Der Rücktritt von Christian Wulff, der letzte Akt im Polit-, Wirtschafts- und Medien-Spektakel? Weit gefehlt. Die Strippenzieher werfen schon ihre Fäden aus. Ein Nachfolger muss her.

Genugtuung für die Journaille

Es ist alles wie gehabt. Politiker fordern „schluss mit Taktieren“, es müsse wieder um „Sachfragen“, um „Inhalte“ gehen. Journalisten, von sich selbst besoffen („hab ich’s nicht gesagt!“), predigen im gutturalen Tonfall, Wulff sei nicht über die Medienhetze gestürzt, sondern über sich selbst. Erstaunlich, wie wichtig es den Berichterstattern zu sein scheint, das bei jeder Gelegenheit zu betonen. Wulff mag in den Ferienwohnungen seiner Gönner vielleicht besser aufgehoben gewesen sein, als in Bellevue. Aber machen wir uns nichts vor: Die Personalie passte den Herren und Damen Hauptstadtkorrespondenten nicht. Die Tatsache, dass sich Merkel mit dieser Personalfrage über diesen offen erklärten Willen der Journaille hinweggesetzt hatte, der Anfang vom Ende der Ära Wulff.

Springers Welt feiert (sich) und schreibt heute in einer Titelgeschichte, die Medien hätten „konsequent alle auffindbaren Steinchen im vorpräsidialen Leben Wulffs umgedreht und auf Zwielichtiges abgeklopft“. Anders ausgedrückt: Wer lange genug im Dreck wühlt, findet auch was. Und offensichtlich hatten Springer und Spiegel seit der Vereidigung Wulffs ausgiebig Ressourcen bereitgestellt, um besonders gründlich zu wühlen, vielleicht sogar gründlicher als bei manch anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens?

Der nächste bitte!

Nun also der nächste Akt in diesem Polit-, Wirtschafts- und Medienspektakel: Die Suche nach dem Nachfolger bzw. nach der Nachfolgerin, wie die Polit-Profis Sympathiepunkte-haschend ihren Fragestellern sofort in die Parade grätschen. Hört hört! Es darf also auch ein Frau sein. Ehrlich Leute, mehr fällt Euch nicht ein? Die Parteispitzen haben sich Freitagabend im Kanzleramt eingefunden, um mögliche Namen zu diskutieren. Klaus Töpfer. Ursula von der Leyen. Sogar Edmund Stoiber soll sich angeblich selbst ins Spiel gebracht haben.

Vielleicht ist es nötig, diesen parteipolitischen Klüngel aufzubrechen und größer zu denken. Internationaler. Keine Fußballmannschaft, kein Symphonieorchester, kein Großkonzern, der nicht über die eigenen Landesgrenzen hinaus nach geeigneten Personen sucht. Warum eigentlich nicht in der Politik? Wenn es in Deutschland aktuell keine qualifizierten Personen gibt, warum nicht ins Ausland schauen? Nicolas Sarkozy beispielsweise dürfte schon bald wieder auf dem Markt sein. Merkozy als Doppelspitze für Deutschland – was für Europa gut ist, kann für Deutschland nicht schlecht sein! Bill Clinton mag im Weißen Haus über die Stränge geschlagen haben. Das Amt des Bundespräsidenten könnte er wieder aufwerten. Man muss ja nicht gleich zu Berlusconi greifen, der statt Neujahrsempfang zu Bunga-Bunga im Schloss bittet.

Mehr Transparenz, mehr Kreativität

Okay, das war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Worauf ich hinaus will: Wäre es nicht an der Zeit, einen kompletten Neustart hinzulegen, auch ungewöhnliche Ideen zu diskutieren, als sofort wieder nach dem üblichen Ritual des Parteien-, Wirtschafts- und Medien-Ränkespiels zu verfahren? Von Transparenz nicht nur zu reden, sondern diese auch endlich vorzuleben. Es muss ja keine öffentliche Casting-Show sein, schließlich soll hier ein Bundespräsident gewählt werden und kein Dschungelkönig. Und dennoch – ein bisschen mehr Kreativität wäre doch schön, in diesem ach so bunten und weltoffenen Land der Ideen. Gebt Euch einen Ruck.

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18 Kommentare
  1. Hannes schreibt:

    Lieber G!

    Ich bin für Clinton, denn allein wie er damals als Präsident den Newt Gingrich abgewehrt hat, beweist fast übermenschliche Steherqualitäten. Dann der Rauschgiftkonsum – kein Problem: „I did not inhale“

    Praktikantinnen: „I did not have sexual relations with that woman … “

    Das war großes Theater … Wulffs Auftritte dagegen Provinzposse

    http://www.youtube.com/watch?v=KiIP_KDQmXs

    • Richard schreibt:

      Ich muss Dir beipflichten. Das war ganz großes Kino. Hach.

  2. Als Kommentar dazu ein Post von mir von heute Vormittag (sorry für copy-paste, aber warum das Rad zweimal erfinden? ;-) – http://tinyurl.com/6mbcy44- :

    Wenn wir uns die Frage nach dem Nachfolger von Christian Wulff stellen, so sollten wir doch zuerst einmal die Frage beantworten: Was erwarten wir von einem Bundespräsidenten eigentlich? Jetzt nicht, dass er integer ist und Gesetze unterschreiben kann und solche Dinge/Selbstverständlichkeiten.. Nein, was wollen wir, das er verändert? Erreicht? Mit Deutschland macht?

    Sollte ein BP Einfluss nehmen auf die politische Wirklichkeit, Veränderungen in der Gesellschaft bewirken? Oder wollen wir einen reinen Repräsentanten, analog einer Queen? Soll ein BP uns repräsentieren, „vertreten“? Oder soll er uns auch bewegen, fordern, motivieren, vielleicht sogar mal ärgern?

    Erst wenn dies geklärt ist, kann ja eigentlich erst die passende Persönlichkeit gesucht bzw. auch gefunden werden. Muss es überhaupt jemand aus der Politik sein? Warum nicht einen Philosophen, der die Welt und ihre Politik anders, vielleicht sogar besser, versteht?

    Leider wird es aber diese Diskussion nicht geben, und das nicht nur wegen der 30-Tage-Frist. Nein, sie wird auch nicht gewollt sein. Denn das Amt des Präsidenten ist eigentlich schon dadurch „beschädigt“, dass es parteipolitisch entschieden wird. Peinlich und armselig!

    • Richard schreibt:

      Hallo Johannes – danke für das Feedback. Teile ich voll und ganz. Die Gesellschaft hat sich gewandelt, weil sie sich in Zeichen von Web, globalen Märkten und Konkurrenzdruck wandeln musste. Diesen Schritt haben viele (Berufs-) Politiker noch vor sich.

Willkommen!