Während Deutschland das Halbfinalspiel gegen Italien schaute, wurde im Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das es in sich hat. Und das in rekordverdächtigen 57 Sekunden.
Fragen Sie sich auch manchmal, wieso Ihr Briefkasten ständig verstopft ist mit Prospekten und Briefwerbung, die Sie gar nicht wollen? Wieso Ihr Telefon klingelt und irgendein Callcenter-Agent Ihnen ein Dauerlos aufschwatzen will? Woher haben diese Firmen unsere Adressen? Woher unsere Telefonnummer? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nach Berlin schauen, wo letzte Woche, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ein Gesetz verabschiedet wurde, das es in sich hat: Ausgerechnet an dem Abend, als ganz Deutschland das EM-Halbfinal-Spiel gegen Italien schaute, beschlossen CDU, CSU und FDP das sog. „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“. Und das in rekordverdächtigen 57 Sekunden! Dieses Gesetz sieht vor, dass Einwohnermeldeämter Ihre Privatadresse an Werbetreibende und Adressenhändler verkaufen dürfen. Ganz richtig: Sie wurden verraten und verkauft!
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Ein Lobbyisten-Gesetz kommt selten allein
Wenn Daten das Erdöl des Digitalzeitalters sind, dann sind Adressbroker die Öl-Multis des 21. Jahrhunderts. Immer tiefer dringen die Datenschürfer in unser Privatleben vor, um möglichst lückenlose Kundenprofile von uns zu erstellen. Möglich wird das nicht nur durch das Meldegesetz, sondern auch durch das sog. Listenprivileg (siehe Blogpost vom 1. März), eine Ausnahmeregelung, die es Verlagen aber auch Versandhäusern gestattet, nicht nur mit Kleidung oder Tupperware zu handeln, sondern darüber hinaus auch mit den Namen und Anschriften ihrer eigenen Kunden.
Ein Beispiel
Nehmen wir an, Sie bestellen einen Tennisschläger bei OTTO-Versand in Hamburg. Das Unternehmen reicht Ihre Kundendaten an Dritte weiter, ohne Sie um Erlaubnis fragen zu müssen. Mehr noch: Das Listenprivileg gestattet es, dass OTTO seinen Vertragspartnern mitteilen darf, welches Produkt Sie bei dem Versandhaus gekauft haben. Durch den Datenabgleich mit den Einwohnermeldeämtern können somit über Jahre hinweg lückenlose Profile von Ihnen erstellt werden, selbst wenn Sie umziehen: Ob Sie Raucher sind, ob und welchen Sport Sie treiben, welches Auto Sie fahren und so weiter. Adressenhändler wie die in Ditzingen ansässige Schober Group werben ganz unverhohlen damit, über 50 Millionen Adressen von Privathaushalten in Deutschland zu verfügen mit 300 Zusatzkriterien.
Mit den eigenen Waffen
Wenn Ihnen also das nächste Mal ein Politiker weismachen will, wie böse Facebook oder Google sind, denken Sie daran: Die größten Datenkraken befinden sich nicht im fernen Amerika sondern direkt vor unserer Haustür. Schlimmer noch: Sie werden hofiert von einem unheilvollen Kartell aus Politik und Wirtschaft in den Hinterzimmern unserer Republik.
Schreiben Sie Ihrem Bundestagsabgeordneten – und zwar am besten an seine Privatadresse. Woher Sie die bekommen? Ganz einfach: Das oben erwähnte Melderegistergesetz gilt nicht nur Datenhändler sondern auch für jede Privatperson – sprich: auch Sie haben das Recht, die Daten jedes x-beliebigen Bundesbürgers einzusehen. Auch die eines Politikers.
Post für Ilse Aigner
Sagen wir, Sie wollen uns bei der Jeanne d’Arc des Datenschutzes, Verbraucherschutzministerin Aigner, über dieses von Union und FDP beschlossene Gesetz beschweren. Und das am besten über ihre Privatadresse direkt nach Hause. Alles, was Sie brauchen, ist Name und Geburtsdatum der Ministerin (Wikipedia). Über die länderübergreifende zentralisierte Melderegisterauskunft (ZEMA) erhalten Sie innerhalb von Sekunden die aktuelle Anschrift, Familienstand, akad. Grad, usw. Die Abfrage (siehe Screenshot) hat mich 9 € gekostet, die per Bankeinzug sofort abgebucht wurden). Bei der Gelegenheit: Schreiben Sie auch Ihrer Meldebehörde und erkundigen Sie sich, wer schon alles Ihre Adresse über das Meldeamt abgefragt hat. Gemäß § 34 Bundesdatenschutzgesetz muss Ihnen die Behörde Auskunft darüber erteilen.
Noch ist das neue Meldegesetz nicht durch den Bundesrat abgesegnet worden. Eure Meinung?
Unfassbar!!! :-(((((
Meine Daten stehen zwar ohnehin im Impressum meines Blogs, aber das geht nun wirklich zu weit!!!
Naja, das kann ich wenigstens selbst steuern, ob da meine Privatadresse steht, oder nicht.
Ist die Adresse aus dem Melderegister die gleiche die auch über z.B. dasoerltliche.de zu finden ist?