Die EU hat den Facebook-Konzern Meta zu einer Rekord-Strafe von 1,2 Milliarden Euro verdonnert. Ein wichtiger Sieg gegen den Überwachungskapitalismus. Es wird auch höchste Zeit.
Die heutige Entscheidung war überfällig und kann in Anbetracht der aktuellen Debatte um eine Regulierung der Künstlichen Intelligenz nicht hoch genug bewertet werden. Big Tech (im Schulterschluss mit den US-Geheimdiensten) hat jahrelang gegen geltendes Recht verstoßen – und tut es nach wie vor. Das haben wir nun also auch schriftlich. Ein wichtiger Sieg der Datenschützer über den ausufernden Überwachungskapitalismus.
Eine Hängepartie war das bis weit hinein in die Verlängerung. Zehn Jahre hat die EU benötigt, um zu diesem Schuldspruch zu gelangen. So viel Zeit werden wir im Hinblick auf die schwindelerregenden Entwicklungssprünge bei der KI nicht mehr haben. Und mehr noch, als bei Facebook, sind die Konsequenzen für die Entscheidungen, die uns in den kommenden Jahren bevorstehen, geradezu existentiell.
Vielleicht unsere letzte Chance
Wie lange werden Gerichte noch in der Lage sein, gegen die immer massiveren Angriffe auf unsere Grundrechte, dem Fundament einer jeden Demokratie, standzuhalten? Laufen wir im Zuge des KI-Wettrüstens Gefahr, in eine Technokratie abzugleiten, in der alles geduldet wird, was technisch möglich ist? Eine Staatsform, in der Parlamente nur mehr symbolische Aufgaben besitzen, so wie heute die Monarchie im Vereinigten Königreich?
Die Vergangenheit lässt Böses erahnen. So dreist wie kein anderes Unternehmen hat sich Facebook seit jeher um gesellschaftliche Werte und Normen, um Recht oder Anstand einen Dreck geschert. „Move fast and break things“, so das vielfach gefeierte Credo. Sei schnell und brich mit der Konvention – wen scheren schon Gesetze? Lange haben Politik und Kontrolleure achselzuckend zugeschaut. Wie war das so lange möglich?
Worauf haben wir so lange gewartet?
Als ich vor zwei Jahren für das ZDF eines der seltenen Interviews mit der Chefin der irischen Datenschutzbehörde in Dublin geführt habe (externer Link auf YouTube), hatte ich den Eindruck, als spräche ich nicht mit einer unbestechlichen Beamtin, sondern mit der Pressesprecherin von Facebook. Irland ist in der EU für die Kontrolle der US-Konzerne zuständig, da dort die meisten Silicon-Valley-Unternehmen ihr Europa-Zentralen unterhalten. Eine wichtige Industrie für das strukturschwache Land. Und zugleich: Eine Lizenz zum Geld-Drucken.
Die Methoden, mit denen Facebooks Mutterkonzern Meta bis zum heutigen Tag Journalisten, Politiker und sogar die Chefs von Aufsichtsbehörden mit Partys, Spenden und lukrativen Job-Angeboten umgarnt und gegeneinander ausspielt, wären Stoff für eine eigene Politthriller-Serie auf Netflix. Die Schmutzkampagnen, die Facebooks frühere Top-Managerin Sheryl Sandberg gegen Widersacher des Unternehmens orchestrierte, gelten in Washington als legendär.
Die Macht, Gedanken zu lesen
Politische Einflussnahme ist nicht neu und ließe sich vermutlich auch auf große Kreditinstitute, Versicherungen oder Automobilkonzerne in Europa übertragen. Doch gegen Facebook sind Volkswagen, Deutsche Bank, sogar die Prostituierten-Partys von Ergo (ehemals Hamburg-Mannheimer) kleine Fische. Denn Facebook besitzt eine Superwaffe, über die kein anderer Konzern verfügt: Zugang zu den Daten von mehr als drei Milliarden Menschen.
In einem Interview, das ich mal vor Jahren mit dem Whistleblower Julian Assange geführt habe, sprach dieser im Zusammenhang mit Facebook von einem gigantischen „Spionage-Werkzeug“ der Geheimdienste. Kein Wunder, dass man in den USA jetzt damit begonnen hat, das aus China stammende Netzwerk TikTok aus amerikanischen App-Stores zu verbannen. Für Spione und Polizeibehörden sind die Server der Sozialen Netzwerke ein nicht enden wollender feuchter Traum.
Private Public Partnership mit den Geheimdiensten?
Unvergessen meine Begegnung mit Hans-Georg Maaßen, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Verfassungsschutzes. Der inzwischen in den eigenen Reihen hochumstrittene CDU-Politiker hatte auf einer Tagung der Politischen Akademie in Tutzing gefordert, auf dieselben Daten zugreifen zu dürfen, wie Facebook. Als ich den damaligen Geheimdienstchef am Rande der Konferenz daran erinnerte, dass solche Übergriffe gerade in der deutschen Geschichte nicht immer gut geendet hätten, brach er das Interview genervt ab (hier zu sehen auf YouTube – externer Link).
Ab jetzt wird es richtig creepy!
Was Daten anrichten können, ist oft obskur und tritt allenfalls dann offen zutage, wenn uns die Schufa einen Kredit verwehrt. Daten sind so lange harmlos, so lange sie unstrukturiert und zu aufwendig sind, um sie zu benutzen. Was aber, wenn Künstliche Intelligenz auf unsere Daten trifft?
Wenn generative Programme alle personenbezogenen Datenfragmente bündeln, auslesen und bewerten, gibt es kein Entkommen. Biografische Ungereimtheiten oder Jugendsünden lassen sich nicht länger verheimlichen. Daten lügen nicht. Und niemand wird Ihnen jemals verraten, weshalb Sie zu einem Job-Interview NICHT eingeladen worden sind.
Die Folgen, die aus heute vielleicht noch harmlos erscheinenden Daten eines Tages einmal erwachsen könnten, sind schwer vorherzusehen. Wissen Sie, wer eines Tages einmal Zugriff auf die Historie ihrer Einkäufe oder Ihrer Webseiten-Aufrufe hat? Das mag gut gehen. Muss aber nicht.
Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal leichtfertig an der Supermarkt-Kasse Ihre Rohdiamanten gegen Glasperlen eintauschen. Irgendwann ist für uns alle Payback-Time, die finale Rechnung bekommen wir ganz zum Schluss.
Im Grunde genommen ist es einfach: Datenschutz ist Menschenschutz. Das zu begreifen, ist der erste Schritt. Machen Sie den Test: Ersetzen Sie für ein paar Tage den Begriff „Daten“ durch „Menschen“, wo immer er ihnen begegnet. Denn, so einzigartig wir als Spezies auch sein mögen, in einer digitalen Welt ist keiner von uns mehr, als sein eigene Avatar: Ein Satz Daten.
Das Metaverse? Wir sind schon mittendrin.
Wie lange werden wir brauchen, diese Tatsache zu akzeptieren und den Umgang mit eben diesen hochsensiblen Informationen verantwortungsvoll zu behandeln?
Wir sollten die Appelle aus der Wissenschaft, sogar aus dem Silicon Valley selbst, ernst nehmen, die Tech-Industrie strenger zu regulieren. Vielleicht sind Urteile wie das aktuelle Facebook-Bußgeld unsere letzte Chance, einen Automatismus aufzuhalten, der bald nicht mehr zu stoppen sein wird und der das Ende der Zivilisation, wie wir sie kannten, einleiten könnte.
Der größte Irrtum, dem Politik und Behörden auch heute noch unterliegen: Wir müssen nicht erst auf das Metaverse warten. Wir befinden uns bereits mittendrin.