Der offene Schlagabtausch, den sich Springer-Chef Mathias Döpfner mit Google in der FAZ leistet – ein Manöver, um die eigenen Mitbewerber hinter sich zu scharen, während man selbst schon lange Allianzen mit dem Feind schmiedet? 

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Ich hatte mal einen Schulfreund, dem konnte keiner das Wasser reichen. Ein Junge aristokratischer Abstammung, ausgestattet mit allem, was zu einem Sprössling der gehobenen Gesellschaft dazu gehörte: Die Familie residierte in einer Villa in einem feinen Vorort von München. Von dort brauchte man exakt 90 Minuten zur Ferienwohnung in Kitzbühel. Selbstredend war mein Klassenkamerad Mitglied im örtlichen Tennisclub und spielte Violine. Ein Charmeur und Schöngeist, der auf dem Sportplatz eine ebenso gute Figur machte wie auf der Bühne. Und natürlich parlierte er fließend in Englisch wie auch in Französisch, der Besuch einer Privatschule schon in jungen Jahren machte es möglich.

Selten bin ich seitdem einem Charismatiker begegnet wie ihm. Die blauen Augen, der blonde Lockenschopf und die feinen Gesichtszüge zogen einen unweigerlich in seinen Bann. Niemand, der ihm hätte einen Wunsch abschlagen können. Seine schärfste Waffe aber war sein Verstand: Mein einstiger Banknachbar las in anderen Menschen wie in einem offenen Buch, identifizierte ihre Stärken, ihre Schwächen und bediente diese nach Belieben. Tom Sawyer wäre ihm auf den Leim gegangen.

Es dauerte nicht lange, da hatte mein Kumpel die Klassengemeinschaft, die sich aus versprengten Cliquen und kleinen Fürstentümern zusammensetzte, im Griff: Die Pausenhof-Kicker, die Schulstreber, die C64-Freaks – sie alle lagen ihm zu Füßen. Die Mädchen sowieso. Wenn man mich damals gefragt hätte, ich hätte sofort mit ihm getauscht. Jeder in meiner Klasse hätte das getan. Vermutlich auch einige Lehrer.

Wie wir älter wurden, der Lehrstoff anspruchsvoller und die schulische Auslese begann, nahm das Verhängnis seinen Lauf. Viele meiner Klassenkameraden waren auf den wachsenden Druck nicht vorbereitet. Anstatt ihre Hausaufgaben zu machen und für Klausuren zu lernen, hingen sie weiter im Rauchereck ab, dröhnten sich zu mit allerhand pflanzlichen und chemischen Substanzen. Ganz vorne mit dabei: Mein charismatischer Freund. Dessen berühmt-berüchtigten Partys zogen sich nicht selten über ein ganzes Wochenende hinweg. Wer das Glück hatte, eingeladen zu sein, schwärmte noch Monate später davon.

Bis zu den Zeugnissen. Die Schwächsten von uns trug es als erstes aus der Kurve. Auf unserem Weg zum Abitur sollten noch einige folgen. Darunter auch solche, die durchaus das Zeug zur Hochschulreife gehabt hätten. Doch sie verpassten den Moment, sich am Riemen zu reißen und rechtzeitig auf die veränderten Umstände einzustellen.

Was keiner meiner Klassenkameraden wusste: Kaum jemand kam so gut auf die wichtigen Klausuren vorbereitet in die Schule wie mein blaublütiger Freund. Hinter seinen guten Noten, die ihm scheinbar so spielerisch in den Schoß fielen, steckte in Wahrheit harte Arbeit und auch eine gehörige Portion Kalkül. Nicht, dass er sich das je hätte anmerken lassen. Im Gegenteil: Nach außen hin suchte er oft und gerne den offenen Schlagabtausch mit den Lehrkräften, dem Direktorat, dem gesamten Schulsystem, was seine heimliche Führungsposition nur noch mehr festigte.

Unterrichts-Absenzen und Schulverweise schmückten ihn wie Kriegsorden an einer Uniform. Doch wenn es zum Schwur kam, ließ er die Situation mit dem vermeintlichen Klassen-Feind nie eskalieren. In Wirklichkeit konnte er nämlich ganz gut mit den Lehrern. Auch durch das eine oder andere Geschenk, darunter historische Sammlerstücke seines Vaters, sicherte er sich ab. Kaum einer von uns führte hinter den Kulissen ein derart enges, fast schon kumpelhaftes Beziehungsgeflecht zu den Lehrern wie er.

Als die Zeit kam und es uns mit dem Abizeugnis in der Tasche in die weite Welt hinaus zog, war wohl keiner so gut auf das Leben vorbereitet, wie jener adelige und zugleich so bauernschlaue Mitschüler.

Noch oft denke ich an meine Schulzeit zurück und frage mich, was es genau war, das Geheimnis seines Erfolges. War es die Fähigkeit, Entwicklungen als Erster zu erkennen und sich frühzeitig darauf einzustellen? War es die Gerissenheit, durch gezielte Provokationen Feindbilder zu bedienen, um seine Mitstreiter hinter sich zu versammeln? Oder gar die Chuzpe, die eigenen Anhänger ins offene Messer rennen zu lassen, während man sich selbst durch einen geheimen Nichtangriffspakt mit dem Gegner absicherte?

Was das alles mit Mathias Döpfner zu tun hat? Auch bei dem Springer-Chef handelt es sich um eine imposante Persönlichkeit. Ein Musikwissenschaftler, der kein Orchester, dafür aber einen der größten Medienkonzerne Europas dirigiert. Wie Tom Sawyer dreht er seinen Mitstreitern verlustreiche Zeitungen an, lässt sich deren Abwicklung sogar noch fürstlich bezahlen. Innerhalb des Verbands der Zeitungsverleger gibt Springer den Ton an, betont immer wieder die Bedeutung von Journalismus und Print. Und auch wenn die Titanic schon lange am Sinken ist, ermuntert Döpfner die Musikanten, bis zum bitteren Ende weiterzuspielen, wohlwissend, dass sein digitales Rettungsboot schon auf ihn wartet.

Wenn ich meinen einstigen Klassenkameraden mit einer Romanfigur vergleichen müsste, es wäre der Große Gatsby. Mit einem Unterschied: Es handelte sich keineswegs um einen Scharlatan. Sein Blut war so blau, wie es blauer nicht hätte sein konnte. Mein alter Schulfreund – ein direkter Nachfahre von Otto von Bismarck.

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7 Kommentare
  1. Ugo Arangino schreibt:

    Wow, was für eine Geschichte.

    Kann zwar den Zusammenhang mit dem Teaser nicht erkennen. Aber der Text packt einen genau so wie wohl auch die beschrieben Person.

  2. […] 7 Springer vs. Google | De:Bug 8 Kommando “Friede Springer” will Google enteignen | TAZ 9 Döpfner, Google & der Große Gatsby | […]

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