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Vor einer Woche durfte ich auf den Österreichischen Journalismustagen in Wien meine Vision zur Zukunft des Journalismus präsentieren. Die kleine, improvisierte Ansprache war offenbar nicht das, was sich viele Medienmacher im Publikum erhofft hatten – schon gar nicht von jemandem wie mir.
(Ich habe die Rede frei gehalten, die folgende Abschrift mag hier und da vom gesprochenen Wort abweichen.)
Ich möchte heute ein paar ungewöhnliche Worte an Sie richten. Ungewöhnlich für alle diejenigen unter Ihnen, die mich seit Jahren kennen und vielleicht den Verdacht hegen, ich nehme heimlich irgendwelche Drogen.
„Wenn man das, was seit einigen Jahren die Medien erschüttert, als Tsunami bezeichnet“, schreibt SPIEGEL-Legende Cordt Schnibben „dann ist der Blogger Richard Gutjahr einer derjenigen, der auf dieser Welle der Zerstörung jauchzend dem Strand entgegen surft.“
Schön wäre es. Selten haben Sie mich so zerknirscht, so depressiv und ohne Hoffnung gesehen, wie heute. Am morbiden Charme der Stadt Wien allein kann das nicht liegen.
Ich habe viel ausprobiert in meinem Journalisten-Leben. Von Twitter bis Medium, von YouTube bis Periscope, von den viel zitierten Lousy Pennies durch Micropayment bis zur Millionenfinanzierung via Crowdfunding.
Ich habe gedacht, irgendwas davon wird schon verfangen, damit sich klassischer Journalismus wieder lohnt. Wie gern hätte ich heute hier gestanden, Ihnen gesagt: So geht’s! DAS ist die Lösung. Wenn wir alle dies oder jenes beherzigen, wird der Journalismus prosperieren. Ich habe mich getäuscht.
Heute stehe ich vor Ihnen und ich bin ratloser denn je. Ich bin vom Weg abgekommen, habe meinen Glauben verloren. Meinen Glauben daran, dass wir das wieder hinbekommen mit dem Journalismus, der uns alle ernährt.
Es ist nicht die beste Zeit für Journalismus, die es je gab! Es ist eine lausige Zeit.
An die Volontäre oder Berufseinsteiger hier im Publikum – lassen Sie sich nichts erzählen: Es ist nicht die beste Zeit für Journalismus, die es je gab! Es ist eine lausige Zeit.
Worin ich mich am meisten getäuscht hatte, der Fakt, der mich schier verzweifeln lässt: Sie wird wohl noch lange, sehr lange andauern, diese Zeit des Umbruchs. Ich möchte sogar so weit gehen, zu sagen: Keiner von uns, die wir hier in diesem Saal versammelt sind, wird die Früchte, die wir heute sähen, noch selbst ernten können. Zumindest nicht mit dem, was wir unter klassischem Journalismus verstehen.
Wenn wir vom Ausdünnen der Redaktionen sprechen, dann dachte ich, wird das eine Phase sein. Sieben fette Jahre, sieben dürre Jahre. Josef und seine Brüder, Sie kennen das. Schumpeter. Kreative Zerstörung. Steve Jobs und die These vom Tod als life-changing-agent. Der Tod, der Raum für Neues macht. „Die Hard“ für Medienschaffende. Yippie-ay-ey, Schweinebacke.
Von wegen. Die New York Times setzt mehr und mehr Redakteure auf die Straße. An der Columbia School of Journalism bleiben vakante Professorenstellen unbesetzt, die Zahl der Studenten wird sogar verringert, weil es nicht mehr genug Nachfrage für die Abgänger gibt. Wir sterben nicht langsam, wir sterben in Super-Slo-Mo. Einen schleichenden, nicht enden wollenden Tod.
Der Tsunami, von dem Cordt Schnibben spricht, ist in Wahrheit eine Sintflut, und sie wird uns alle früher oder später aufs offene Meer hinausspülen.
Ein paar von uns sitzen in öffentlich-rechtlichen Rettungsbooten, meinen, sie betrifft das nicht. Andere errichten Paywalls, in der fatalen Hoffnung, diese könnten die Wassermassen zurückhalten.
Ich glaube wir haben nicht einmal die leiseste Ahnung, womit wir es hier überhaupt zu tun haben. Wir rudern, in der Hoffnung, irgendwann auf einen grünen Zweig zu stoßen.
Wir erzählen uns auf Journalisten-Kongressen Geschichten, um uns gegenseitig Hoffnung zu machen, die Angst vor der Ausweglosigkeit der eigenen Situation schön zu reden.
Viele glauben noch immer, dass in Zeiten, in denen die Fülle an Informationen geradezu explodiert, die Menschen vermehrt Orientierung brauchen. Das mag schon stimmen, das Problem: Wer sagt, dass diese Rolle auch in Zukunft uns Journalisten zukommt?
Im Internet sind es nicht länger allein wir Journalisten, die für Orientierung sorgen – sondern vor allem Anbieter wie Google, Facebook oder Twitter. Machen Sie den Reality-Check: An wen wenden Sie sich zuerst, wenn Sie nach einem Thema suchen – Google oder die Startseite Ihrer Tageszeitung?
Wenn die New York Times ihre Artikel direkt bei Facebook veröffentlicht, anstatt dort wie bisher nur einen Link auf die eigene Seite zu platzieren – was bedeutet das für den Journalismus? Werden wir, die Autoren, immer mehr zu Contentsklaven, die am Fließband stehen und die Inhalte erstellen?
Ich bin mir sicher: Die großen Entlassungswellen stehen uns noch bevor. Und selbst wenn sich die Lage eines Tages wieder stabilisiert – es werden wohl kaum jemals wieder so viele Journalisten benötigt, wie einst, im goldenen Print-Zeitalter.
Wir haben uns nicht im gleichen Maße weiterentwickelt, wie unser Publikum das getan hat.
Machen wir uns nichts vor. Allzu gut ist es um den Journalismus nicht bestellt. Und wir haben selbst dazu beigetragen. Wir haben uns nicht im gleichen Maße weiterentwickelt, wie unser Publikum das getan hat. Wir googeln und nennen das Recherche. Die harte Wahrheit: Googlen können unsere Leser auch! Ich gehe sogar soweit zu behaupten: Viele unserer Leser, Hörer und Zuschauer googlen sogar besser als wir das oft tun – stoßen im Netz auf Quellen und Originaldokumente, die uns in der Eile entgangen waren, halten uns unsere eigene Unzulänglichkeit vor Augen.
Der Begriff „Lügenpresse“ mag historisch belastet sein. Aber er resonniert vermutlich gerade deshalb bei vielen Menschen, weil diese feststellen müssen, dass wir Journalisten manchmal auch ganz schön stereotyp, um nicht zu sagen voreingenommen sind.
Oft steht unsere Meinung zu einem Thema schon fest, bevor wir auch nur den Telefonhörer hochgehoben haben. Und wenn eine Straßenumfrage nicht das Ergebnis bringt, das der Redaktionsleiter auf der Morgenkonferenz ausgerufen hat, wird eben entsprechend umgeschnitten.
Ein Spruch, den ich im Umgang mit eigenen Recherche-Fehlern hundertfach gehört habe: „Das versendet sich!“ Wieviel Gift liegt in diesem Satz.
Nach und nach verlieren wir Journalisten nicht nur unsere Glaubwürdigkeit, sondern auch unsere Berechtigung. Die Gatekeeper-Rolle haben wir schon an das gut vernetzte Publikum abgegeben. Die Rolle des Fact-Checkings ebenso. Auch die Vermarktung können Google, Facebook & Co offenbar besser.
Das schlimmste aber: Unser Produkt stimmt nicht mehr. In einer Welt, in der es ein Überangebot an Informationen gibt, ist das Letzte, was das Publikum braucht, ein Journalist, der ihm das gleiche erzählt, wie alle anderen auch.
Um Ihre Zeit nicht all zu sehr zu strapazieren – denn wir wollen ja gleich noch diskutieren – hier ein paar Punkte, die ich bereue, die ich heute anders machen würde, wenn ich nochmal von vorne anfangen könnte:
Wenn ich heute frisch von der Schule kommen würde, ich würde vermutlich nicht noch mal in den Journalismus gehen; ich würde mich mit anderen hungrigen Leuten zusammentun, ein Startup gründen.
Einen klaren Cut machen, mich nicht an den alten Hasen und Strukturen abarbeiten. Stattdessen völlig unvorbelastet mit einem weißen Blatt Papier neu anfangen, neu denken.
Wir alle, die wir in klassischen Sendern und Verlagen sozialisiert worden sind, können das nicht. Innovation entsteht nie aus dem Alten. Innovation entsteht durch Rebellen, Misfits, Außenseiter. Oder wie Amir Kassaei einst formulierte: „In Zeiten des Umbruchs muss man radikal sein, anstatt zu versuchen, sich mit Mittelmaß durchzuschummeln.“
Let’s face it: Das Zeitalter, in das wir da hineingeboren worden sind, ist einfach nicht unser Zeitalter – nicht das Zeitalter der Erbsenzähler, der Controller, nicht das Zeitalter der Geschichtenerzähler, der Journalisten. Es ist das Zeitalter für Menschen mit Visionen, ein Zeitalter für Gründer, für Unternehmer.
Aber – und das ist wenigstens ein kleiner Trost: Wir Journalisten sind Unkraut. Wir sind wie Zombies. Wir werden wieder kommen, eines Tages.
Für’s Erste aber, so fürchte ich, müssen wir sterben. Sterben, um zu leben.
Vielen Dank.
Wie sagte Paul Simonon einmal:“I never wanted to go back and relive the glory days. I just want to keep moving forward. That’s what I took from punk. Keep going. Don’t look back.“
Und wie wir wissen, gewohntes zurück zu lassen und Neuland zu betreten, ist nicht einfach.
BTW – es ist nie zu spät, eine Programmiersprache zu lernen ;-)
Ich fürchte ich habe, was das Programmieren betrifft, zwei linke Gehirnhälften :-)
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