In einer binären Welt, die aus Nullen und Einsen besteht, muss man sich was einfallen lassen, um unter all den Nullen herauszuragen. Ausgerechnet die ehemalige Nummer 1 des Tennis zeigt uns jetzt bei Twitter, wie’s geht.
Aufmerksamkeit. Nichts ist wertvoller in einer Welt, in der jede Zeitung, jedes Buch, jede Fernsehsendung nur einen Fingerstreich auf dem Smartphone entfernt ist. Vorbei die Zeit, in der ein Bundeskanzler lediglich Bild, BamS und Glotze brauchte, um regieren zu können. Das Internet bietet Platz für 340 Sextillionen IP-Adressen (eine Sextillion ist eine 1 mit 37 Nullen). Um als (ehemalige) Nummer 1 unter all diesen Nullen aufzufallen, muss man heutzutage schon tief in die Trickkiste greifen.
Boris Becker zeigt uns gerade wie’s geht. Via Twitter liefert sich der einstige Tennis-Star zur Zeit mit TV-Moderator Oliver Pocher einen öffentlichen Schlagabtausch, wie ihn die Medien lieben. „Bin gerade heisssssssss……“ eröffnet Becker die Partie. „Na, wieder auf Temperatur um deinen Flop anzukurbeln!?“, retourniert Pocher. Ein Tiefschlag folgt dem nächsten. Es geht um Sandy Meyer-Wölden, um verletzte Männer-Seelen und natürlich um Beckers neues Buch, über das, oh Wunder, plötzlich jeder spricht.
Boris Becker, als Geschäftsmann gescheitert, am Ende aber vielleicht gescheiter als wir alle zusammen? Becker hat verstanden, was in einer entkörperlichten, weil digitalen Welt am Ende wirklich zählt: Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit um jeden Preis. Früher war Becker dafür bekannt, dass er Tennis gespielt hat. Heute ist er vor allem dafür bekannt, dass er bekannt ist. Und wie bei der Weltrangliste im Tennis, gilt es, auf der Promi-Rangliste so lang wie nur irgend möglich ganz oben zu stehen.
Kämpfte Becker früher um jeden Ball am Netz, kämpft er heute im Netz um jede Schlagzeile. Das allein auf Eitelkeit oder Narzissmus zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Es geht auch um Existenzsicherung. Nicht Gold, nicht Silber – im Informationszeitalter ist nun mal Aufmerksamkeit die einzige wirklich krisensichere Währung, die sich beliebig eintauschen lässt in Geld, Macht oder Sex. Einmal berühmt, fragt später keiner mehr, wie man mal dahin gekommen ist. Wimbledon? Lottogewinn? Käferzelt? Hauptsache man bleibt im Gespräch.
Das Wort „wichtig“ passt dazu sehr gut. Weil schwer, schwerlastig oder auch schwerverdaulich, ums noch treffender zu sagen. Ein Buch verkauft sich halt schlecht, wenn keine Werbung dafür gemacht wird. Egal welche …
Der Boris ist schon sehr unterhaltsam auf Twitter und es hilft ihm sicher auch ein bisschen weiter wahrgenommen zu werden und ein paar Bücher zu verkaufen, aber echte Aufmerksamkeit bekommst du doch eher in den Massenmedien und noch nicht auf Twitter (in Deutschland), oder? Hast du Bild, Bams und Glotze, kannst du den Rest noch sehr sehr ruhig angehen. Reichweite, Einfluss und Meinungsbildung: Wegen allem würde ich zu alten Medien gehen und die neuen mit nutzen. Noch nicht anders herum…
Wenn man im Laden am Zeitungsstand vorbeigeht und es quasi gar nicht vermeiden kann – da auf der Titelseite [!] – von so etwas Banalem verschont zu werden und sich die Massenmedien auch sonst darum reißen uns hier auf dem Laufenden zu halten würde ich sagen: Es funktioniert. Twitter reicht völlig aus. Die Protagonisten brauchen sich nicht einmal mehr die Mühe zu machen die Medien dazu zu bewegen, über sie zu schreiben. Traurig, dass es Journalisten gibt, die sich dafür hergeben (müssen).