Eine Woche ist es her, dass wir von PRISM erfahren haben. Noch immer ringe ich um Worte, wenn ich meine Gedanken zum größten Lauschangriff aller Zeiten zum Ausdruck bringen möchte. Der Versuch eines Kommentars.

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Am Morgen seines 30. Geburtstages stehen zwei Fremde in der Wohnung von Josef K., erklären ihm, er sei verhaftet. „Warum denn?“ möchte der Prokurist wissen. Man sei nicht bestellt, ihm das zu sagen. So beginnt Franz Kafkas unvollendeter Roman „Der Prozess“, die Qualen eines kleinen Mannes, der in die Mühlen der Justiz geraten ist und bis zu seinem Tode vergeblich versucht, herauszubekommen, welches Verbrechens er sich eigentlich schuldig gemacht haben soll.

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Wenn wir in diesen Tagen lesen, dass die USA einen Überwachungs-Apparat aufgebaut haben, mit dem die Geheimdienste in der Lage sind, Telefonverbindungen, E-Mails, Facebook-, Twitter-, SMS-Nachrichten oder Cloud-Services weltweit zu überwachen, dann erinnert das zunächst an George Orwells Gedankenpolizei. Tatsächlich sollen seit der Enthüllung über das streng geheime „PRISM“-Programm der Amerikaner die Verkäufe von „1984“ sprunghaft angestiegen sein.

Doch Orwell beschreibt nur einen Teil jener neuen Realität, der wir uns ausgeliefert sehen, jetzt, wo wir wissen, dass jeder unserer Schritte, on- wie offline aufgezeichnet und auf geheimen Serveranlagen in Utah für unbestimmte Zeit konserviert wird (zur Erinnerung: Wir sprechen hier von der Gegenwart, nicht von einer fernen Dystopie).

Foto H.-P.Haack / CC-BY
Foto H.-P.Haack / CC-BY

Unsichtbare Gegner

Das Beklemmende an der Geschichte von Josef K. in „Der Prozess“ ist die Ausweglosigkeit seiner Situation: der Kampf gegen einen unsichtbaren und zugleich omnipräsenten Gegner, ein Mix aus staatlicher Willkür, selbstherrlicher Justiz und undurchdringbaren Hierarchien (Es fällt schwer, bei der Lektüre nicht an Gustl Mollath zu denken).

Wenn der Bürger vor dem Staat auf Schritt und Tritt nackt bis auf die Unterhose ist, sich die Obrigkeit selbst jedoch stets auf Datenschutz oder bürokratische Zwänge beruft, wann immer es ihr gerade passt. Wenn Bürger per default verdächtig, fundamentale Bürgerrechte außer Kraft gesetzt sind, das alles gerechtfertigt durch einen eventuellen (!) Schutz vor abstrakten Bedrohungen. Wenn sich ein Präsident vor die Kameras stellt und angesichts des größten Lauschangriffs in der Geschichte der Menschheit von gewissen „Unannehmlichkeiten“ spricht. Wenn wir all das als normal hinnehmen, droht uns nicht zwangsläufig ein ähnliches Schicksal wie Josef K.?

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Edward Snowden, der Whistleblower, der den Abhörskandal ans Licht brachte und der seitdem auf der Flucht ist, feiert nächste Woche seinen 30. Geburtstag. Sein zweiter Vorname: Joseph.

Zu dem Thema:

Operation #PrismBreak

Nach Mollath-Tweet: Besuch von der Polizei

Hausdurchsuchung bei Bloggerin wegen Jux-Doktortitel

Spiegel Online: Voll krass, der Kafka

Graphic Novel zu Kafka „Der Prozess“ (Affiliate Link)

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9 Kommentare
  1. ot schreibt:

    Aber jetzt wissen wir ja, dass alles vom „big brother“ beobachtet wird. Damit kommen wir Orwell ja einen Schritt näher. Und, machen wir uns nichts vor, eigentlich wussten wir ja schon immer, dass alles beobachtet wird. Folgen??

  2. Petra schreibt:

    Menschen waren noch nie frei. Inquisition, Leibeigenschaft, Sklaverei, SS, Stasi….
    In jedem Abschnitt unserer menschlichen Geschichte finden sich Beweise für die Macht, die durch Kontrolle anderer Menschen ensteht.
    PRISM ist einfach nur eine elektronische Variante, wie etwa die Sperrungen des Internets in China oder anderen totalitären Staaten.
    Und nicht die Staatsmänner und -frauen an der Spitze sind dafür verantwortlich, sondern die „Subalternen“, die an ihrem kleinen bisschen Macht hängen. Präsidenten wie Obama oder auch unsere Bundeskanzlerin agieren nicht, sie reagieren auf Menschen, die meinen zu wissen, was „gut“ ist für das Land und die Welt.
    Wir können den Lauf der Welt nicht aufhalten, aber mit Leuten wie Snowden können wir sie ein wenig ausbremsen.

    • Sammy Blum schreibt:

      Ich stimme dir ja in Teilen zu, Petra, aber dass Menschen noch nie „frei“ waren – warum hier die Anführungszeichen sind, ist glaube ich klar – stimmt einfach nicht. Siehe Naturvölker. Oder überhaupt andere Völker. Es gab bzw. gibt Gruppen von Menschen, die sich auf eine Art und Weise organisiert haben, die man guten Gewissens als gerecht, weitestgehend vernünftig und einigermaßen zivilisiert bezeichnen konnte. Um es etwas radikaler auf den Punkt zu bringen: die Kultur des Abendlandes hat den Teufel (hier: grenzenloser Kapitalismus) über die Welt gebracht, das waren weder die Chinesen, noch Indianer usw. usf. Sie hat man lediglich gezwungen das Spiel mit zu spielen, dessen Gier nun den Planeten verschlingt.
      Sicherlich waren und sind die meisten Menschen nicht frei und nie gewesen. Aber einige schon. Der Unterschied zwischen damals und heute ist, dass es heute um die ganze Welt geht – als Ganzes. Sprich, entweder wir befreien uns alle oder fangen zumindest damit an, oder wir werden alle gefangen sein, so wie wir es jetzt ja schon größtenteils sind. Das schließt natürlich Chinesen und Russen mit ein. Denn, natürlich könnte eine Weltregierung, ja vielleicht sogar ein „globaler Überwachungsstaat“, etwas positives sein. Aber ist das auch dann noch möglich, wenn dieser auf Täuschung, Unterwanderung, Rechtsbruch und weiß der Geier was noch fußt? Errichtet wurde? Mehr noch: Gegen den offenkundigen Willen des Volkes! Das ist ja schon kein Geheimnis mehr – und trotzdem machen die Leute ihr Kreuz wieder an der gleichen Stelle. Eine Krankheit ist das..

      Übrigens: Die Speicherung persönlichSTER Daten würde ich nicht direkt mit dem Vorenthalten öffentlicher – hehe, je nachdem, aus welcher Sicht, ne? :D – Daten gleichsetzen oder vergleichen. Wofür würdest du dich entscheiden, wenn du die Wahl hättest: Dass du über bestimmte Dinge im Internet nicht aufrufen kannst, weil sie gesperrt sind oder dass Firma X ALLES über dich weiß? So, liebe Petra, nun musst du dich entscheiden. :)

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