Kaum eine Nation hat die Zeitungskrise härter getroffen als die USA. Doch an den Journalistenschmieden in New York macht sich neue Hoffnung breit.
„Macht es überhaupt noch Sinn, Journalist werden zu wollen?“ – die Frage höre ich nicht zum ersten Mal. Meine Standard-Antwort an verunsicherte Journalisten-Schüler oder -Studenten lautet: „Ja! Gerade jetzt. Die Zeiten waren nie besser.“ Naiv? Zynisch? Kommt immer auf den Betrachtungswinkel an. Wer wie ich Anfang der 90er Jahre auf den Medien-Arbeitsmarkt losgelassen wurde, hat eine harte Schule hinter sich. Die Werbeeinnahmen der Zeitungshäuser waren damals auf ihrem Allzeit-Hoch. Private Radio- und Fernsehstationen hatten sich etabliert und fingen gerade damit an, Geld zu drucken. Die Musikindustrie erlebte mit Einführung der Compact Disc einen wahren Gold- und Platinrausch. Von hier an konnte es nur noch in eine Richtung gehen: bergab.
Neue Hoffnung
Auf meinen letzten Reisen nach London und New York, sowie am Rande diverser Medien-Events in Deutschland, habe ich mit einigen Programmchefs, Blattmachern und Leitern von Journalistenschulen sprechen können. Auch wenn die Stimmung gerade bei den Printkollegen noch immer im Keller ist, gab es doch erste Anzeichen dafür, dass das Schlimmste offenbar hinter uns liegt. Während der Verschmelzungsprozess von Print und elektronischen Medien spürbar voranschreitet, lassen sich inzwischen klare Qualifikationen und Berufsbilder der Zukunft erkennen. Eine Rückkehr zu früheren Journalisten-Tugenden einerseits (Zuhören), die Fähigkeit, Geschichten auf neuen Wegen erzählen zu können (Mischformen aus Text, Audio, Bewegt-/Bild) andererseits. Der Nebel lichtet sich – und zum ersten Mal seit langer Zeit spüre ich bei meinen Gesprächspartnern etwas, was mir in dieser Form lange nicht begegnet ist: Zuversicht.
Aus Anlass meines Besuchs bei der Graduate School of Journalism der City University of New York, die zu den Vorreitern auf dem Gebiet des Digitalen Journalismus zählt, habe ich einige Erkenntnisse zusammengestellt, die ich in ähnlicher Form auch schon in Deutschland gehört habe, etwa bei Springer, Bertelsmann oder Burda. Zum besseren Verständnis empfehle ich das Video mit Jere Hester, Ausbildungsleiter der CUNY-Journalistenschule, das ich letzte Woche in New York aufgenommen habe.
1. Zuhören (Teil 1)
Wie kaum eine andere Branche neigen wir Journalisten zum Clusterfuck. Sprich: Etwas wird zum Thema, weil andere Blätter es zum Thema erklären. Vogelgrippe, Killergurken, Wulff… you name it. Viel zu oft orientieren wir uns dabei an Medien-Kollegen, an Agentur-Berichten oder PR-Inszenierungen, statt uns auf unser Gespür zu verlassen und eigene Themen zu setzen. Das setzt natürlich voraus, dass man seine Sinne schärft für die Welt außerhalb der eigenen Redaktionswirklichkeit, dass man wieder lernt, zu beobachten, zuzuhören. Wieder selbst zum Telefonhörer zu greifen; respektive auf die Straße zu gehen, anstatt nur Copy-und-Paste-Journalismus aus zweiter oder gar dritter Hand zu betreiben.
2. Zuhören (Teil 2)
Allein wieder auf die Straße zu gehen, um zu hören, was sich in der Welt tut, reicht nicht mehr. Ein Journalist muss heute auch im Netz aktiv unterwegs sein und sich dort auskennen. „Manchmal erfährst Du Dinge face-to-face, manchmal aus Sozialen Netzwerken“, so Jere Hester. Das ‚Hineinhorchen ins Netz‘ geht jedoch weit über Facebook und Google hinaus. Googeln ist keine Recherche – das kann heutzutage jeder. Relevante Blogs zu kennen, Stimmungen und Strömungen frühzeitig zu erkennen und ihnen nachzugehen, das ist entscheidend. Twitter und Co nicht länger zu belächeln sondern zu benutzen. „…und dann rausgehen, um die Geschichte durch klassische Recherche zu untermauern“, so Hester. Die Kombination aus dem Digitalen mit dem Traditionellen – das sei der Trick, sagt auch Sree Sreenivasan von der Columbia Journalism School (siehe Video: „The Tra-digital Journalist“).
3. Community Management
Was bei uns in Deutschland noch immer als Praktikanten-Job gilt, erfährt in den USA bereits eine weitaus größere Wertschätzung: Die Position des Community-Managers. Hier liegen große Job-Chancen gerade für junge Journalisten. Jere Hester: „In letzter Zeit werden bei uns immer häufiger Studenten angefragt, die sich gut mit Sozialen Netzwerken auskennen.“ Zu dieser Tätigkeit gehöre nicht nur das Posten auf Twitter oder Facebook, sondern auch das Kuratieren von Informationen, Fotos oder Videos, die aus dem Netz stammen. „Gewöhnliche Menschen machen heute Fotos oder Videos, stellen Informationen online – mit oder ohne uns“, so Hester. Journalistenschüler, die Erfahrung im Umgang mit Communities haben, würden in den meisten Fällen sofort übernommen. „Sie genießen in den Redaktionen eine respektable Stellung – auch was die Bezahlung betrifft.“
Gelungenes Community-Management: Sprengung der Fliegerbombe / Schwabing, München / 28.8.2012 Süddeutsche.de prüft und verlinkt auf das Privat-Video von Simon Aschenbrenner
4. Multitasking
Niemand muss alles können… Doch! Muss man. Man hört immer wieder auf Podiumsdiskussionen die einlullenden Worte, dass niemand alles können muss, allenfalls ein gewisses „Grundverständnis“ für neue Technologien aufbringen sollte. Bullshit. Reden Sie mal mit Chefredakteuren und Redaktionsleitern im Arbeitsalltag: Schreiben, Filmen, Fotografieren, Photoshop, Video-Editing, Coden, das Erstellen von Info-Grafiken, plus Erfahrung mit Sozialen Netzwerken, das ist es, was sich moderne Blatt- und Programmmacher wirklich von ihren Reportern und Redakteuren wünschen. In Großbritannien und USA sind derlei Skills Einstellungskriterium. Je mehr ein Kandidat/in davon vorweisen kann, desto größer die Job-Chancen. Die unangenehme Wahrheit: „You have to be a master of all trades!“ (Jere Hester). (Ergänzung: Auch Arbeitsteilung ist nur dann möglich, wenn Teams flexibel zusammengesetzt werden können, sprich: wenn jeder den Job des anderen kennt – besser noch – beherrscht.)
5. Schnelligkeit
„Sieh zu, dass Du Deine Geschichte so früh wie möglich rauskriegst“, sagt Hester. Twitter, YouTube, Storify… „Kenne Deine Tools und verstehe, wie Du sie am besten einsetzt.“ Als Beispiel führt er die Schießerei vor dem Empire State Building an. Viele Passanten haben Fotos mit ihren Handy-Kameras gemacht und sofort ins Netz gestellt. „Manche Medienhäuser veröffentlichten die Bilder nahezu in Echtzeit“. Dass die Bilder echt und die zugrundeliegenden Informationen natürlich richtig sein müssen, das sei dabei die besondere Herausforderung. Jere Hester zitiert aus einem Spiderman-Film: „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung.“ Genau dafür brauche es Journalisten, Ordnung in ein solches Chaos zu bringen – und das so schnell wie nur irgend möglich.
6. Marketing
Dieser Punkt mag viele von uns wahrscheinlich am meisten befremden: Offensives Marketing. Wie einst die Zeitungsjungen in den Straßen laut und mit reißerischen Schlagzeilen ihre Zeitungen verkaufen mussten, müssen journalistische Werke im Netz nicht nur gut sondern auch gut zu finden sein, kurz: hervorstechen. Dazu zählt auch die journalistische Fähigkeit, für Twitter, Smartphones oder Suchmaschinen zu texten. Das Publikum und die Wege, wie es zu uns findet, haben sich verändert. Sich anzupassen sei keine Frage des nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit. „Ich erlebe es immer häufiger, dass bei uns Studenten angefragt werden, die bereits über eigene Social-Media-Networks (= Fans und Follower) verfügen oder zumindest wissen, wie man neue Netzwerke erschließt“.
7. Gute Geschichten
Binsenweisheit: Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte. Soziale Netzwerke können gute Geschichten größer machen, helfen aber Null, wenn die Story alt, nicht relevant oder einfach nur langweilig ist. „Konzentriere Dich auf ein Gebiet und versuche dort, durch exzellente Arbeit auf Dich aufmerksam zu machen“, empfiehlt Jere Hester. Als Beispiel nennt er die große Nachfrage nach Wirtschafts-Journalisten. „Wenn Du dann noch die Fähigkeit besitzt, gute Geschichten auf unterschiedlichen Wegen erzählen zu können, kann eigentlich nichts schiefgehen.“
Eure Erfahrung als Berufsanfänger oder Profi? Kennt Ihr weitere Kriterien für den Journalismus der Zukunft/Gegenwart?
Linktipp: 9 top tips for the journalists of tomorrow (Guardian)
Ich denke Mut und vor allem anders denken, gehören dazu – man muss in gewisser Weise einen Schlag haben. Was mir viel zu sehr in der Branche fehlt, sind Dinge, die einfach mal ausprobiert / gemacht werden, anstatt sie auf Panels zu beraten. Ich denke, dass die Themen Spontanität und „mach es live“ eine ganz große Bedeutung haben / bekommen werden. So zumindest die Einschätzung eines Medienmenschen in Ausbildung.
Die von die genannten Sachen unterschreibe ich so alle und muss allerdings sagen: Wieso werden wir als Nachwuchs nicht darin ausgebildet?! Relevante Blogs erschließen, Trends erkennen – kommt nicht vor. Stattdessen: Facebook Untersuchungen bis zum Erbrechen…
Hallo Benni, ist auch meine Erfahrung (fehlender Mut). Bei der Ausbildung tut sich was. Ich bin ja auch an einigen Schulen unterwegs und spüre durchaus frischen Wind. Dauert dann halt noch ein paar Jahre, bis die Studenten „auf dem Markt“ sind.
Das Problem bei deutschen Journalisten ist oft, dass sie schlecht ausgebildet sind. Und wenn der Markt so mies wäre: Warum ist es dann so schwer, gute Journalisten zu finden, die man auch einstellen kann? Wir suchen seit 4 Monaten einen entagierten Medien/Wirtschafts/Technik-Journalisten. Der Markt scheint leer….
Hallo Joachim, danke für das Feedback. Sollte sich zufällig einer meiner Leser angesprochen fühlen – wohin darf man sich wenden? Schönen Abend und viel Erfolg, Richard
Ich muss Joachim vollkommen zustimmen. Es gibt zu viele Hobbyjournalisten, die besuchten ein bis zwei workshops, pushten sich gegenseitig, auf einen dieser vielen Camps für Profilneurotiker, hoch und halten sich dann für Bernstein und Woodward. Ich kenne einige Redakteure, zu denen ich auch gehöre, die sich beruflich komplett umorientiert haben, weil ihnen die journalistischen Deppen voll auf den Keks gehen!