Sucht man hierzulande einen Geheimdienst-Experten, kommt man an Holger Stark nicht vorbei. Zusammen mit Marcel Rosenbach hat der Leiter des SPIEGEL-Büros in Washington DC ein Buch geschrieben, das diese Woche in den Handel kommt. Ein Gespräch mit Holger Stark über die NSA, das Silicon Valley und das Weiße Haus.
Seit 13 Jahren schreibt Holger Stark für den SPIEGEL. Zuletzt leitete er das Deutschland-Ressort im Berliner Büro des Nachrichtenmagazins. Das Buch Staatsfeind WikiLeaks (Afiliate Link), das er zusammen mit Marcel Rosenbach geschrieben hat, war ein Bestseller. Diesen Montag ist ihr neues Buch über Edward Snowden und die NSA erschienen.
G! blog: Das letzte Mal, als wir uns miteinander hier in diesem Blog unterhalten haben, da ging es um Julian Assange und WikiLeaks. Hättest du dir damals vorstellen können, dass es noch jemals irgendetwas Größeres geben könnte?
Holger Stark: Wir haben zumindest intern im Spiegel mal gesagt, das ist wahrscheinlich die größte, journalistische Geschichte unseres Lebens, die wir damals mit den WikiLeaks-Kabeln und Bradley Manning gemacht haben. Dass es dann relativ schnell danach eine Affäre geben würde, die das Ganze noch toppen würde, sowohl von der Dimension des Materials als auch von der Geheimhaltungsstufe – diese NSA-Sachen sind ja fast alle top secret eingestuft – hat mich zumindest überrascht. Im Nachhinein muss ich sagen, ist es aber so ungewöhnlich wiederum auch nicht, weil natürlich diese Sachen indirekt auch zusammenhängen. (…)
Bradley Manning hat Leuten wie Edward Snowden den Weg bereitet
Ich glaube, dass Bradley Manning schon derjenige gewesen ist, der Leute wie Edward Snowden den Weg bereitet hat. Dass da so eine jüngere Generation herangewachsen ist von Leuten, die im Internet richtig sozialisiert sind und für die das Netz (…) ein Teil es politischen und gesellschaftlichen Lebensraums ist und damit auch nicht wegzudenken. (…) Und die fremdeln, wenn sie sich angucken, was ihre Regierung für eine Art von Politik betreiben, und den Akt, den Bradley Manning damals vollzogen hat, 2010, als er die Geheimdepeschen an WikiLeaks übergeben hat, das ist einer gewesen, den sich Edward Snowden sehr genau angeguckt hat und der für ihn gewissermaßen so eine Art Role Model war. Nicht in dem Maße, das dann an WikiLeaks zu geben, aber schon in dem Maße zu sagen, da sind Dinge, die passieren in meiner eigenen Regierung, mit denen bin ich ganz und gar nicht einverstanden, und da denke ich, die Sachen müssen an die Öffentlichkeit kommen.
Du meinst, auf die Verfehlungen des Staates hin haben sich überhaupt erst die Verfehlungen dieser Whistleblower hin ergeben, und das schaukelt sich jetzt gegenseitig immer weiter hoch? Demnach müsste ja bald der nächste Snowden in der Tür stehen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir weitere Leute sehen werden. Vielleicht nicht im klassischen Geheimdienstbereich, aber dass diese Art von Leaks, von Enthüllungen staatlichen Handelns, mit dem einzelne Bürger nicht einverstanden sind, letztlich und die sagen, das muss an die Öffentlichkeit kommen, dass wir davon noch mehr sehen werden. Da gibt es ja auch noch andere Beispiele. Es gibt noch Leute wie Aaron Swartz beispielsweise, den Mitbegründer von Reddit, der eine ganze Reihe von Sachen an die Öffentlichkeit gebracht hat, Jeremy Hammond, der ein klassischer Netzaktivist war und der die Stratfor-Sachen geklaut hat und an WikiLeaks übergeben hat.
Eine ganze Generation fremdelt damit, wie Politik hinter den Kulissen betrieben wird
Ich glaube, dass diese Generation, die so in den 80er-Jahren geboren ist und jetzt so Anfang dreißig, Ende zwanzig ist, dass die extrem damit fremdelt, wie Politik hinter den Kulissen betrieben wird, und was für ein Politikverständnis und auch was für ein Geheimhaltungsverständnis beispielsweise die amerikanische Regierung noch hat. Und die richtig interessante Frage wird natürlich sein, sehen wir das dann auch mal in Russland, und sehen wir das dann auch mal in China, wo natürlich der Vorhang noch viel eiserner und viel bleierner runtergelassen worden ist.
Du und Marcel Ihr habt euch wieder zusammengetan und habt ein Buch über den NSA-Komplex geschrieben. Worum geht es in dem Buch, und wie unterscheidet sich das von diesen laufenden Geschichten, die wir Woche für Woche im Guardian oder aktuell auch wieder im Spiegel lesen?
Das Buch entstand eigentlich aus dem Impuls, dass wir den Eindruck hatten, selbst in einer langen Spiegel-Titelgeschichte, die über zehn Seiten geht, können wir nicht die ganze Dimension dessen erfassen, was wir hier gerade sehen, und was vor sich geht. Es dauert auch eine ganze Zeit, bis man die Materialien verstanden hat, bis man durch die Details gegangen ist, die ganzen Akronyme der NSA verstanden hat, und unser Impuls war, zu sagen, das würden wir gerne noch mal etwas systematischer erfassen, etwas gründlicher aufarbeiten, zumal dieses Material so wahnsinnig reichhaltig ist, dass es ganz viele kleinere Geschichten links und rechts entlang der Wegstrecke gibt, die in klassische Berichterstattung so gar nicht einfließen können. Und dann haben wir im Herbst begonnen, das Ganze zu systematisieren.
Ich bin einmal nach Fort Meade zu NSA-Zentrale rausgefahren, habe mich dort auch mit den NSA-Leuten ausführlich und länger unterhalten. Wir haben einmal versucht zu verstehen, wie die gesamte Zugriffsstruktur der NSA auf Informationen ist. Das Netz, das Internet ist ja durchzogen von großen Backbones, also wenn man so will, Lebensadern, glasfaserverkabelt, wo ein Großteil der Informationen transportiert wird. Und beispielsweise die Systematik, mit der die NSA diese Backbones anzapft, diese Lebensadern, und versucht, da maximal viel an Informationen abzusaugen über Orte wie Cornwall, wo die deutschen Kabel oder die KabelDeutschland versorgen, auch durchlaufen, wo dann für drei Tage lang komplett und jede E-Mail, jeder Videofilm, jede Skype-Unterhaltung und nach Stichworten durchsucht wird. Diese Systematik und dieser allumfassende Ansatz, den Keith Alexander, der NSA-Chef einmal damit beschrieben hat, wir wollen den ganzen Heuhaufen haben. Also praktisch jede Art von Informationen, um danach dann retrograd rausfinden zu können, welche Details davon für die NSA wohl relevant sind. Dieses einmal zu erfassen und zu beschreiben, das war das eine. Das andere war, dass wir so konstant und lange jetzt auch mit dem Material gearbeitet haben und indirekt auch mit Snowden, dass die auch Lust gehabt haben, die politische Dimension dieser Geschichte noch mal zu erfassen.
Was ist das für ein Laden, um jetzt mal bei der NSA zu bleiben? Gibt es da auch unterschiedliche Fraktionen, etwa Liberale, Realos und Hardliner?
Ich habe Zweifel, ob es wirklich so viele Fraktionen innerhalb der NSA gibt, weil der Laden am Ende doch ein extrem militärisch geprägter ist. Er wird geführt von einem General, die Hälfte der 40.000 Mitarbeiter oder mehr als die Hälfte kommen aus dem Militär, und man merkt es schon, wenn man auf diesen Compound in Fort Meade – ungefähr eine Autostunde von Washington entfernt im Norden – kommt, selbst die Parkplätze sind streng hierarchisch. Und auch, welche Autokategorien wo parken. Also die großen, dicken Mercedes- und Daimler-, BMW-, Lexus-Limousinen und so, das ist erkennbar sozusagen dann, die Führungsschicht. Und dementsprechend ist es auch innen drin.
Kritik innerhalb der NSA ist nicht erwünscht
Es gibt, ich glaube, acht Aufzüge. Einer ist davon nur dem Führungspersonal und dem Direktor selber vorbehalten. Also der Laden ist sehr hierarchisch geführt, und deswegen bin ich nicht sicher, wie vital die Diskussionskultur innerhalb der NSA ist, um es mal so rum zu sagen. Jedenfalls haben die Leute, die mit dem Kurs lange Zeit nicht einverstanden waren, wie Will Binney, wie Tom Drake, wie Kirk Wiebe und andere, am Ende des Tages dann nur die Chance gehabt, die NSA zu verlassen und als Whisteblower gewissermaßen und als Opposition von außen zu agieren. Kritik, so habe ich es jedenfalls von Tom Drake und Will Binney gehört, mit denen ich mich oft hier getroffen habe, Kritik innerhalb der NSA ist nicht sehr erwünscht.
William Binney hat ja kürzlich in meinem Blog erzählt, dass er Journalisten als Primary Target der NSA ausmacht. Wie kannst du überhaupt noch arbeiten, wenn du weißt – zum Beispiel bei eurem Spiegelbüro in Berlin, schräg gegenüber am Brandenburger Tor, da ist der Horchposten der Amerikaner – können wir da die Pressefreiheit nicht von vornherein knicken?
Die Ironie ist, ich sitze ja im Moment im Büro in Washington des Spiegels. Die Ironie ist, dass das Fourth Amendment Korrespondenten wie uns, die dauerhaft auf amerikanischem Boden arbeiten, eigentlich schützt. In dem Moment, wo ich aber die Vereinigten Staaten von Amerika verlasse, also beispielsweise nach Kanada, nach Mexiko oder nach Deutschland fliege, bin ich ein ganz legales und offizielles Ziel der Amerikaner, die sich im Übrigen – die NSA ja auch – eine Ermächtigung von diesem FISA-Gericht, diesem Sondergericht geholt hat, deutsche Staatsbürger zu überwachen. Das heißt also, in dem Moment, wo Deutsche sich dauerhaft in Amerika aufhalten, sind sie eigentlich geschützt, und in dem Moment, wo sie dann das Land verlassen, sind sie gewissermaßen vogelfrei. Insofern habe ich eigentlich in Amerika, zumindest legal betrachtet, bessere Arbeitsbedingungen als die Spiegel-Kollegen am Pariser Platz in Berlin oder auch in Hamburg.
Du schränkst selbst ein durch das Wort „eigentlich“ – Wir wissen ja auch „eigentlich“, dass selbst die amerikanischen Journalisten überwacht werden, siehe AP zum Beispiel.
Ja. Haarsträubende Fälle. Selbst konservative Journalisten wie J. Rosen von Fox News, der hart hier ins Visier geraten ist, weil dann natürlich irgendwann einfach strafrechtliche Ermächtigungen eingeholt werden, die dann wiederum fast alles erlauben. Insofern ist es sehr dünnes Eis, da hast du schon recht. Ich glaube, für Journalisten generell gelten zwei Dinge: Erstens ein gewisses Grundmaß an nicht nur Selbstschutz sondern auch an Informantenschutz, indem man beispielsweise verschlüsselte E-Mail anbiete, wenn sich jemand an dich wenden möchte, dass man mit PGP E-Mails standardisiert verschlüsselt, zweitens verschlüsselte Chat-Kommunikation gibt es eine Reihe von Protokollen, die es ermöglichen, direkte End-zu-End-Verschlüsselung zu nutzen.
Gewisse Dinge müssen auf die gute alte Face-to-Face-Variante bei einem Kaffee besprochen werden
Und das Ganze bietet dir aber natürlich unterm Strich trotz allem keine hundertprozentige Sicherheit. Das heißt also, bei bestimmten Punkten müssen Journalisten sich, glaube ich, einfach sicher sein und müssen von vornherein davon ausgehen, dass Daten unsicher sind. Das ist die Erfahrung, die die NSA ja selber auch macht. Das heißt, bestimmte Dinge dürfen am Ende einfach nicht offen per E-Mail, auch nicht am Telefon besprochen werden, sondern müssen auf die gute, alte Face-to-Face-Variante bei einem Kaffee geklärt werden.
Wie sauer sind denn die NSA-Leute, wenn jetzt so jemand wie du, ausgerechnet noch aus Deutschland, daherkommst und anfängst, der NSA hinterherzuschnüffeln?
Es gibt bemerkenswerte Unterschiede zwischen der Berichterstattung der amerikanischen Kollegen und unserer. Jedenfalls in der Art und Weise, wie das Weiße Haus und wie die NSA sie entgegennehmen oder aufnehmen. Wenn die New York Times in Fort Meade bei der NSA-Zentrale anruft, dann gibt es schnell einen Termin, es gibt manchmal Gespräche direkt mit Keith Alexander oder mit dem Chefjuristen und eine, ich würde fast sagen zuvorkommende Behandlung, auch wenn die NSA natürlich die Art und Weise, wie die Washington Post oder die New York Times berichtet, nicht mag.
Man kann auch sagen es ist ein Prädikat, keine Antwort vom Weißen Haus zu erhalten
Wenn der Spiegel anruft, wird der ernst genommen, aber auf Abstand gehalten. Ich glaube, aus einem ganz schlichten Grund: weil wir ein ausländisches Medium sind. Andere Medien kriegen teilweise gar keine Antwort, wenn sie ausländische Journalisten sind, aber die Sorge oder die Angst oder das Gefühl, wenn da ein ausländischer Journalist daherkommt, dass der dann von außen die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika möglicherweise attackiert, oder dass der nicht vertrauenswürdig ist, die ist extrem groß und deutlich zu spüren. Das haben wir an verschiedenen Recherchen gemerkt, die wir zusammen mit der New York Times gemacht haben, wo die New York Times extrem viel besser behandelt worden ist und extrem viel intensiver behandelt worden ist, als es der Spiegel wurde. Man kann auch sagen möglicherweise, dass das ein Prädikat ist, so eine Vorzugsbehandlung nicht zu bekommen, dass eine bestimmte Form von Kungelei möglicherweise hinter den Kulissen da auch nicht stattfindet. Jedenfalls ist es extrem schwer. Das Weiße Haus verweigert uns seit zehn Monaten ein persönliches Gespräch zu dem gesamten Thema. Die haben einfach kein Interesse, mit uns zu reden.
Keith Alexander hast du schon erwähnt, den NSA-Chef. Was ist mit Geheimdienstkoordinator Clapper? Der setzt sich also in den Ausschuss vom Kongress, lügt knallhart und unmissverständlich und wird dabei erwischt. Wie kann das sein, dass so einer nicht schon lange im Knast sitzt?
Die Erklärung ist, glaube ich, relativ einfach. Es hat über viele Jahre ein Schweigekartell, könnte man fast sagen, gegeben zwischen denen, die die Geheimdienste beaufsichtigen sollen und denen, die beaufsichtigt wurden, also zwischen den beiden Komitees im Kongress, einmal im Repräsentatenhaus und einmal im Senat. Die, die die Geheimoperationen der NSA, der CIA, der DIA und anderen Geheimdiensten beaufsichtigen sollen, und die gewissermaßen in einem demokratischen System von Checks and Balances, die die Kontrollinstanz sein sollten, also die schauen sollten, wo es Verfehlungen gibt, und dann den Diensten selber und dem Weißen Haus.
Die Aufseher im Kongress, die sich haben anlügen lassen, sind extrem devot und handzahm
Und Clapper als Geheimdienstkoordinator ist ja beim Weißen Haus angesiedelt. Da ist aber eher so eine Kungelrunde draus entstanden. Also so ein Gefühl, eigentlich in Wahrheit auf der gleichen Seite zu stehen und an einem Strang zu ziehen, was demokratisch betrachtet nicht die Idee der Veranstaltung ist, sondern die Idee ist, dass unabhängige Instanzen sich gegenseitig überprüfen und damit schon in einem frühen Stadium rausfinden, wenn es Verfehlungen gibt. Dass das Weiße Haus als Regierung bestimmte Kurskorrekturen nicht vornimmt, das ist klar. Das müsste dann aber wiederum der Kongress tun. Und die Aufseher im Kongress, die sich in diesem Fall von Clapper haben anlügen lassen, die sind ganz lange extrem devot und extrem handzahm gewesen und sind dem nicht hinterhergegangen. Und ich glaube, das ist der Grund, weswegen wie Clapper meint, er kann dann auch Feinstein und andere einfach knallhart anlügen.
(Fortsetzung auf der nächsten Seite)
Kann man sagen, dass die Geheimdienste der USA völlig außer Kontrolle geraten sind?
Die These würde ich nicht teilen, weil ich glaube, dass die Abstimmung mit dem Weißen Haus extrem eng ist. Das Weiße Haus ist am Ende die Instanz, die die Geheimdienste führt, jedenfalls die CIA und die NSA, und das Weiße Haus gibt die politische Linie vor. Und ich glaube, dass Keith Alexander recht hat, wenn er sagt, wir haben streng nach Recht und Gesetz im Wesentlichen gearbeitet und nach den politischen Vorgaben. Die politischen Vorgaben werden vom Weißen Haus gemacht in Unterstützung und in Absprache mit dem Außenministerium, dem State Department. Und ich glaube, dass die Dienste im Wesentlichen das erfüllen, was das Weiße Haus gerne möchte.
Aber was ist aus der Legislative und aus der Judikative geworden? Die sind doch komplett ausgeklammert aus diesem ganzen Prozess?
Sie sind nicht ausgeklammert, aber sie haben sich, wenn man so möchte, selbst beschnitten oder beschneiden lassen. (…) Dieses FISA-Gericht, was, wenn wir über die Gewaltenteilung reden, auf der gesetzeskontrollierenden Seite, auf der juristischen Seite kontrollieren soll, was die NSA beispielsweise macht, die Richter haben von sich aus zugegeben, dass sie bei einem Großteil der Sachen nicht mehr richtig verstehen, was da eigentlich läuft, beziehungsweise dass sie fertig formulierte Anträge vorgelegt bekommen, wo sie die ganze Dimension der Operationen, um die es geht, gar nicht überschauen können und trotzdem aber am Ende dann ihren Stempel druntersetzen und einen Haken dran machen, damit die NSA legal operieren kann.
Die Richter haben von sich aus zugegeben, dass sie nicht mehr verstehen, was da eigentlich läuft
Dieses System hat eine Schieflage und eine Unwucht auf der Seite, die kontrollieren sollen. Und wenn es eine der Konsequenzen geben sollte aus der ganzen Snowden-Affäre, dann wäre aus meiner Sicht diejenige, dass man das Gericht richtig ertüchtigen muss mit anständigen wissenschaftlichen Mitarbeitern und einem Apparat, dass man die Aufsicht im Kongress, im Repräsentantenhaus und im Senat ertüchtigen muss. Wenn man sich beispielsweise anschaut, wie jetzt Diane Feinstein, die Senatorin, die von den Demokraten eigentlich immer ganz loyal und ganz stark auf der Seite der Geheimdienste war, wie die jetzt wütend ist, weil sie dieses Mal selber betroffen worden ist in dieser CIA-Affäre, wo dem Senatskomitee die Unterlagen entzogen wurden, und die Mitarbeiter von ihr bespitzelt worden sind, dann gibt es zumindest ein paar Anzeichen davon, dass sich das möglicherweise ändert, aber es ist auch einigermaßen traurig, muss man sagen, dass Frau Feinstein in dem Moment anfängt, laut aufzustehen und zu protestieren, wo ihre eigenen Mitarbeiter betroffen sind in dem Maße, in dem hunderttausende von Menschen oder Millionen von Menschen weltweit betroffen sind, interessiert sie das, ehrlich gesagt, nicht wirklich.
Das ist so ein bisschen wir Merkel und ihr Telefon. Gibt es denn überhaupt keine Konsequenzen? Wird denn überhaupt nichts gerichtlich geahndet und dann auch bestraft?
Aber das steht doch in einer guten Tradition hier in Amerika, die wir schon nach den Verfehlungen und Skandalen nach Nine Eleven gesehen haben. Ich meine, erinnere dich an Waterboarding, Guantanamo und Konsorten, die Foltervorwürfe. Hier ist niemand signifikant strafrechtlich belangt worden. Obama hat als eine der ersten Maßnahmen, nachdem er ins Amt gekommen ist, darauf verzichtet, das strafrechtlich zu verfolgen.
Doch, einer sitzt im Knast. Und zwar derjenige Informant, der dieses ganze Waterboarding überhaupt erst an die Öffentlichkeit gebracht hat und mit einem Journalisten geredet hat.
Die Informanten, die darüber gesprochen haben, selbst, wenn es erkennbar und nachgewiesenermaßen harte demokratische Verfehlungen sind, die werden hier verfolgt auch unter der Obama-Administration, wie nie zuvor in der amerikanischen Geschichte. Insofern auch da eine extreme Schieflage. Ich glaube, dass dieses amerikanische System der Sicherheits-Community nach Nine Eleven hier so mächtig und so allumfassend geworden ist, dass die Sorge, sich damit anzulegen, am Ende doch groß ist, und kein amerikanischer Präsident, auch Obama nicht, in keiner Administration reüssieren kann und Politik machen kann gegen diese Geheimdienst-Community.
So eine Art Schattenkabinett?
Also mindestens, glaube ich, extrem großer Respekt und eine extreme Vorsicht, sich mit Leuten anzulegen, die erkennbar über sehr lange Hebel verfügen, und die erkennbar auch über viel Wissen verfügen, was womöglich sehr unangenehm werden kann. Wie gesagt, auch in dieser gesamten NSA-Affäre: Es ist kein einziger zurückgetreten. Keith Alexander hat seinen Rücktritt angeboten, das ist abgelehnt worden. Der wird jetzt ganz regulär in den Ruhestand gehen.
Wir haben die großen Telekommunikationsunternehmen Verizon und wie sie nicht alle heißen. Wir haben aber auch das gesamte Silicon Valley, das gerade einen Zwergenaufstand macht. Inwieweit ist denn das ernst zu nehmen, was diese Silicon-Valley-Päpste jetzt da in Washington veranstalten? Oder ist das alles nur Imagepflege?
Lass es mich mal in zwei Kategorien unterteilen: Wenn wir schauen, Verizon, Comcast und andere – also die großen Infrastrukturanbieter, die Telekommunikationsanbieter, die hier über die Telefonverbindungen und die Glasfaserkabel verfügen – die haben sich teilweise nach den Anschlägen vom 11. September 2001 richtig freiwillig angeboten. Die haben sich sozusagen der Regierung an die Brust geschmissen aus der Bewertung heraus, dass nach Nine Eleven der national Konsens, die nationale Sicherheit allumfassend sein muss, und dass das im Zweifelsfall jegliche Privatheitsansprüche ihrer Kunden übersteigt. Und so ist es bis heute. Die NSA hat rechtlich legal aber auch teilweise freiwillig absolut unbeschränkten Zugang zu den ganzen Internetknotenpunkten, zu den ganzen Kabelannahmestellen an der Ostküste und an der Westküste. Ich glaube, da ist die Bereitschaft von Firmen wie Comcast und Verizon nahezu ungebrochen, zuzuliefern, was auch immer zuzuliefern ist.
Google, Microsoft, Apple, Amazon haben jetzt verstanden, dass die NSA-Affäre richtig ans Eingemachte geht
Und dann gibt es die Firmen, die du angesprochen hast, die eher das Silicon Valley repräsentieren: Google, Microsoft, Apple, Amazon und andere, die, glaube ich, jetzt schon verstanden haben, dass die NSA-Affäre richtig ans Eingemachte geht, weil ihr Kundengeschäft, nicht nur in Amerika im überwiegenden Teil basiert, sondern weil natürlich Facebook-Kunden vor allem weltweit sind, weil Google-Kunden sich weltweit befinden. Das heißt, der Teil, der nicht Amerika ist, ist richtig empört und überlegt ernsthaft, sich von Firmen abzuwenden, von denen man weiß, dass es eine Hintertür gibt, die direkt zu den Datenspeichern der NSA in Fort Meade oder in Utah führt. Und dementsprechend glaube ich, dass diese Unternehmen jetzt auch verstanden haben, wie gravierend das ist. Ich habe hier neulich in Georgetown an der Universität vor zwei Wochen eine Cyberkonferenz besucht, wo beispielsweise der Vizechef von Microsoft geredet hat. Denen nehme ich schon ab, dass die empört sind. Mark Zuckerberg hat jetzt gerade Ende letzter Woche noch mal bei Obama angerufen und gesagt, den Staat zu einem Sicherheitsrisiko erklärt.
Man hätte sich beizeiten mal in Palo Alto in der Kantine zusammensetzen können, um sich darüber zu verständigen, wie man gemeinsam gegen Washington vorgeht
Dann musst du auch noch mal sehen, dass natürlich im Silicon Valley noch mal so eine libertäre Grundeinstellung herrscht, wo das Ostküsten-Establishment, der politische Apparat in Washington weit weg ist, und gerne auch ein bisschen abfällig betrachtet wird. Also den Tech-Companies im Silicon Valley nehme ich ab, dass sie jetzt, Stand heute, verstanden haben, dass das richtig an die Wurzeln ihres Geschäftsmodells geht. Am Ende ist es natürlich ganz klar finanzielles Interesse, was das treibt. Du hast selbstverständlich recht, die hätten gerne früher schon mal kommen können. Die haben ja die ganzen National Security Letters, also die formalen Anforderungen über viele Jahre bekommen, hätten sie gerne schon mal machen können, hätten sich gerne in Palo Alto in der Kantine mal beim Kaffee zusammensetzen können und darüber verständigen können. Das haben sie nicht getan, den Vorwurf muss man ihnen machen, ich glaube aber, dass zumindest der Teil jetzt ernst zu nehmen ist.
Wäre das vielleicht auch der Hebel, vielleicht sogar der einzige Hebel, tatsächlich die Geheimdienste wieder unter Kontrolle zu bringen: das Geld?
Ich glaube, ja. Wir aus deutscher Perspektive oder aus europäischer Perspektive gucken ja mit einem großen Maß an Empörung da noch mal drauf. Lass mich die amerikanische Perspektive, die ich hier in Washington wahrnehme, noch mal ergänzen: Das, was da in Übersee stattfindet, jenseits des Atlantik oder in Brasilien, wo Frau Rousseff ja sehr empört war und anderswo, das interessiert die Amerikaner hier, lass es mich kurz sagen, nicht die Bohne. Die einzige Diskussion, die in Sachen NSA hier vital ist, ist zum einen: Werden amerikanische Telekommunikations- und Verbindungsdaten, also Metadaten, überwacht, ja oder nein? Also sind Amerikaner selber Opfer? Und – und das ist eben der zweite Punkt – dass die Tech Companies jetzt anfangen, um ihr Geschäftsfeld zu fürchten. Insofern glaube ich tatsächlich, wenn wir über Konsequenzen innerhalb Amerikas reden, über einen, wenn du so möchtest, Reformprozess, den das Weiße Haus ansteuert, dann glaube ich, dass das das größte Druckmittel ist, dass Microsoft, dass Amazon, dass Facebook und Co. hier in Washington permanent auf der Matte stehen und sagen, da muss mehr passieren, so geht es nicht weiter.
G! blog: Holger Stark, vielen Dank für die Einblicke nach Washington und in die NSA-Zentrale. Euer Buch „Der NSA-Komplex“ (Amazon-Partner-Link) erscheint in diesen Tagen im Handel und ja, Gruß auch an alles zugeschalteten Freunde in Fort Meade, bzw. in Utah, ihr braucht das Gespräch nicht zu speichern, Freunde, das wird bei YouToube und bei Google sicher aufbewahrt werden, zum Immer-wieder-anschauen. Holger, dir alles Gute, toi toi toi, auch weiterhin bei der Arbeit. Wir lesen von dir und hoffentlich bis demnächst.
Holger Stark: Ich danke auch.
In der Recherche-Reihe “THE FARM” sind bislang erschienen:
Teil 1: Besuch des NSA Data Centers in Utah
Teil 2: NSA-Mitarbeiter Binney: „Microsoft & Co hängen alle mit drin“
Teil 3: Holger Stark: „Der NSA Komplex“
Teil 4: Lavabit-Gründer: Let’s go dark!
Ganz herzlichen Dank für den sehr spannenden und aufschlussreichen Beitrag. Ich bin sehr gespannt auf das Buch, hoffe nur inständig, dass die Autoren dort über Chelsea Manning sprechen – das ist ein nicht zu vernachlässigendes Detail, das aus meiner Sicht die Integrität der Autoren über sämtliche Details der Geschichte beleumundet.
Herzlich – Caroline
Du meinst, dass die Autoren in dem Buch nicht den neu gewählten Namen / das Geschlecht von Manning verwenden? Nun, ehrlich gesagt verstehe ich die Aufregung nicht. Bis zu seiner Inhaftierung handelte es sich de facto um Bradley, nicht um Chelsea. Was wäre daran verkehrt, hier noch von Bradley zu sprechen?
[…] Teil 3: Holger Stark: „Der NSA Komplex“ […]