem Publikum zugänglich gemacht werden. Nur dadurch bleibt man auch im Netz glaubwürdig.
4. Multimediales Denken
Wenn von Online-Journalismus die Rede ist, fallen immer wieder Begriffe wie Multimedia oder Trimedialität. Dabei kommt es weniger darauf an, dass ein einzelner Journalist alle Medien parallel bedienen muss. Sehr wohl muss er aber für alle Medienformen denken können.
Dazu sollten Journalisten heutzutage in allen Bereichen mal gearbeitet haben, um zumindest das nötige Grundverständnis für multimediales Arbeiten zu entwickeln. Das gilt übrigens nicht nur für die Reporter sondern gerade auch für die Vorgesetzten. Nur wer die Zwänge und Möglichkeiten aller Medienformen kennt, kann die richtigen Entscheidungen treffen.
5. Teamarbeit
Die Zukunft gehört nicht der eierlegenden Wollmilchsau, die schreiben, filmen und parallel dazu auch noch den eigenen Web-Auftritt betreuen muss. Die Zukunft gehört den Teamplayern. Durch die Komplexität der Aufgaben und durch die rasante Beschleunigung im Netz wird redaktionelle Arbeitsteilung und Teamarbeit wichtiger denn je.
Reporter für die New York Times setzen bereits zu Beginn eines Termins eine Kurzfassung ihrer Geschichten per Blackberry ab. Ein Autorenteam in der Redaktion verarbeitet die einlaufenden Informationen und Bilder zu einer sich fortschreibenden Geschichte. Social Media Manager dienen als Kuratoren dieser Inhalte gegenüber der Leserschaft, geben Feedback und Hinweise zurück an die Autoren.
6. Lebenslanges Lernen (korr.)
Lebenslanges Lernen – für viele von uns gehört das zu jenen leeren Worthülsen, wie das Nutzen von Synergien oder das Schaffen von Mehrwert. Das kontinuierliche Lernen jedoch gehört in der Tat zu den Schlüsselqualifikationen der Zukunft. Redaktionssysteme kommen und gehen, die Innovationszyklen werden immer kürzer.
Dabei geht es nicht darum, jeder digitalen Sau hinterherzulaufen, die gerade durch das virtuelle Dorf getrieben wird. Es geht darum, die Zusammenhänge zu begreifen, wie sich Kommunikation verändert. Denn soviel steht fest: So wie es mal war, wird es nie mehr sein. Wer daran zweifelt, sollte mal versuchen, den Menschen heute ihre Handys wieder wegzunehmen.
7. Es tun!
Der vielleicht wichtigste Punkt aber ist, es nicht dabei zu belassen; sich weiterhin damit zufrieden zu geben, auf Medienkonferenzen über Buzz-Words wie Social Media oder das iPad zu diskutieren. Tauchen Sie ein in das Netz und probieren Sie es aus. Und mit Ausprobieren meine ich nicht: anschauen und dann wieder zurück zum business as usual. Werden Sie aktiv und bleiben Sie dran! Beginnen Sie ein Blog. Twittern Sie – und hören sie nicht eher wieder damit auf, bis Sie den wahren Sinn dahinter begriffen haben. Melden Sie sich bei einem Geolocation-Dienst wie Foursquare an und malen Sie sich aus, wie man diese Technik gewinnbringend für die eigene Berichterstattung nutzen könnte. Die Möglichkeiten sind schier endlos.
Nicht alle Ideen werden sich in die Tat umsetzen lassen. Nicht alles wird auf Anhieb funktionieren. Doch nur wenn Sie oft genug scheitern, werden Sie erfolgreich sein. Viele sagen: In Zeiten wie diesen können wir uns Experimente nicht leisten. Ich behaupte das Gegenteil: Wir können es uns nicht länger leisten, nicht zu experimentieren.
Wunderbare, pointierte Übersicht! Wobei vielleicht noch ein Punkt zu ergänzen wäre: „Neue Werkzeuge nutzen“ – angefangen von Visualisierungstools wie Wordle.net über Datenbankjournalismus bis hin zu Kollaborationstools im Austausch mit den Kollegen und den Nutzern.
Ein schöner Beitrag! Online-Journalisten dürfen im Web eben nicht nur informieren, wenn sie sich ein Standing erarbeiten wollen – sie müssen raus aus der Deckung und beständig kommunizieren und moderieren. Das ist eine neue Aufgabe, die noch vielen schwer fällt.