Corona treibt nicht nur die Spinner zu Tausenden auf die Straße, sondern manchmal auch die Vernunft an den Verhandlungstisch. So geschehen vergangenen Donnerstag Abend, als Angela Merkel kurzfristig Ministerinnen und Minister zum Schulgipfel ins Kanzleramt rief. Der Horror vor einem drohenden Schulchaos im Herbst ist groß, wenn Länder, Lehrer und Eltern angesichts der unkoordinierten Krisenpläne irgendwann komplett hohl drehen und jeder macht, was er will. 


Die Masken sind gefallen

Corona ist nicht schuld am aktuellen Schulversagen. Corona macht die Probleme, die unser Bildungssystem schon seit Jahrzehnten vor sich herschiebt, gandenlos sichtbar. Denn was der Pisa-Test nicht abbildet, ist die Zukunftsfähigkeit unserer Schulen: Keine Computer. Kein Internet. Keine Cloud-Anbindung. Und das in einem Zeitalter, indem es keine Berufsgruppe gibt, die ohne ein Mindestmaß an digitaler Grundbildung auskommt.


Stolz lässt die Kanzlerin nach ihrem Mini-Gipfel die erzielten Erfolge verkünden, z.B. dass bald jede Lehrkraft in Deutschland einen Laptop erhalten soll. Seitdem mein Sohn in Israel zur Schule geht, begreife ich erst das gesamte Ausmaß unserer föderalen Versäumnisse. In den staatlichen Grundschulen in Tel Aviv gehört die Arbeit mit Laptops und Tablet-Computer seit Jahren so selbstverständlich zum Unterricht, wie das Schulheft und die Kreidetafel. 


In den vergangenen drei Jahrzehnten haben IT-Unternehmen aus der ganzen Welt Bit für Bit die Welt erobert. Und wir? Je digitaler unser Alltag wird, um so mehr verlieren klassische deutsche Industrien an Bedeutung. Die Borniertheit vieler Länderfürsten hat unsere Wirtschaft und mit ihr ganze Generationen von Schulkindern um ihre Entwicklungschancen in den Wachstumsmärkten gebracht. Ob da ein einsamer Lehrer-Laptop hilft? Vielleicht probiert es die Regierung doch lieber mit einem altbewährten Trick vom Helpdesk: Neustart. 

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Bitte unterstützen Sie mein Blog mit einer Spende.

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Notwendige Felder sind mit * markiert.

2 Kommentare
  1. Benjamin schreibt:

    Stimme ich an sich zu, aber es würde andersrum mehr Sinn machen: nicht die Tatsache, dass jemand ein Tablet oder Laptop hat, hat etwas mit Bildung zu tun, sondern die Art, wie man ausbildet und welche Schwerpunkte aufgrund von Interesse und Talent da sind, bestimmen das Werkzeug. Ich finde es ermüdend, dass man immer nur IT-Schrott in die Mitte wirft und dann meint, man hat etwas für die Bildung getan.

    Es braucht ein neues Grundverständnis für Lernen und Bildung. Und erst wenn das getroffen ist, können wir uns über Arbeitsmittel unterhalten. Dabei spielen Laptops und andere Technologien das Schlusslicht an Notwendigkeit. Es sind am Ende nur Werkzeuge. Was es braucht, sind Basisverständnisse für Gesellschaft, Politik, Naturwissenschaft und Philosophie und eine Abkehr vom Technikzentrismus hin zu einem mündigen Menschen, der diese Technologien auch soweit deuten kann, dass er eben kein Tablet braucht, um sich zu bilden oder digitales Verständnis zu besitzen. Siehe auch Jaron Lanier. Solche Bücher gehören in den Turnus, nicht die Lernapp XY.

  2. Ina schreibt:

    Genau so ist es…leider. Vielen Dank für diesen großartig geschriebenen Beitrag.

Willkommen!