Im Schatten der Pandemie wächst die Macht von Google und Facebook. In einem Dokumentarfilm für das ZDF zeigen meine Kollegin Nemi El-Hassan und ich, wie die Tech-Konzerne ihren Einfluss in Berlin und Brüssel weiter ausbauen, wie sie ihre Kampagnen organisieren und weshalb sie von den EU-Aufsichtsbehörden nichts zu befürchten haben.
In Brüssel tobt eine Schlacht. Eine Schlacht, die Hunderte von Millionen Menschen betrifft. Eine Schlacht um unsere Daten und um die Märkte der Zukunft. Die Rede ist vom Digital Services Act (DSA) und dem Digital Market Act (DMA), zwei Gesetzespakete, die die Datenströme im Netz regulieren sollen und die derzeit im EU-Parlament ausgehandelt werden.
Während Landespolitiker:innen und Bürger:innen noch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie kämpfen, sind die großen US-Internet-Konzerne weiter dabei, unbemerkt Fakten zu schaffen. Über die letzten Jahre hinweg haben sie die Etats für Lobbyismus Schritt für Schritt erhöht und sind shoppen gegangen. Nicht etwa Büromöbel oder technisches Gerät, sondern: Politiker.
Gekaufte Politiker
Beispiel Facebook: Chef-Lobbyist des IT-Giganten ist Nick Clegg, ehemals Parteichef der Liberals und stellvertretender britischer Premierminister. Auch Aura Salla, ehemalige Mitarbeiterin in der EU-Kommission, hat letztes Jahr die Seiten gewechselt und lobbyiert jetzt für Facebook in Brüssel. Und in Deutschland? Da hat sich Facebook jüngst Julia Reuss, die Büroleiterin von Digitalministerin Dorothee Bär direkt aus dem Kanzleramt herausgekauft.
Soviel Lobby-Power hat ihren Preis. Knapp 20 Millionen Euro im Jahr lassen sich Facebook, Google, Microsoft, Apple und Amazon ihre Parlamentarier-PR in Brüssel kosten. Das ist doppelt so viel, wie die gesamte europäische Autoindustrie zusammen. Geld, mit dem man sich vielleicht nicht direkt Gesetze, sicherlich aber Wohlwollen erkauft.
Fragwürdige Kampagnen
Und wer sich davon nicht beeindrucken lässt, dem erklären die Konzerne den Krieg. In einem geheimen Strategiepapier spricht Google explizit davon, EU-Kommissar Thierry Breton „zurückdrängen“ zu wollen. Breton hatte zuvor wiederholt mit der Zerschlagung des Netz-Giganten gedroht.
Vor drei Jahren flog eine geheime Schmutzkampagne von Facebook auf, die den ungarischen Milliardär George Soros diskreditieren sollte. Soros hatte das Unternehmen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos öffentlich kritisiert. Facebooks Top-Management stritt zunächst ab, von dem Vorgang gewusst zu haben, räumte später dann aber kleinlaut ein, dass das nicht stimmte.
Strategiewechsel
Nicht immer kommt Lobbyismus mit der Brechstange daher. Der eigentliche politische Einfluss geschieht leiser, unterschwelliger.
Weil es in Brüssel und seit kurzem auch in Berlin ein Lobbyregister gibt (über die genaue Ausgestaltung lässt sich streiten), haben die IT-Konzerne ihre Strategie geändert.
Anstatt sich allein auf die Volksvertreter im Parlament zu verlassen, setzt man seit geraumer Zeit weiter unten an und sucht den direkten Draht zu Verbänden, Organisationen und Bildungseinrichtungen. Im Gepäck: großzügige Spenden oder sonstige Zuwendungen.
Ein Netzwerk aus Geldspenden
Diese subtilere Form von Einflussnahme (man könnte auch von Bestechung sprechen) erreicht übrigens auch den Journalismus. Die Summe der Gelder, mit denen allein Google und Facebook Verlage, TV- und Rundfunkanstalten (auch öffentlich-rechtliche) in den letzten Jahren beglückt hat, geht in die Millionen (zur Studie der Otto-Brenner-Stiftung PDF).
Die Hamburg Media School, bei der ich gelegentlich Kurse gebe, wird von Facebook direkt unterstützt. An der TU München finanziert Facebook seit dem Cambridge-Analytica-Skandal sogar einen ganzen Lehrstuhl. Fun-Fact: Einen Lehrstuhl für Ethik .
Über dem Gesetz?
Und wenn dann doch mal ein missliebiges Gesetz verabschiedet wird, heißt das noch lange nicht, dass sich Facebook oder Google genötigt fühlen, es auch einzuhalten.
Beispiel Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Zwar haben wir in der EU das Recht zu erfahren, welche Daten ein Unternehmen über uns speichert. Wenn man dann aber um Auskunft bittet, verweist Facebook stets auf sein Download-Tool, das nur einen Bruchteil jener Daten preisgibt, die der IT-Konzern (Facebook, Messenger, Instagram, WhatsApp) über uns besitzt.
Politiker und Datenschutzbehörden wissen von diesem seit Jahren anhaltenden Gesetzesverstoß. Facebook selbst streitet vor Gericht noch nicht einmal ab, dass die personenbezogenen Daten, zu deren Herausgabe der Konzern verpflichtet ist, unvollständig sind. Und dennoch geschieht nichts.
Auch der jüngste Skandal um ein gigantisches Daten-Leck, bei dem private Daten von über 500 Millionen Facebook-Nutzern ergaunert wurden, bleibt offenbar folgenlos. Und das obwohl Dutzende Bundestagsabgeordnete zu den Opfern zählen. Auch Didier Reynders ist mit dabei, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt: Der EU-Kommissar ist in Brüssel zuständig für Justiz und Datenschutz.
Alle Wege führen nach Irland
Datenskandale, unerlaubte Tracking-Methoden, das Ignorieren der Auskunftspflicht. Die Liste der beanstandeten Rechtsverstöße von Facebook und Google ist lang. Und dennoch gibt es keine Strafen. Wie kann das sein?
Um diese Frage zu beantworten, muss man nach Irland reisen. Hier sitzt die Behörde, die innerhalb der EU für die Kontrolle der Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley zuständig ist.
Für Irland, einst das Armenhaus Europas, sind die US-Unternehmen ein Segen. Die IT-Riesen haben für einen regelrechten Boom auf dem Arbeitsmarkt gesorgt. Die alte Hafenanlage Dublins, in der sich Facebook, Google & Co niedergelassen haben, nennt sich heute „Silicon Docks“. Deshalb wundert es nicht, dass die irische Aufsichtsbehörde es mit der Kontrolle der Tech-Giganten nicht allzu eilig hat.
Kampf um ein Interview
Ein Interview mit der irischen Behördenchefin zu bekommen, ist nicht leicht. Dutzende Mails und Textnachrichten wandern hin und her, bis Helen Dixon, vier Wochen nach meiner ersten Anfrage, endlich bereit ist, sich mit mir zu treffen. Das Gespräch findet auf einem Parkplatz statt in einem Vorort von Dublin.
Von den zahlreichen Mitteln, die der Behördenleiterin dank DSGVO zur Verfügung stehen, möchte Helen Dixon keinen Gebrauch machen. Statt Druck auf Facebook oder Google auszuüben, damit zu drohen, die Konzernzentralen zu durchsuchen, E-Mails oder Festplatten zu beschlagnahmen, setzt sie auf Freiwilligkeit und Kooperation.
Strafen überbewertet
In dem Interview wird sehr schnell deutlich, was das eigentliche Problem ist. Die Behördenchefin glaubt nicht an Strafen. Wörtlich sagt sie: „Es ist eindeutig, dass Strafen keine Verhaltensveränderung bewirken.“ Das sei bewiesen. („It’s clear that fines aren’t going to change behavior, the evidence is there that it doesn’t happen.“).
Fakt ist: Seit Inkrafttreten der DSGVO vor drei Jahren hat die irische Datenschutzbehörde nur ein einziges Mal ein Bußgeld gegen einen der Tech-Riesen verhängt, gegen Twitter. Die „Strafe“ betrug 450.000 Euro (Twitter hat einen Börsenwert von rund 50 Milliarden US-Dollar).
Fazit
Und Facebbook?
Lacht sich ins Fäustchen und programmiert eifrig weiter an seiner nächsten Daten-Sammelmaschine: ein neues soziales Netzwerk, speziell für Kinder unter 13. Demnächst auf jedem Pausenhof.
Ein paar Randnotizen zur Arbeit an diesem Film:
Die TV-Dokumentation (28 Minuten) findet Ihr ungekürzt in der Mediathek des ZDF.