Werbung an Schulen ist in Deutschland verboten. DIE ZEIT verschickt Arbeitsmaterial an Lehrer und lässt sich das von Versicherungen und US-Konzernen finanzieren. Broschüren und Arbeitsblätter zum „verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet“ – mit freundlicher Unterstützung von Google und Facebook.
Wenn es um unsere Schulen geht, sind sich Politik, Wirtschaft und Lehrerverbände einig: Mehr Medienkompetenz! Mehr Computer! Mehr Digitale Bildung! Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung für Lehrerfortbildung sowie die digitale Infrastruktur fünf Milliarden Euro in die Schulen stecken.
Das Warten auf die digitale Schule geht weiter
Soweit die Theorie. Ab wann und für was genau das erste Geld fließen soll, ist noch völlig unklar. Alles, was es bislang gibt, ist ein Eckpunkteplan. Letzte Woche haben sich zum ersten Mal die Bundesbildungsminister getroffen, um über eine Einrichtung von Arbeitsgruppen und einen „Nationalen Bildungsrat“ zu beraten.
Weil das mit der Digitalisierung unserer Klassenzimmer wohl noch etwas länger dauert, wittern private Unternehmen ihre Chance, dieses Vakuum zu füllen, etwa mit der Bereitstellung von Unterrichtsmaterial. Das alles natürlich kostenlos und völlig uneigennützig.
Arbeitsblatt vom Versicherungskonzern
Ein mir bislang unbekanntes Unternehmen, die TEMPUS Corporate GmbH, hat mich letzte Woche angeschrieben. Man möchte einen ZEIT-Artikel von mir für eine Broschüre „Medienkunde 2018/19“ verwenden. Das geplante Heft stelle Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsmaterial zur Vermittlung von Medienkompetzenz kostenfrei zur Verfügung.
Konkret soll aus meinem Text ein doppelseitiges Arbeitsblatt zum Thema „Hatespeech“ erstellt werden – garniert mit dem Logo eines deutschen Rechtschutzversicherers. Das machte mich stutzig. Ein Versicherungskonzern finanziert Arbeitsblätter zu Themen, mit denen er Geschäfte macht, und DIE ZEIT gibt sich für so etwas her?
Ein Scherz, dachte ich, und fragte nach. „Je nach inhaltlichem Fokus sucht sich ZEIT für die Schule Kooperationspartner, die für das Thema stehen und sich glaubwürdig mit diesem auseinandersetzen“, so die Projektmanagerin von TEMPUS Corporate auf Nachfrage.
Und Tatsache: Auf der Webseite von ZEIT Schule finden sich Dutzende Arbeitsblätter und Broschüren, thematisch unterstützt von Partnern, die sich glaubwürdig mit Themen auseinandersetzen. Glaubwürdig wohl vor allem deshalb, weil sie genau mit diesen Themen ihr Geld verdienen.
So informiert ausgerechnet Google über den richtigen Umgang mit dem Smartphone oder Facebook über Fake News.
…Bock – Gärtner? Ich habe nachgefragt. Bei „ZEIT für die Schule“ sieht man das so:
„ZEIT FÜR DIE SCHULE wählt seine Kooperationspartner entsprechend der eigens geplanten Schuljahresthemen aus. Diese Themen werden von ZEIT FÜR DIE SCHULE einerseits aufgrund ihrer Aktualität und zum anderen wegen ihrer gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Bedeutung ausgewählt. Die Kooperationspartner setzen sich mit dem jeweiligen Thema auseinander und werden aus diesem Grund für das Projekt ausgewählt. Die jeweilige Expertise des Partners kommt dem Projekt zu Gute, die inhaltliche Hoheit liegt ausschließlich bei ZEIT FÜR DIE SCHULE.“
Veraltete Schulbücher
Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Denn auf der Webseite ZEIT für Schule, also jener Anlaufstelle, auf der man sich die ZEIT-Broschüren und -Arbeitsblätter herunterladen soll, stehen die erwähnten ZEIT-Artikel Seite an Seite mit gefärbten PR-Texten der Sponsoren.
„Das Phänomen von versteckter Werbung an Schulen ist uns seit Jahren bekannt“, so Ulf Rödde, Redaktionsleiter von Erziehung und Wissenschaft von der Bildungsgewerkschaft GEW. „Häufig gibt es kein Unterrichtsmaterial zu aktuellen Themen. Bis Schulbücher, auch wegen langer Prüfverfahren, erscheinen und an die Schulen kommen, sind die Inhalte schon veraltet.“
Genau in diese Lücke stoßen viele Unternehmen. Sie beliefern Schulen und Lehrer mit Arbeitsblättern, Videos oder anderem pädagogischen Material und haben damit quasi freien Zugang in die Schulen.
Bildungs-Sponsoring ist in Deutschland erlaubt. Anders sieht es mit Werbung aus. Die ist in fast allen Bundesländern strikt verboten. Allein in der aktuellen ZEIT-Broschüre „Medienkunde“ zähle ich ein halbes Dutzend Werbeanzeigen zu Verlags-eigenen Produkten oder kommerziellen Bildungsprogrammen.
“Was wir festgestellt haben: Oft gibt es bei kritischen Themen bewusst Auslassungen“, so Ulf Rödde von der GEW. „Wenn beispielsweise Energieunternehmen Material zum Thema Atomstrom bereitstellen, wird Kritik an der Technologie entweder ganz ausgeblendet oder nur kurz angerissen.“
Wieviel Geld DIE ZEIT von Facebook oder Google für diese Form von Imagepflege kassiert, darüber schweigen sich die Partner bei aller Transparenz aus. Von Facebook, das seit 2017 Content-Partner ist, heißt es:
„Wir arbeiten mit einer Vielzahl von Partnern in ganz Europa zusammen und unterstützen Initiativen, welche insbesondere Medienkompetenz und Digitalisierung fördern. Denn diese Partnerschaften erlauben es uns, einen offenen Dialog zu führen, für die Sicherheit der Facebook-Nutzer zu sorgen, und sicherzustellen, dass alle Menschen von Technologien profitieren können.“
So gesehen lautet die vielleicht wichtigste Lektion, die Kinder und Jugendliche im Zusammenhang mit Gratis-Angeboten lernen sollten – egal ob sie von Google, Facebook oder DIE ZEIT stammen:
There is no such thing as a free lunch.
Wer an Schulen wirbt, verfolgt damit klar kalkulierte, kommerzielle Absichten. Sei es direkt durch Verkaufsangebote (wie bei den Schnupper-Abo-Angeboten der ZEIT) oder indirekt durch langfristigen Image-Gewinn bei Kindern, Eltern oder Lehrern.
Weil mir die Medienkompetenz unserer Kinder sehr, sehr, sehr am Herzen liegt, habe ich – völlig uneigennützig – ein paar eigene Arbeitsblätter für die Sekundarstufe II erstellt, die Ihr Euch gratis herunterladen könnt! Thema: „Lobbyismus im Klassenzimmer“. Die Texte dazu stammen übrigens allesamt aus der ZEIT.
Wie kommt die Werbung an die Schule? Auch diesen Blogpost gibt es jetzt als Arbeitsblatt zum Download:
Mehr Sponsoring an den Schulen – Eure Meinung?
Ginge es der Zeit wirklich darum, LehrerInnen zu informieren wuerde man das einfach machen als Teil der journalistischen Arbeit-vielleicht kann man eine Stiftung oder die Bundeszentrale mit an Bord nehmen um Kosten zu decken etc. Natuerlich ist es lukrativer mit finanzkräftigen Partnern zusammen zu arbeiten und gleich noch Zeit-Produkte mit zu bewerben-im Zweifelsfall kann man dann ja verschwurbelte Mitteilungen rausgeben, dass Partner ‚passen‘ muessen und das alles ganz anders sei. Und bei der nächsten Berliner Runde sitzt man vorne auf dem Podium und erzählt in Sonntagsrede-Manier, wie toll, sorgfältig und wichtig der Zeit-Journalismus ist. Aber gut, ich habe keine Kinder an deutschen Schulen, ich zahle nicht fuer ein Abo und klicke nur unregelmässig auf die Webseite um derartige Unternehmen so wenig wie möglich zu unterstuetzen…
Ich zweifle nicht an den hehren Motiven des Verlags, damit auch was Gutes zu tun, jedoch hat diese Form von Sponsoring für mich einen üblen Beigeschmack. Dass mein Text gegen Hatespeech ausgerechnet von einer Rechtschutz-Versicherung sowie Google und Facebook an den Schulen verbreitet werden soll, also ausgerechnet von jenen Firmen, die meiner Familie und mir so viel Leid zugefügt haben, ist bemerkenswert. – Deine Idee von einer unabhängigen Stiftung halte ich für den besseren Weg! Danke für das Feedback.
„Ginge es der Zeit wirklich darum, LehrerInnen zu informieren wuerde man das einfach machen als Teil der journalistischen Arbeit“
Tut man ja: Die Artikel der Arbeitblätter stammen alle aus der Zeit. Sind also Teil der journalistischen Arbeit. Und die sind übrigens ganz schön kritisch gegenüber Facebook und co.
Hat denn irgendjemand die mal gelesen?
Das stimmt nicht ganz. Die Aufklärungs-Artikel auf der Webseite der ZEIT sind reine PR-Texte, die explizit von GOOGLE und FACEBOOK stammen.
Vielen Dank für diesen guten Aufschlag zu dieser sich aktuell massiv ausweitenden Problematik. Ihre Beobachtungen sind richtig und Ihre Skepsis mehr als berechtigt.
Inzwischen übernehmen Marketingagenturen, die sich alleine auf den Schulmarkt konzentrieren, für ihre Kunden ganze Kampagnen im Klassenzimmer. Dort, so das meist einhellige Versprechen, könne man die „Zielgruppe“ ohne „Streuverluste“ erreichen.
Doch inzwischen greift die Problematik deutlich weiter über die tendenziösen und werbenden Unterrichtsmaterialien hinaus. Im Rahmen von Schulveranstaltungen und -wettbewerben werden Schulklassen in die Filialen von Supermärkten oder IT-Herstellern gelockt, um dort produktspezifisch zu „lernen“. Internationale US-IT-Konzerne finanzieren mit mehreren Millionen US-Dollar deutsche Unternehmen und Initiativen aus, damit diese im Sinne des Geldgebers in deutschen Schulen Projekte und Produkte lancieren. Große Krankenkassen veranstalten bundesweit Sportevents für Schulen, deren wesentlicher Bestandteil darin besteht, Werbepartner die Tür in die Schulen zu öffnen und die Werbebotschaft möglichst nah am oder gar im Kinderkopf zu platzieren.
Vieles davon wird versucht unter dem Label „Gemeinnützigkeit“ zu verbergen und die grundlegende Unterfinanzierung des Bildungssystems auszunutzen. Die Problematik der Transparenz, die Sie ansprechen, ist tatsächlich eines der Hauptprobleme. Wenn der zunehmende Eindruck entsteht, dass es finanzmächtigen Akteuren gelingt, Themen und Inhalte in Schulen zu setzen und zu platzieren, wird das einen nicht abzuschätzenden Schaden in das demokratische Vertrauen in die Unabhängigkeit, Neutralität und Pluralität unseres Schulsystems verursachen. Und dieser Schaden wird viel schwerer wiegen als der kurzfristige, süße Geschmack von kostenlosen weil werbend/lobbyistisch finanzierten Unterrichtsmaterialien.
In meinem Blog http://www.bildungsradar.de sowie dem zugehörigen Twitteraccount @bildungsradar setze ich mich mit diesem Themenkomplex auseinander. Für einen Austausch stehe ich gerne zur Verfügung.
Danke für das konstruktive Feedback. Offenbar beschäftigen Sie sich schon länger mit der Problematik. Spannend. Schaue mir Ihr Blog gerne an. Schöne Grüße, Richard