In Regensburg stehen sich Bistum und ein Blogger gegenüber. Es geht um Kindesmissbrauch, eine Geldzahlung und um eine Behauptung, die der Blogger aus dem SPIEGEL übernommen hatte. Die Kirche droht mit einem saftigen Ordnungsgeld. Doch der Blogger bleibt stur und erfährt immer mehr Unterstützung im Netz.
Internet und Kirche. Das kann nicht gut gehen. Oder doch? Auf der Tagung Digitale Zeugen warnte Papst Benedikt jüngst vor den Gefahren des World Wide Web: Die Wahrheit werde reduziert auf ein „Wechselspiel der Meinungen“. Die Folge: eine „Verschmutzung des Geistes“.
Gleichzeitig, und das ist bemerkenswert, ruft der Papst die Geistlichen dazu auf, sich verstärkt auch mit den Neuen Medien auseinanderzusetzen, die „Tür zu den neuen Formen der Begegnung“ zu öffnen, den digitalen Dialog zu suchen, dem Internet eine Seele zu geben. Soweit die Theorie.
In der Praxis scheinen manche Kirchenvertreter mit dieser neuen Wirklichkeit jedoch so ihre Schwierigkeiten zu haben.
Bistum vs. Blogger
Beispiel Regensburg. Hier stehen sich zur Zeit das Bistum und ein Blogger unversöhnlich gegenüber. Stefan Aigner, 36, betreibt die Seite. regensburg-digital.de und hat sich in seinem Blog zum Thema Kindsmissbrauch und Kirche geäußert. Dabei hat er auch auf einen Fall hingewiesen, den der SPIEGEL mit der Überschrift „Schweigen gegen Geld“ betitelte. Ohne hier weiter ins Detail gehen zu wollen: es handelt sich dabei um ein Stillschweigeabkommen zwischen Kirche und der Familie eines Missbrauchsopfers. Die Hintergründe haben. SPIEGEL aber auch. Stefan Niggemeier sehr anschaulich zusammengefasst.
Eines Tages flatterte dem Blogger die Abmahnung einer Münchner Anwaltskanzlei im Auftrag des Regensburger Bistums ins Haus. Er solle seine Bewertung über den oben geschilderten Fall zurücknehmen (SPIEGEL, Süddeutsche,. BILD halten ähnliche Äußerungen auf ihren Online-Seiten bis heute aufrecht). Aigner empfindet das Vorgehen des Bistums als Maulkorb. Er weigert sich, die Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Es folgte eine Einstweilige Verfügung vom Landgericht Hamburg mit der Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000 Euro.
Doch Blogger Aigner lässt nicht locker. Im Gegenteil: er bittet die Leser seines Blogs um Spenden. Und siehe da: binnen weniger Tage hat er rund 8.000 Euro zusammen, genug, um es mit den gegnerischen Anwälten aufnehmen zu können.
Die Positionen
Nachdem der Fall nun auch im Netz immer größere Wellen schlägt, habe ich mit beiden Parteien gesprochen.
Stefan Aigner habe ich diese Woche am Rande des Twittagessens in München getroffen. Hier seine Schilderungen:
Da ich diesen Blog in meiner (sehr begrenzten) Freizeit betreibe, war es mir nicht möglich, nach Regensburg zu fahren. Umso erfreuter war ich, dass sich der Sprecher des Bistums ohne Umschweife dazu bereit erklärt hatte, mir für meinen Blog ein Telefoninterview zu geben. Bei großen Institutionen weiß Gott keine Selbstverständlichkeit.
Hinweis: Beide Gespräche wurden gekürzt. Juristischen Details habe ich weggelassen, da diese hier nicht geklärt werden können.
Eine Sau, die bleibt
Was mich an der ganzen Sache fasziniert, das sind die neuen Spielregeln, unter denen eine solche Auseinandersetzung heute abläuft: Vor wenigen Jahren noch wäre ein gleich gearteter Fall mit der ersten Abmahnung seitens des Bistums erledigt gewesen. Ein freier Journalist – allein gegen eine Mega-Institution wie die Katholische Kirche? Ein juristisches wie auch finanzielles Himmelfahrtskommando!
Das Internet jedoch schafft ein neues Kräfteverhältnis. Durch die privaten Spenden (überwiegend in einer Größenordnung von 5 bis 20 Euro) schafft es Aigner evtl. sogar bis in die nächste Instanz. Und anders als bei den Klassischen Medien unterliegt das Netz auch keinen Aufmerksamkeitswellen. Die Sau, die einmal durch das virtuelle Dorf getrieben wurde, bleibt.
Vielleicht auch ein Grund, weshalb die Kirche so rigoros gegen unliebsame Blogger vorgeht. Das Internet vergisst nie. Eine Tatsache, die sich für das Bistum allerdings auch als Bumerang erweisen könnte.
Ob sich Papst Benedikt so den Dialog mit den Neuen Medien vorgestellt hat?
Unabhängig von der juristischen Frage (das werden die Gerichte klären müssen) – Wie seht Ihr die Sache?
Ich glaube, dass auch die juristischen Chancen ganz gut sind. Nachdem das LG und OLG Hamburg in letzter Zeit in Karlsruhe regelmäßig aufgehoben worden ist, könnte zumindest beim OLG langsam ein Prozess des Umdenkens begonnen haben.
Das Verfassungsgericht hat den Hamburger Gerichten gerade wieder ein „grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit“ attestiert. Siehe:
http://www.internet-law.de/2010/04/grundlegendes-fehlverstandnis-des-gewahrleistungsgehaltes-der-meinungs-und-pressefreiheit.html
@ Stadler: Danke für den Hinweis! Übrigens für alle, die das hier lesen: auch sonst immer eine Blog-Empfehlung:
http://www.internet-law.de
Haben Sie den Bistumssprecher gefragt, ob er auch gegen die deckungsgleichen Äußerungen des Spiegel abzumahnen versucht?
@Thomas Knüwer Ja, habe ich. Der Sprecher hat mir gegenüber geäußert, man sei bei der Online-Version des SPIEGEL in die zweite Instanz gegangen.