Wie so ziemlich alle hat auch mich die Corona-Krise kalt erwischt. Gerade erst hatte ich meinen langjährigen Arbeitgeber verlassen, da kam der Lockdown. Nahezu alle Aufträge, die ich für das erste Halbjahr im Kalender stehen hatte, lösten sich binnen weniger Tage in Luft auf. Vorträge, Podiumsdiskussionen, eine längere Reportage in den USA wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, ein Buchprojekt auf Eis gelegt.
Schlimmer noch: Sogar meine Einkünfte aus den Seminaren, die ich sonst regelmäßig an Journalistenschulen, Sendern oder Verlagen gebe, brachen weg. Kurz: Es war ungewiss, wovon ich bald meine Miete zahlen sollte. Eine Kolumne hier, ein Podcast dort, soviel war klar, reichten einfach nicht. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht aktiv werde, könnte das alles eine ganz unschöne Richtung nehmen.
Mitte März dann kam die Idee: Warum nicht meine Kurse digital anbieten? Warum warten, bis ein Verlag oder eine Schule anruft? Online-Konferenzsysteme kannte ich zur Genüge. Schon vor 10 Jahren hatte ich damit begonnen, Interviews via Google Hangout oder Skype Video zu führen. Mit dem Digitalen Quartett hatten wir 2012 eine frühe Web-Talkshow ins Leben gerufen. Gänsehaut: 2009 (!) hatte ich mir mal für eine TV-Dokumentation versucht vorzustellen, wie sich die Digitalisierung wohl auf die Gesellschaft auswirken könnte. Heute leben wir in ihr:
Es dauerte ein paar Tage, bis ich die Kurse web-optimiert hatte. Ein befreundeter Programmierer half mir, mein Blog um ein Shop-System zu erweitern. Damit war es möglich, direkt aus WordPress heraus alle Webinare anzubieten und zu verwalten. Auch meine langjährige Partnerschaft mit LaterPay zahlte sich wieder einmal aus. Die Payment-Integration inklusive Buchhaltung war innerhalb weniger Stunden live.
Als ich dann Anfang April die ersten Kurse ankündigte, traute ich meinen Augen nicht: Die ersten zwölf Termine waren schon nach 48 Stunden ausgebucht. Unter den Anmeldungen waren Menschen aus allen Kontinenten: China, Chile, Südafrika, Australien, Kalifornien.
Am Donnerstag, 16. April, exakt vier Wochen nach der Idee, ging das erste Live-Webinar über die Bühne. Mobile Reporting, ein Thema, das immer wichtiger wird und das ich schon seit zehn Jahren an diversen Journalistenschulen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz unterrichte. Jetzt also auch online.
Zugegeben, die reduzierte Form über den Bildschirm hat nicht nur Vorteile. Übungen, die man im Präsenz-Unterricht sonst macht, fallen kürzer aus oder aus Zeitgründen komplett unter den Tisch. Auch gibt es nicht so viel Interaktion wie in einem physischen Seminarraum. Insgesamt stimmte mich das erste Feedback der Teilnehmer*innen aber optimistisch. Offenbar war es gelungen, die zentralen Lerninhalte aus den klassischen Kursen via Webcam zu transportieren.
Das Feedback, das ich aus diesen Fragebögen (siehe Charts) ziehen konnte, war fantastisch. Und das nicht nur, weil es überwiegend positiv ausfiel. Vor allem die Hinweise auf Punkte, die noch verbesserungswürdig sind, waren wertvoll. Sie sollen Basis sein für die Konzeption künftiger Kurse.
In den vergangenen Wochen hatte ich viel Unterstützung von vielen tollen, talentierten Macherinnenn und digitalen Weggefährten, die ja auch selbst von der Krise betroffen waren. Daniel Redwig, mein Programmierer, der alles stehen und liegen ließ und mir dabei half, meinen Online-Shop hochzuziehen. Cosmin Ene, der mir mit LaterPay nicht nur ein stabiles Payment- und Abrechnungssystem zur Verfügung stellte, sondern mich darüber hinaus auch in unternehmerischen Fragen beriet.
Mein größter Dank aber gilt den 180 Teilnehmer*innen, mit denen ich in den vergangenen Wochen arbeiten durfte. Einige von ihnen kannten mich schon von der re:publica oder von anderen Begegnungen aus der Offline-Welt. Der Großteil jedoch hatte noch nie zuvor von mir gehört. Diese Menschen hatten meine Kurse blind gebucht und darauf vertraut, dass ich ihnen etwas beibringen kann und das Geld wert bin.
Für mich vielleicht das schönste Learning aus sechs Wochen Webinaren: Dieses Gefühl von Solidarität und Zusammenhalt in Zeiten des Wandels und von beruflicher Unsicherheit. Die Bereitschaft all dieser Menschen, sich zu öffnen, Wissen auszutauschen, voneinander lernen zu wollen. Für diese Neugier und dieses Vertrauen bin ich meinen Teilnehmer*innen unendlich dankbar.
Das Geld, das ich mit den Kursen eingenommen habe, spielte mir mich natürlich eine Rolle hinter diesem Projekt. Komischerweise war das am Ende gar nicht mehr so ausschlaggebend. Purpose – so der Vorsatz, den ich mir Anfang 2020 für das neue Jahr gemacht hatte. Niemals hätte ich geahnt, dass ich so schnell Gelegenheit bekommen sollte, das in die Tat umzusetzen.
Keiner von uns weiß, was die kommenden Monate bringen. Ob wir das Schlimmste hinter uns haben, oder ob die eigentlichen Probleme noch vor uns liegen. Eines hat mich die Erfahrung der letzten Tage gelehrt: Dass wir, wenn wir uns trauen und offen für Neues sind, gemeinsam mehr erreichen können, als uns bewusst ist. Dass wir den Zug in Richtung digitale Zukunft noch erreichen können, wenn wir uns ins Zeug legen und gegenseitig unterstützen.
Corona? Eine Krise, viel zu schade, um sie nicht zu nutzen.