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Selten hinterlässt mich ein Apple Produkt so ratlos wie die Apple Watch. Das Gerät will viel, scheitert aber selbst an den einfachsten Aufgaben. Meine Prognose: Die Uhr wird schnell ihren Platz finden – in der Schublade, neben alten Ladekabeln und ausrangierten iPhone-Accessoires.
Prolog
Apple und Anleitungen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Apple Produkt besessen zu haben, für das ich eine Anleitung benötigte. Die Redewendung „Plug and play“ – ein Synonym für so gut wie jede Apple-Innovation seit dem iMac.
Wisst Ihr noch? Als das iPad herauskam, war jedem Gerät eine Anleitung beigelegt in Form einer Postkarte. Darauf die Abbildung eines iPads mit einem dezenten Hinweis auf die Knöpfe: Power, Volume, Rotation-Sperre. That’s it.
Natürlich hätte das iPad hierfür nie und nimmer eine Anleitung gebraucht! Ich stelle mir vor, wie Steve Jobs persönlich darauf bestanden hatte, dieses Stück Papier in die Kartons legen zu lassen, um damit der Konkurrenz ihre Kilo-schweren Manuals ins Gesicht zu reiben.
Anders bei der Apple Watch: Hier wünscht man sich eine ausführliche Anleitung. Denn im Gegensatz zu den vorangegangenen Produkten aus Cupertino ist die Armbanduhr alles andere als selbsterklärend.
Betreutes Anprobieren
So scheiterten eine technisch nicht ganz unerfahrene Bekannte und ich kläglich, uns über unsere Uhren simple Nachrichten zu schicken – Klopfsignale, Zeichnungen – eben alles, was in der Werbung so spielerisch daherkommt. Wir beide mussten erst im Netz nachsehen, wie das geht, weil es durch einfaches Rumprobieren partout nicht klappen wollte.
Auch sonst hatte ich so meine Mühe, die Uhr auf meine Bedürfnisse hin abzustimmen. Ich muss nicht extra betonen, dass ich seit Jahren iDingsbums-Besitzer der ersten Stunde bin und nicht zum ersten Mal in meinem Leben ein Apple-Gerät konfiguriere.
Selten zuvor hat Apple mehr Aufwand betrieben, um ein Produkt zu erklären
Betreutes Anprobieren, die Einladung zur Ersteinrichtung, ein gutes Dutzend Tutorials auf der Apple-Homepage – selten wurde zur Einführung eines neuen Apple Gerätes ein derartiger Aufwand betrieben, um das Produkt zu erklären. In der Apple-Zentrale in Cupertino wird man wissen warum.
Bevor ich zu meinem eigentlichen Problem komme, hier die Dinge, die mir an der Apple Watch gefallen: Die Freisprechfunktion. Ob beim Autofahren oder beim gemütlichen Gammeln auf der Couch, es macht Spaß mit der Uhr zu telefonieren.
Und dann natürlich das Design! Oh Boy, liebe ich Look & Feel dieser Uhr! Das beginnt – wie so oft – bereits beim Auspacken.
Der erste Eindruck
Noch nie zuvor war das Öffnen eines Apple-Produktes ein solches Happening: Aufreißlaschen an Karton und Schatulle, Papp-Schachtel mit Prägung, die schicke Plastik-Box (Sport Edition) und nicht zu vergessen die Uhr selbst: was für ein Schmuckstück!
Sogar das „billige“ Plastikarmband der Sport-Edition sieht klasse aus und fühlt sich großartig an. Vom ersten Handson bei der Premiere damals in Cupertino bis zu diesem Moment hätte ich meine Hand dafür ins Feuer legen wollen, dass auch dieses Apple-Produkt ein Mega-Seller wird.
It just doesn’t work!
Doch dieser erste, positive Eindruck ändert sich schlagartig mit Beginn der eigentlichen Benutzung. Eine Enttäuschung reiht sich an die nächste. Eine Erfahrung, die so ganz und gar nicht zum alten Apple-Grundsatz „It just works“ passen möchte.
Das Koppeln mit dem iPhone via Schnappschuss des Ziffernblattes klappte noch problemlos. Erste Verunsicherungen dann beim darauffolgenden Dialog: Ob ich die Apps meines iPhones übernehmen möchte? …Ja (ist das klug?). Das Anzeigen einzelner Apps in „Glances“? …hmm (Was sind „Glances“?!). Und dann ein Schritt, den ich noch bereuen sollte: Die Festlegung meiner täglichen Trainingsziele. Dazu später mehr.
Die Konfiguration
Ist die Uhr irgendwann eingerichtet (was wirklich lange dauert!), stellt sich Ernüchterung ein. Anders, als man es erwarten dürfte, müssen sämtliche Einstellungen nicht etwa an der Uhr sondern am iPhone vorgenommen werden. Das iPhone als Fernbedienung für die Uhr und vice versa. Klingt komisch – ist aber so.
Es kommt noch komplizierter: Manche Settings werden in den jew. Partner-Apps des Mutterschiffs vorgenommen. Andere hingegen, befinden sich im Unter-Menü der Apple-Watch-App. Wieder andere Settings sind unmittelbar an die Grundeinstellungen des iPhones gekoppelt. Irgendwann weiß man nicht mehr, wo man nach welcher Einstellung suchen soll.
Inception
Will man beispielsweise die Zeitzonen, Aktienkurse oder die Wetterauskunft seiner Uhr ändern, muss man dazu in die Grundeinstellungen seines Telefons gehen. Noch tiefer in die Logik der Uhr muss man eintauchen, wenn man beispielsweise Breaking News auf seiner Uhr sehen möchte. Hierzu muss man die Pushnachrichten in den Grundeinstellungen der Apple Watch über die App des iPhones aktivieren, die sich dort in einem Untermenü befinden.
Anschließend muss man noch eine Ebene tiefer gehen und im Unter-Unter-Menü der betreffenden App die gewünschten Push-Meldungen auswählen.
Spätestens jetzt hätte ich gerne einen Kreisel gehabt, um zu überprüfen, in der wievielten Traum-Ebene meiner Apple-Inception ich mich gerade befinde.
Steh auf, wenn Du ne Uhr hast!
Es geht aber noch nerviger: Der eingebaute Fitness-Tracker! Wie eingangs erwähnt, hatte ich bei der Initialisierung der Uhr den Fehler gemacht, die empfohlenen Grundeinstellungen zu übernehmen. Seitdem erinnert mich die Apple Watch bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit an meine Fitness-Ziele.
So forderte mich die Uhr doch tatsächlich im Kino dazu auf, mitten während der Vorstellung, aufzustehen, weil ich mein Steh-Ziel für den Tag noch nicht erreicht hatte! Das ganze schön mit Buzzer, Piep-Geräusch und Leucht-Display, so dass es auch wirklich jeder um mich herum mitbekommt.
Die Apps
Überhaupt – die Apps: Instagram, Fotos oder Spiele machen auf dem Winz-Display in etwa so viel Spaß wie Kickern ohne Tore und ohne Ball. Verstärkt wird dieser Effekt durch die ewigen Ladezeiten. Bis die Uhr die benötigten Daten vom iPhone übertragen hat, springt der Bildschirm gerne in den Standby-Modus und wird schwarz.
Gut, mag man sagen, für derlei datenintensive Anwendungen ist eine Uhr auch nicht gedacht. Doch selbst schlichte Kurznachrichten wollen auf dem Display nicht so recht überzeugen. Man sollte meinen, dass Twitter mit seinen 140-Zeichen wie geschaffen sei für eine Apple-Smartwatch. Das Gegenteil ist der Fall.
Zu komplex oder zu reduziert. Die Uhr wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.
Die offizielle Twitter-App für die Apple-Uhr besteht aus zwei Funktionen: Timeline und Trending Topics. Die Timeline auf einem Display, das noch nicht einmal einen kompletten Tweet abbilden kann, muss alle 5 Tweets nachgeladen werden. Das macht in etwa so viel Spaß wie die Klickstrecken bei Focus-Online.
Hinzu kommt: Will man ein Video oder einen eingebetteten Link öffnen, wird man auf sein Telefon verwiesen. Die Uhr besitzt keine Vorschau! Auch die zweite Funktion, die Anzeige der weltweiten Trending Topics ist mehr als verzichtbar, eine komplette Null-Information.
Und so offenbart sich hier das Grundproblem der Apple Watch: Viele Funktionen sind zu komplex und deshalb nahezu unbenutzbar. Andere sind dermaßen reduziert, dass die Uhr mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.
Das Fazit
Unter Steve Jobs wäre die Apple Watch in dieser Form niemals auf den Markt gekommen.
Die Uhr sieht fantastisch aus, taugt prima als Geschenk und wird sich vermutlich allein deshalb gut verkaufen. Ein Stück Technik, das man anfangs gerne mit sich herumträgt, bevor es einige Monate später in der Schublade mit den alten Ladekabeln und iPhone-Accessoires begraben wird.
Die Apple Watch ist ein Gimmick, das schwer an den Apple Newton erinnert. In der Theorie fantastisch, im Alltag unbenutzbar. So gerne ich auf den Vergleich verzichtet hätte, bin ich mir sicher: Unter Steve Jobs wäre die Apple Watch in dieser Form niemals auf den Markt gekommen.
Andere Erfahrungen?
Erst einmal Dank dafür, dass Du als ausgewiesener Apple-Fanboy so ehrlich und kritisch über das neue Apple „Must-have“ schreibst. Aber ganz ehrlich, was habt Ihr erwartet? Es ist eine „Verlängerung“ des iPhones und darauf kann ich getrost verzichten. Wenn aus den, wie ich finde, gar nicht so smarten Smart-Watches kleine Tools zur echten Kommunikation werden, bei denen ich nicht auch noch ein Mobiltelefon in der Tasche haben muss, können wir wieder drüber reden.
Interessanter Bericht und sehr objektiv. Hast du dir schon mal überlegt, eine pebble oder die neue pebble time zu testen? Wäre mal interessant was du da zum Gebrauchswert sagst.
Einmal Apple, immer Apple. Nein, ich gebe die Hoffnung noch nicht auf! Aber danke für den Tipp. Zufrieden?
Ja schon, bis jetzt zufrieden. Ich hatte die pebble kickstarter Edition 1 Jahr und jetzt aktuell die pebble Steel ein Jahr im Einsatz. Akku hält 5-7 Tage. Die neue Steel-Time soll 10 Tage halten. Ich habe die Message-Funktion abgeschaltet, da mich das andauernde Vibrieren und Antriggern zu sehr genervt hat. Ich setze das nur sehr selektiv ein. Da ist aber die Schwelle wohl bei jedem anders gelegen. Die neue Pebble Time bekomme ich wohl ab MItte Mai.
Das interessante an pebble ist eben die offene SDK-Kultur und tausende Entwickler die bereits viele tausende Applikationen geschrieben haben. Solltest du dir mal objektiv anschauen, das kannst du ja ;-)
https://getpebble.com/pebble_time
Und von dir ignoriert zu werden, das hat dieses user-friendly Konzept nicht verdient. ;-)
Ich schau’s mir an – gleich nach der re:publica!
„Anders als bisherige Apple-Produkte ist sie nicht wirklich intuitiv.“
Weil du alle bisherigen Produkte nach den Jahren inklusive System schon in- und auswendig kennst? Das wird es sein, behaupte ich jetzt einfach mal ;)
Möglich. Folgender Versuchsaufbau: Apple Watch. iPhone. Kleinkind (3 Jahre). Welches Gerät glaubst Du, würde das Kind auf Anhieb – ohne es jemals vorher in der Hand gehabt zu haben, wohl am ehesten bedienen können?
Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich. Ich kann dir sagen, was ein Kind mit 4 macht. Entsperren, eventuell Siri und Spiele starten, wie man es ihm gezeigt hat. Mit etwas Übung auch bei der Watch machbar. Aber: die Uhr hat halt nicht nur einen Knopf, sondern auch weitere Möglichkeiten in der GUI. Das iPhone hat Menüs und Möglichkeiten – und da kommt das Kind eben auch nicht zwingend mit klar. Ich weiss, worauf du hinauswillst, will das aber nicht so gelten lassen, wie du es heruntergebrochen hast – das ist wohl etwas zu kurz gedacht. Guck dir die Videos an, wie heutige Kiddies auf Gameboys oder so reagieren – oder denke drüber nach, wie du auf absolute Neuerungen reagiert hast. Was mich wundert: der Text hätte schon 1:1 vor langer Zeit hier stehen können. Schau dir mal Android Wear an ;)
Android? Was ist das. :-) Carsten, ich glaube wir verstehen uns. Vielleicht können wir uns ja auf dieses Fazit einigen: die Uhr ist (in ihrer jetzigen Version) was für Leute wie uns – nicht für die Masse.
Genau wie damals das iPhone, das es nur bei der Telekom gab, mit bescheuertem 2G und einer furchtbaren Kamera. Genau wie ich (und viele andere) erst beim 4s eingestiegen bin, wird die Masse vielleicht erst bei der Watch der 2. oder 3. Generation einsteigen. Und wer braucht denn schon einen Tabletcomputer, wenn es doch EEE-PCs gibt!
das scheint ein generelles Problem zu sein. Irgendwann kam wer auch immer auf die Idee, die Fitnesstracker zu erweitern. Neues Geschäftsmodell und so. Nur sind die Anwendungen einfach beschränkt. Es geht ja los, dass immer das Sartphone mehr oder weniger in der Nähe sein muss. Es ist also kein eigenständiges Gadget. Dazu kommen Apps die wie oben erwähnt, keinen Sinn machen: Fotos, Spiele, Zeitungen (WTF?), ich warte nur auf die Netflix App.
Sinnvoll kann das sein, wenn es um Navigation zu Fuß geht, um kurze Benachrichtigungen, um Bezahlvorgänge.
Aber für das sind alle Smart-Wear Geräte zu überladen. Eine Beschränkung auf das Wesentliche wäre mal sinnvoll. Aber das ordentlich.
Das Kind würde an beiden Geräten scheitern. Ein iPhone muss man inzwischen mit geschätzt mehr als 20 Schritten in Betrieb nehmen, vorher kann man – wenn ich mich richtig erinnere – das Gerät nicht als Smartphone nutzen …
Meine Probleme begannen NICHT bei der Einrichtung. Sie begannen bei der tats. Nutzung im Alltag.
Das iPhone ist im Punkt Usability so zusagen die Einstiegsdroge.
Die Apple Watch mit Force Touch, Digital Crown und dem home button ist dagegen eher das Chrystal Meth