MerkelCollage

 

Diese Woche hatte es in sich – das reinste Pro-Seminar in Politik-, Kommunikationswissenschaften und Sozialpsychologie. Was ich diese Woche über politische Inszenierungen und unser Selbstverständnis als Journalisten gelernt habe.

 

1) Ob YouTuber oder TV-Journalist: Das Gespräch von LeFloid mit der Bundeskanzlerin war schlicht und ergreifend schlecht. Punkt. Das Medium spielt keine Rolle.

2) LeFloid muss sich sehr wohl für seine devote Haltung gegenüber Merkel Kritik gefallen lassen. Wer in seinen Videos (die Ihr sicher alle kennt, oder?) die Bundeskanzlerin als „Industriehure“  bezeichnet, kann nicht plötzlich derart kuscheln.

 

 

3) Wie es anders geht, sieht man bei KiKa-Moderator Felix Seibert-Daiker aus dem Merkelstreichelt-Video (Langfassung). Irre gut vorbereitet, stets kritische Nachfragen. Keine Angst, die Kanzlerin auch mal zu unterbrechen. Respektvoll, aber mit Eiern. Könnte sich sicher auch so mancher altgediente Journalist was von abschauen.

4) Die Kluft zwischen Netz- und traditionellen Journalisten ist noch immer größer als ich dachte. In beiden Lagern die üblichen Beissreflexe: „Seht Ihr – der kann’s nicht!“ bzw. „Ihr Hauptstadtjournalisten macht auch keine besseren Interviews!“ Ich nehme mich hier ausdrücklich nicht aus (wobei ich mich frage, in welches Lager ich eigentlich gehöre).

5) Es ist beschämend, wie wenig recherchiert wird – das gilt für „Netzgemeinde“ und Qualitätsjournalisten gleichermaßen (wobei es die Profis eigentlich besser wissen müssten!). Nicht einmal Tweets werden mehr zu Ende gelesen, bevor die Pfeile fliegen. Und jeder liest nur das, was er lesen will.

6) Krass, dass die PR-Agentur von Merkel versucht hat, die Tränen des Mädchens wider besseren Wissens im Netz umzudeuten. Und dann noch, als es auffliegt, die entsprechende Passage auf der offiziellen Webseite einfach zu löschen und umzuschreiben! Armselig.

 

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7) Es ist erstaunlich, wie FAZ und Springer der Regierung immer wieder zur Hilfe eilen, sobald sich im Netz eine andere Meinung als die hauseigene formiert. Mit objektivem, ausgewogenen „Qualitätsjournalismus“, wie er aus eben diesen Häusern selbst gerne propagiert wird, hat das oft wenig zu tun.

Was mich am meisten befremdet: Wie sehr wir uns alle an professionelle PR-Inszenierungen gewöhnt haben und diese gar nicht mehr hinterfragen. Was das Video mit der jungen Schülerin so außergewöhnlich macht, war NICHT die mehr oder weniger gefühlvolle Reaktion von Angela Merkel. Was das Video so kraftvoll macht: Das Mädchen hat für einen kurzen Moment eine perfekt orchestrierte Inszenierung gesprengt! Alle vom Kanzleramt bezahlten PR-Mitarbeiter, die Kameras, Fotografen und Webseiten waren für einen kurzen Moment neutralisiert und haben uns wenige Sekunden HINTER diese Inszenierung blicken lassen.

 

MerkelWeb

 

Ich wünschte mir, so mancher Journalist, ob Netz oder nicht, würde solche PR-Termine mehr hinterfragen, statt eine Kanzlerin allein an der Qualität ihrer Streichel-Einheiten zu messen. Insofern – eine gute Woche. Ich hoffe ich ziehe daraus für meine eigene Arbeit die richtigen Schlüsse.

Was meint Ihr?

 

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16 Kommentare
  1. Jürgen Schlei schreibt:

    In Politik und Wirtschaft wird nichts einfach nur so gemacht, alles hat seinen Zweck; dementsprechend wird (fast) immer Impression Management betrieben – es wird inszeniert. Leute vom Fach erkennen solche Inszenierungen sofort – und bekommen manchmal Angst, wenn sie erkennen, wie weit das Ganze reicht.
    PR hat sich mittlerweile überall so gut etabliert und professionalisiert, dass sie mit ihren ausgeklügelten Maßnahmen die menschlichen Firewalls von Nicht-Eingeweihten (und davon gibt es seeeehr viele) ohne Widerstand passiert. Die meisten Menschen hassen Werbung und meinen sogar, sie sofort erkennen zu können, dabei werden sie längst auf anderen Wegen gelenkt. Und das ist keine paranoide Verschwörungstheorie, sondern unser Alltag!
    Und wer meint, aus meinem Kommentar eine Wertung herauszuhören, liegt falsch: Das Problem liegt nicht in der „ach so bösen PR“, aber in der zunehmenden Neigung des Menschen zur Trägheit bei der Beurteilung und Verarbeitung von Informationen (denn zu Hinterfragen ist ja anstrengend).

  2. Andreas Weck schreibt:

    Zu Punkt 4. Wenn jemand von dir verlangt, dich für ein Lager zu entscheiden, solltest du schnellstens Land gewinnen – hab ich irgendwo in diesem Netz mal gelesen und halt die Aussage für richtig.

    • Richard schreibt:

      Naja, wir Journalisten leben ja davon, Menschen in Schubladen zu packen. Gilt für uns dann auch.

Willkommen!