Crowdfunding? Grassroot?? Big Data??? Der erhoffte Internet-Wahlkampf in Deutschland muss auch dieses Jahr leider ausfallen wegen is nicht.
Letzte Woche klingelte es bei mir an der Haustür. Drei Gestalten mit Leinen-Taschen und einem bemüht freundlichen Grinsen im Gesicht, vielleicht einen Tick zu überschwänglich: „Hallo, Herr Gutjahr!“ – „Lassen Sie mich raten“, fahre ich ihnen in die Parade. „Sie wollen mit mir über Gott reden!“ – „Ähhm, nein, eigentlich über Margarete Bause, unsere Spitzenkandidatin“, so die drei Grünen Wahlkämpfer jetzt einen Tick kleinlauter.
Spätestens 2013 werden auch in Deutschland die Wahlen im Netz entschieden, dachte ich noch 2008, damals, als Barack Obama mit seinem Internet-Wahlkampf die Massen mobilisierte. Heute denke ich anders. „Das wichtigste technische Hilfsmittel im Wahlkampf ist nicht das Internet“, so Sigmar Gabriel „es ist der Klingelknopf“. So sehr es mir auf widerstrebt, dem früheren Popkultur-Beauftragten der Genossen beizupflichten, ich fürchte, der Dicke hat Recht.
In eigener Sache: Überzeugt uns! – Der Politiker-Check im Ersten – Heute, Montag, 26. August um 22:30 Uhr im Ersten
Wenn sich der Wahlkampf im Netz überhaupt durch irgendwas auszeichnet, dann durch kategorische Langeweile. Die Webseite der Bayern-SPD so aufregend wie ein Infobrief der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Horst Seehofer, der von mehr Bürgerbeteiligung spricht und im selben Atemzug unliebsame Mollath-Kommentare von seiner Facebook-Seite löschen lässt. Und eine rückwärts laufende Digital-Uhr auf der Homepage der FDP-Bayern, die an den Timer einer Zeitbombe erinnert, bevor es die Liberalen am 15. September an der Wahlurne zerlegt.
Zum Glück gibt es seit letzter Woche wieder den Wahl-O-Mat zur Bayern-Wahl. Die unabhängige Informationsplattform hat alle Positionen der zur Wahl stehenden Parteien übersichtlich sortiert und gegliedert. Einfach beim Kaffee-Trinken die 38 Fragen vom Ladenschluss bis zur Autobahnmaut durchklicken und bewerten. Am Ende spuckt Ihnen der Wahlomat die Parteien aus, die am ehesten Ihre Positionen vertreten. Das Tolle: Die Seite erklärt Ihnen im Anschluss auch warum.
Vielleicht sollte man den Prozess in Zukunft einfach umdrehen: Jeder Wahlberechtigte füllt im Vorfeld der Wahl im Netz einen Fragenkatalog aus. Dem Mehrheits-Ergebnis entsprechend wird eine Partei und ein Parteiprogramm zusammengebaut, das 1:1 die am häufigsten genannten Positionen aller Wähler abbildet. Ein bisschen Windräder, ein bisschen Wort halten, ein bisschen Autobahnmaut. Am Wahlsonntag selbst steht dann nur noch eine einzige Partei zur Wahl, die man dann wählen kann – oder eben nicht. Zu opportun, finden Sie? Sie haben Recht. Kann man sich ja eigentlich gleich zum Horst machen.
Als Küchen-Soziologe könnte man die Arbeitshypthese aufstellen, das liegt daran, dass die Deutschen anders als US-Amerikaner ihre politischen Ansichten mehr als Privatsache sehen und deshalb Facebook & Co im Wahlkampf nicht so zünden…
Ein wenig ist das auch wie Online-Dating: meist ist die persönliche Begegnung etwas aufschlussreicher.
Die wirklich aufschlussreichen Formate sind meist bei neutralen Stellen besser aufgehoben, so etwa der #zdfcheck, dem ich eher vertraue als einer Quick-Response-Seite einer Partei. Oder das unabhängige Abgeordnetenwatch (nicht zu verwechseln mit dem Ein-Themen-Klon Abgeordnetencheck), wo man dem Dialog der MdBs mit anderen Bürgern folgen kann.
Die meisten Negativkommentatoren auf Facebook-Seiten von Politikern, sind ja nicht unbedingt Wechselwillige, sondern eher Menschen, die mal bei jemandem, den sie eh nicht wählen, Dampf ablassen wollen.
Wahrhaft spannend ist doch, was die Wechselwähler und die echten Spätentschlossenen (nur die, die bis kurz vor Schluss „lagerunentschieden“ sind) im Netz machen bzw. im Netz erwarten.