Er wurde von Geheimdiensten beschattet, von Polizisten verhört. Das Ziel: die Quellen seiner Recherchen. Ronen Bergman arbeitet für Israels größte Tageszeitung Yedi’ot Acharonot. Er gilt als einer der profiliertesten Geheimdienstkenner weltweit. Ein Gespräch über Spionage, Journalismus, PRISM und mögliche Folgen staatlicher Überwachung.

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Freitag Vormittag im Norden von Tel Aviv. Ich bin mit Ronen Bergman zum Frühstück verabredet. Ronen und ich kennen uns seit vielen Jahren, der investigative Journalist und Buchautor ist bestens vernetzt. Er ist gern gesehener Gast auf der Münchner Sicherheitskonferenz, hält Vorträge auf der ganzen Welt. Ich verspäte mich um ein paar Minuten, Ronen sitzt bereits an einem Tisch unmittelbar an der Bar, dort, wo das Geschirr am lautesten klappert und die Kaffeemaschine in einer Tour röhrt. Zufall?

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Wie fühlt sich das an, wenn man spürt, dass man überwacht wird?

Ich werde oft gefragt, ob ich nicht besorgt bin, dass ich observiert werde. Ich sage dann immer: Wenn mich tatsächlich jemand belauschen muss, hat er es nicht anders verdient.

Dir macht es nichts aus, wenn Du bespitzelt wirst?

Viele Menschen glauben, sie werden verfolgt und reden gerne darüber. Ich denke, da ist oft viel Übertreibung im Spiel, gemixt mit einer Prise Narzissmus und Paranoia. Jeder, der sich in der Welt der Geheimdienste auch nur ein bisschen auskennt, weiß, wie viel Ressourcen eine solche Überwachung bindet und wie aufwendig es ist, das dadurch gewonnene Material hinterher auszuwerten.

Also doch alles nicht so tragisch?

Es gab durchaus Zeiten, in denen ich wusste, dass große Anstrengungen unternommen worden sind, um herauszubekommen, woran ich arbeite, welche Unterlagen ich besitze und mit wem ich in Kontakt stehe. Sobald du anfängst, Informationen über Geheimdienste zu sammeln, beginnen die natürlich umgekehrt, Informationen über dich zu sammeln. Man muss sich das vorstellen wie zwei konkurrierende Informationsdienste.

Keine Angst vor möglichen Konsequenzen?

Es gab Momente in den vergangenen 20 Jahren, in denen ich Angst hatte, beispielsweise in Situationen, wenn man verhaftet und verhört wird. Dann spürt man erst, mit welch mächtigen Gegnern man es zu tun hat und wie sie versuchen, deine Arbeit zu sabotieren. Am schlimmsten aber ist es, wenn deine Quellen in Gefahr sind, wenn man fürchten muss, dass die Leute, die dir etwas anvertraut haben, enttarnt werden.

Wie schützt Du Dich gegen willkürliche Verhaftung?

Sobald ich Wind davon bekomme, dass meine Arbeit in Gefahr ist, gehe ich an die Öffentlichkeit. 1995 wurde ich von der Polizei verhört, nachdem der Mossad versucht hatte, an meine Quellen für deren Aktivitäten in Iran zu gelangen. Die Befragung verlief nach der „good cop, bad cop“-Methode. Sie drohten mir, mich anzuklagen und hinter Gitter zu bringen, wenn ich meine Quellen nicht preisgebe. Was niemand wusste: Ich habe die Befragung heimlich mitgeschnitten und wenige Tage später im Fernsehen vorgespielt. Die Veröffentlichung hat der Polizei sehr geschadet und führte dazu, dass sie die Ermittlungen gegen mich schließlich einstellten.

An Snowdens Stelle, was hättest Du anders gemacht?

Snowden hat sich bei seinem Risk Assesment verkalkuliert. Er ist davon ausgegangen, dass sich die Chinesen vor ihn stellen. Das war ein Fehler.

Am Ende zählt, ob die Informationen, die ich von einem Informanten erhalte, wahr sind und ob sie es wert sind, veröffentlicht zu werden.

Ist Snowden ein Verräter oder ein Held?

Diese Bezeichnungen taugen vielleicht für Schlagzeilen, für meine Arbeit spielen sie keine Rolle. Ich hatte in meinem Job schon mit Tausenden Informanten und anderen Tippgebern zu tun. Viele davon betonten, aus rein ideologischen Motiven heraus zu handeln. Wenn man dann hinter die Fassade blickt, findet man immer auch andere Motive dafür, dass sie mit einem reden.

Wir Journalisten leben von diesen Menschen…

So ist es. Und deshalb interessieren mich die persönlichen Motive nicht sonderlich. Am Ende zählt, ob die Informationen, die ich von einem Informanten erhalte, wahr sind und ob sie es wert sind, veröffentlicht zu werden. Ob da jemand eine offene Rechnung begleichen möchte oder andere Ziele verfolgt, ist mir egal.

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Foto: ronenbergman.com

Wie kann man sich und seine Quellen schützen, wenn doch alles überwacht wird?

Wenn Geheimdienste dich wirklich überwachen, werden sie immer einen Weg finden, an die Informationen zu gelangen, die sie haben wollen. Je mehr Vorsichtsmaßnahmen du triffst, umso mehr Aufmerksamkeit erzeugst du. Zumal man niemals wirklich sicher sein kann, dass die Verschlüsselungstechnologie, die man benutzt, nicht schon lange geknackt ist. Die Leute haben zum Beispiel lange geglaubt, die Kommunikation über Skype sei sicher. Snowden zeigt uns jetzt das Gegenteil. Und selbst wenn eine Nachricht sicher verschlüsselt ist, dann können sie Dir immer noch einen Trojaner auf den Rechner spielen. In dem Moment, in dem du die Mail öffnest und dechiffrierst, ist sie auch für deine Überwacher lesbar.

Die deutsche Bundeskanzlerin behauptet, sie habe von Prism oder Tempora zum ersten mal aus der Zeitung erfahren. Ist das glaubwürdig?

Lass es mich so formulieren: Wenn man dir als erfahrener Offizier des Nachrichtendienstes ein Bündel Informationen präsentiert, die Teil einer Operation sind, sagen wir Fotos, E-Mails, Telefonverbindungen, dann weisst Du in der Regel, auf welchem Wege solche Informationen erlangt worden sind. Selbst dann, wenn die Quellen dafür in den offiziellen Geheimdienstdokumenten nur grob angedeutet werden. Wenn nun also die NSA in gemeinsamen Operationen mit dem BND, aufgrund ihrer freundschaftlichen Beziehungen, Informationen ausgetauscht haben, würde ich doch annehmen, dass zumindest die ausführenden Mitarbeiter darüber im Bilde sind, wie weitreichend und wie intensiv die USA die weltweite Internet-Kommunikation überwachen.

Jetzt, wo die Infrastruktur errichtet worden ist, ist es natürlich äußerst verlockend, diese Technologie auch für andere Zwecke zu nutzen.

Und das alles dient ausschließlich dazu, um Terroranschläge zu verhindern, richtig?

Der 11. September versetzte die USA in eine Art Kriegszustand. Vor diesem Hintergrund wurden im letzten Jahrzehnt irrsinnige Geldmittel und Programme bewilligt, um diesen geheimen Homeland-Security-Staat zu errichten. Und tatsächlich scheint es heute so – nicht allein durch die Tötung von Osama bin Laden – als hätten die USA diesen Krieg gegen den Terror gewonnen, zumindest vorläufig. Jetzt, wo die Infrastruktur errichtet worden ist, um die globale Internet- und Telekommunikation überwachen zu können, ist es natürlich äußerst verlockend, diese Technologie auch für andere Zwecke zu nutzen.

Snowden sagt, er könne die Kommunikation jeder x-beliebigen Person auf der Erde abfangen, die private E-Mailadresse genügt. Hältst Du das für glaubwürdig?

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Illustration: shutterstock.com

Die Infrastruktur dazu ist da. Hier in Israel werden übrigens ganz ähnliche Technologien eingesetzt. Das weiß ich aufgrund der Recherchen für mein neues Buch über den Mossad, das nächstes Jahr auch in Deutschland erscheinen wird. Bei uns in Israel unterliegen die Geheimdienste keiner unabhängigen Kontrolle. Das macht unsere Rolle als Journalisten umso wichtiger. Wir, die Presse, sind so etwas wie die letzte Instanz, die diese ausufernden Geheimdienst-Aktivitäten im Blick behält.

Bei seiner Rede am Brandenburger Tor hatte US-Präsident Obama erklärt, er wolle das Atomwaffen-Arsenal weiter reduzieren. Zugleich rüsten die USA ihre Datencenter massiv auf. Sind Informationen die Waffen der Zukunft?

Man muss nicht in die Zukunft blicken, um zu wissen, dass Information Macht bedeutet. Für Euch Deutsche muss diese ganze Situation bizarr und irgendwie unwirklich erscheinen. Der Gedanke, dass all Eure Telefone angezapft und Eure E-Mails von den Amerikanern mitgelesen werden können. Ihr solltet dabei aber auch immer im Hinterkopf haben, dass Deutschland über ein halbes Jahrhundert lang nicht mehr angegriffen wurde. Vor dem 11. September waren für die Amerikaner militärische Maßnahmen, wie zum Beispiel gezielte Attentate, nahezu undenkbar.

Der Zugang zu solchen Informationen ist einfach viel zu verlockend, dass nicht früher oder später jemand damit Missbrauch betreiben würde.

Wie groß ist der außenpolitische Schaden, den Edward Snowden der US-Regierung zugefügt hat?

Den viel größeren Schaden sehe ich eher im Inneren der Vereinigten Staaten. Wenn das stimmt, was Snowden behauptet, dass einfache Mitarbeiter von ihrem Schreibtisch aus in der Lage waren, E-Mails und Telefonate abzurufen, ohne, dass ihre Abfragen irgendwo dokumentiert worden sind, das wäre eine derart unglaubliche Missachtung sämtlicher Mindest-Sicherheitsstandards, dass man die Verantwortlichen dafür sofort ins Gefängnis stecken müsste. Der Zugang zu solchen Informationen ist einfach viel zu verlockend, dass nicht früher oder später jemand damit Missbrauch betreiben würde.

Was sagt das über den Zustand der USA aus, dass es nun schon zum zweiten Mal innerhalb relativ kurzer Zeit einem Whistleblower gelungen ist, gewaltige Mengen an streng vertraulichen Informationen zu stehlen und zu veröffentlichen?

Da gibt es für mich nur eine Antwort: Amerika verliert an Macht. Die Leute haben weniger Angst vor Amerika. Der glückliche Umstand, dass Julian Assange noch immer frei ist, oder sagen wir, noch nicht unter Kontrolle der USA ist, zeigt, dass Amerika an Einfluss verliert.

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Jerusalem – Foto: gutjahr.biz

In Israel tobt gerade eine Debatte darüber, ob die Polizei eine nationale Datenbank mit den biometrischen Daten aller Bürger anlegen darf. Sind die Proteste nicht erstaunlich, gerade vor dem Hintergrund, dass Sicherheit hier in Israel sonst so ein großes Thema ist?

Das hat einen einfachen Grund. Diese Datenbank soll der Verbrechensbekämpfung dienen, nicht vor Terroranschlägen schützen. Wenn der Chef des Geheimdienstes Schin Bet sagen würde: Hört zu, wir brauchen so eine Datenbank zur Terrorbekämpfung, dann gäbe es keine Diskussion. In diesem Fall aber handelt es sich um ein Projekt der Polizei und des Innenministeriums, zwei staatliche Institutionen, die keinen besonders guten Ruf in der Bevölkerung genießen.

Ist das nicht eine interessante Beobachtung, dass die Leute so stark auf das Wort Terror reagieren?

Oh ja, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich bei der Mehrheit der Israelis um eine sehr liberale Gesellschaft handelt. Schau Dir Tel Aviv an, die Schwulen, das Engagement für Minderheiten, die Integration von Schwarzafrikanern, die über die Grenzen kommen. Was Demokratie betrifft, lässt es sich hier wirklich gut leben, solange es nicht um Sicherheit und unsere arabischen Nachbarn geht. Hier enden Toleranz und humanitäres Mitgefühl der Israelis; komplett verschwunden.

Die Leute gewöhnen sich daran, dass sie überwacht werden. Und über diese Entwicklung mache ich mir in der Tat große Sorgen.

Und Du findest das okay?

Nein, überhaupt nicht! Das ist schrecklich. Benjamin Netanjahu spricht ununterbrochen von der existentiellen Bedrohung des Staates Israel durch das iranische Nuklearprogramm. Ich stimme ihm zu – Israel sieht sich in der Tat einer großen Bedrohung ausgesetzt, vor allem aber der Gefahr, seinen demokratischen, liberalen Charakter zu verlieren.

Meinst Du, dass dieses gesellschaftliche Klima ein Vorbote ist für das, was uns in Europa und in den USA droht?

Nein, das glaube ich nicht. Aber ich mache mir über etwas anderes Gedanken. Ich habe vor kurzem Jegweni Kasperski vom Antiviren-Hersteller Kaspersky Lab für ein Interview getroffen. Man muss wissen, Kasperski ist ein gelernter GRU-Offizier [Militärischer Abschirmdienst Russlands]. Es gibt das Gerücht, dass er dem russischen Geheimdienst Zugang zu sämtlichen 300 Millionen Computer ermöglicht, die seine Software installiert haben. Wenn man ihn darauf anspricht, streitet er alles ab. Eine seiner Beobachtungen teile ich, und zwar, dass diese Snowden-Sache für uns Medienleute eine große Nummer ist, für ein paar Politiker und vielleicht noch ein paar linke Gruppierungen und Bürgerrechtler. Der großen Masse in der Welt scheint die NSA-Affäre egal zu sein. Die Leute gewöhnen sich daran, dass sie überwacht werden. Und über diese Entwicklung mache ich mir in der Tat große Sorgen.

journalist-coverDieses Interview ist in einer gekürzten Fassung in der August-Ausgabe des „journalist“ erschienen, zu der ich die Titelgeschichte beigesteuert habe. Besonders lesenswert auch das Interview mit Ewen MacAskill, dem Guardian-Reporter, der Edward Snowden in Hong Kong interviewt hat.

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19 Kommentare
  1. Maurus schreibt:

    Nur um das nochmal herauszuheben: So lange auch nur ein Windows Rechner an einer Nachrichtenkette beteiligt ist können Geheimdienste und/oder Hacker jegliche Verschlüsselung von Emails leicht aushebeln!

    Es ist absolut erstaunlich wie es sogar „Experten“ gelingt sich selbst und anderen MS Produkte schön zu reden… nur weil sie letztlich Gewohnheitstiere sind die nicht in der Lage sind sich vorzustellen auf einer anderen Oberfläche zu arbeiten.

    • Richard schreibt:

      Hat hier doch niemand behauptet, oder?

  2. Droid Boy schreibt:

    In welcher Sprache hast du das Interview geführt?

Willkommen!