Die Geheimdienste sprichwörtlich außer Kontrolle – Google, Facebook & Co als ausgelagerte Personenregister. Mit Gesetzen wie dem Patriot Act in den USA, sowie der Bestands- und Vorratsdatenspeicherung hierzulande, betreiben Industrie und Staat ein gefährliches Public-Private-Partnership, um Kunden und Bürger rund um die Uhr zu überwachen. Noch ist es nicht zu spät, die Hoheit über unsere Daten zurück zu gewinnen. (Merkel-Foto mit Dank an Michael Täger)

 

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Haltung zeigen

Als Journalist soll man sich nicht gemein machen mit einer Sache, heisst es, und sei sie auch noch so gut. Was aber, wenn eine Sache so dermaßen zum Himmel stinkt, dass man nicht länger seine Augen davor verschließen kann? Ich bin der Meinung, man sollte Stellung beziehen. Haltung zeigen. Nicht nur als Journalist.

 

Der heutige Kanzleramtschef und verantwortlich für die Geheimdienst-Aufsicht Peter Altmaier im Oktober 2011

 

Ein hoher Preis

Datenschutz? Kann man das essen? Ich weiß, dass Datenschutz so unsexy ist, wie nur irgendwas. Talkshows und Zeitungen meiden das Thema wo es nur geht, weil Quoten und Auflagen erfahrungsgemäß jedes Mal ein Desaster sind. Und doch – solltet Ihr nicht schon hier aufgehört haben, zu lesen – bitte ich Euch: bleibt bei mir!

Manchmal denke ich, ich bin paranoid. Und dann erfahren wir Dinge wie in den letzten Tagen und ich denke, offensichtlich war ich noch nicht paranoid genug. Datenschutz betrifft uns auf Arten, wie wir uns das heute noch gar nicht vorzustellen vermögen. Manchmal habe ich Sorge, dass wir eines Tages einen bitteren Preis für unsere Lethargie bezahlen werden.

 

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I love data!

Nicht falsch verstehen: Ich liebe meine Tech-Toys. Ich verlasse nie das Haus ohne iPhone, iPad oder MacBook. Ich habe mir sogar die Apple Watch bestellt, Apple-Sprech: „our most personal device ever“. Ich habe auch nichts gegen Big Data. Auf dieser, meiner eigenen Webseite sind vier Tracker aktiv, damit mein Blog via Google, Facebook & Co besser gefunden wird und damit ich eine Vorstellung habe, wieviele Menschen mein Blog so abrufen.

Worum es mir geht, ist nicht die Datenerhebung an sich. Daten sind nicht böse, sind per se nicht gut oder schlecht. Daten können für fantastische Dinge genutzt werden, ich bin überzeugt: Daten bringen unsere Gesellschaft weiter. Man verfolge allein die Projekte, die Open Data City anstößt (Offenlegung: Ich habe gemeinsam mit ODC an Plattformen wie LobbyPlag gearbeitet).

 

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Hinter verschlossenen Türen in Brüssel bekämpfen deutsche Minister den Datenschutz

 

In den Medien sonnt sich die Regierung mit dem strengen Datenschutz, den wir in Deutschland haben. Hinter den Kulissen jedoch sorgt gerade der deutsche Innenminister dafür, dass die EU-Datenschutzverordnung in Brüssel durchlöchert wird wie ein Sieb.

 

Diskriminierung durch Daten

Unsere Datenprofile können auf ganz unterschiedliche Art gegen uns verwendet werden. Mit der Reihe Do Not Track ist es dem kanadischen Regisseur Brett Gaylor gelungen, spielerisch zu zeigen, wie Facebook-Profile heute bereits dazu genutzt werden, um unsere Liquidität einzustufen oder unser Krankheitsrisiko zu ermitteln.

In der neuesten Episode könnt Ihr beispielsweise selbst ausprobieren, wie es um Eure Kreditwürdigkeit steht – Spoiler-Alert: Laut Facebook gehöre ich aufgrund meiner Extrovertiertheit zur höchsten Risikogruppe und würde daher kein Geld von der Bank bekommen. Der zugrundeliegende Algorithmus basiert übrigens auf realen Forschungsergebnissen der Cambridge University. Testet selbst!

 

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Meine Facebook-Daten deuten auf ein hohes Job-Risiko hin: Kein Kredit!

 

Wem gehören unsere Daten?

Die Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Wer soll über unsere gesammelten Daten bestimmen: Private Konzerne? Staatliche Behörden? Oder nicht doch lieber wir selbst?

Facebook kann dazu dienen, Regime zu stürzen. Facebook kann aber auch dazu benutzt werden, Oppositionelle ausfindig zu machen und zu neutralisieren, bevor diese gefährlich werden können. Dazu muss ein Machthaber gar nicht so weit gehen, politische Unruhestifter ins Gefängnis zu stecken oder umzubringen. In den meisten Fällen genügt es, Systemkritiker von Bildung oder Machtpositionen fernzuhalten. Die DDR war hierfür ein exzellentes Beispiel.

 

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Zielerfassung durch Metadaten – auch aus Deutschland

 

Daten können leben retten – aber auch töten

In seiner extremsten Form können Daten über Leben und Tod entscheiden. Metadaten dienen im Drohnenkrieg als Grundlage für die Ermittlung von Raketenzielen. Nicht selten sterben durch fehlerhafte oder falsch interpretierte Daten auch unbeteiligte Zivilisten („Kollateralschäden“). Kriege, die nicht irgendwo im fernen Afghanistan stattfinden, sondern die über den Netzknotenpunkt in Frankfurt sowie Militäreinrichtungen in Deutschland geführt werden.

 

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Etikettenschwindel

Deutsche Verteidigungsminister/innen machen einen Sport daraus, sich bei Truppenbesuchen in Heldenpose ablichten zu lassen – ob in Kabul oder sonst wo. Die Wahrheit ist: Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern im Netz. Und manchmal wird sie dort auch begraben.

 

Der Präsident des Verfassungsschutzes am Rande einer Tagung in Tutzing (2014)

 

Als Begründung für die immer tieferen Eingriffe in unsere Grundrechte wird gerne die Terrorbekämpfung bzw. Schwerstkriminalität genannt. Dass die sog. „Antiterrorgesetze“ später in der Praxis überwiegend für ganz andere Zwecke benutzt werden, wird verschwiegen. Eine Kontrolle darüber, wer, wann, wie oft auf unsere Verbindungsdaten zugreift, findet nicht statt.

 

 

Rechtsbruch ohne Folgen

Dass private Konzerne ungestraft geltendes Recht brechen und unbegrenzt Daten sammeln können, auf die der Staat dann später durch entsprechende Gesetze zugreifen kann, scheint System zu haben. Der laufende NSA-Untersuchungsausschuss macht immer deutlicher, wie der Kotau zwischen IT-Wirtschaft und Behörden funktioniert. So haben wir in den vergangenen Wochen beispielsweise gelernt, dass Firmen wie die Deutsche Telekom sogar Geld dafür bekommen, dass sie heimlich E-Mails, Textnachrichten und sonstige Internetverbindungen spiegeln und zur Auswertung an den BND nach Bad Aibling weiterleiten.

 

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Die Eliminierung der Judikative

Auch die Weitergabe der sog. Bestandsdaten erfolgt völlig automatisiert, ohne dass ein Richter oder sonst jemand überprüft, wer auf unsere E-Mail-, Telefondaten oder Passwörter zugreift. Im Schnitt erfolgt in der Bundesrepublik alle 1,2 Sekunden ein Abruf durch eine von rund 250 Behörden (Quelle: Bundesnetzagentur).

Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass das Grundrecht des Post- und Telekommunikationsgeheimnisses in der Bundesrepublik ausgehebelt wurde und dass sich Geheimdienste de facto unkontrolliert zu einem Staat im Staate entwickeln konnten.

 

 

Keine Kontrolle

Die parlamentarischen Kontrollgremien haben gar nicht die Mittel, die Angaben der Geheimdienste zu überprüfen (die G10-Kommission, die über das Post- und Telekommunikationsgeheimnis wacht, besteht aus gerade mal 4 Mitgliedern). Vielleicht wissen Kanzlerin und ihre Minister tatsächlich nicht, was der BND hinter ihrem Rücken treibt. Vielleicht aber wollen sie es auch gar nicht allzu genau wissen. So können sie später wenigstens wahrheitsgemäß behaupten, nicht informiert gewesen zu sein.

 

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Permanente Überwachung. Millionenfache Missachtung von Grundrechten – warum geht das Volk nicht auf die Barrikaden? Der ehemalige Verfassungsrichter und Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, erklärt sich die Lethargie der Bürger durch die fehlende unmittelbare Betroffenheit. „Wenn Sie einen Strafzettel bekommen, dann spüren sie das. Die heimliche Überwachung hingegen fällt zunächst gar nicht auf.“ Welche Gefahren des Missbrauchs von der Datensammelei ausgehen, werde daher nicht erkannt.

 

 

Daten sind Macht

Wer Daten besitzt, hat Macht gegenüber demjenigen, der sie nicht besitzt. In dem Moment, in dem ich etwas über mein Gegenüber weiß, was ich vielleicht gar nicht wissen sollte, entsteht eine Machtverschiebung zu meinen Gunsten. Noch mächtiger bin ich, wenn mein Gegenüber gar nicht weiß, was ich alles über ihn weiß. Ich habe dann die Macht, mir zu überlegen, ob und wie ich dieses Wissen für mich nutze.

Noch spüren wir keine Auswirkungen. Deutschland ist wirtschaftlich stark, die Regierung stabil, die Pressefreiheit intakt. Doch wer sagt, dass das für immer so bleiben muss. Was würde geschehen, wenn wir eines Tages nicht mehr so gut dastehen? Wenn Arbeitslosigkeit und andere ökonomische Umstände uns eine Regierung beschert, die weniger Skrupel hat, die über Jahre angesammelten Daten gegen das eigene Volk einzusetzen?

Gerade wir Deutsche sollten es besser wissen.

 

Supernerds

 

Diskutiert mit mir – sei es hier auf dieser Seite, via Twitter, Facebook oder auch persönlich auf der re:publica in Berlin. Besucht unsere Reihe Do Not Track, die noch bis Anfang Juni im Netz läuft. Wenn Ihr im Kölner Raum unterwegs seid, holt Euch Karten für das Theaterstück „Supernerds“, an dem ich im Rahmen eines WDR-Themenabends beteiligt bin.

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8 Kommentare
  1. Iris Fischer schreibt:

    „Das Volk“ geht nicht auf die Barrikaden, weil es mit so vielen privaten „Baustellen“ bereits mehr als gut beschäftigt ist, oder aber desinteressiert oder desillusioniert ist und sich selbst keine Wirksamkeitsmöglichkeit mehr zuschreibt…

  2. Fabian schreibt:

    Ich muss sagen, dass ich es für mich etwas arg leid bin die nächste Analyse zu lesen.
    Nichts gegen dich oder diese als solche, zumal diese hier sehr gut aufbereitet ist, aber ich hätte irgendwie gerne Lösungen :)
    Das soll auch kein Vorwurf an dich sein. Ich denke solange es nicht Aufreger genug ist, dass sich Leute entsprechend empören, solange wir es alle nicht schaffen unseren Verwandten und Freunden klar zu machen, welche Tragweite Überwachung hat, solange dürfen wir auch nicht aufhören zu erklären und versuchen zu überzeugen.

    Aber was dann? Was machen wir dann?
    Verschlüsselung! Ja, super Idee! Überwachung ist allerdings eine politische Entscheidung.
    Dennoch sollten wir die Kosten der Überwachung in die Höhe treiben, dadurch dass wir verschlüsseln, dadurch, dass wir es anderen beibringen. Dies geschieht nicht durch Teilen eines Artikels, sondern durch konkretes Handeln (verschlüsselt ihr eure E-Mails, nutz ihr verschlüsselte Messenger? Versucht ihr eure Kommunikationspartner davon zu überzeugen es auch zu tun?)

    Der relevantere Part hierbei ist es meiner Ansicht nach, diese Entscheidung politisch herbeizuführen. Das fängt an damit die eigenen Rechte, die wir aktuell in Deutschland und Europa haben (bezüglich Datenschutz etc.) durchzusetzen auch wenn das Klagen bedeutet. (Danke an den CCC und Max Schrems)

    Unsere Demokratie hat Mittel, nutzen wir sie!
    Wie kommt es, dass das Leistungsschutzrecht von der Idee bis hin zum Gesetz in gefühlt unter einem Jahr durchgedrückt wird? Wie kommt es, dass nach Abmachungen mit der Atomindustrie „nur“ ein Kraftwerk explodieren muss und die Regierung ihre Politik um 180° dreht (und deswegen übrigens verklagt wurde und zahlen muss, auch ohne TTIP)?
    ACTA, ihr erinnert euch? Ich denke an massig Proteste mit Guy Fawkes Masken.
    Natürlich sind das unterschiedliche Ebenen, aber es zeigt, dass Lobbyismus und Proteste auch funktionieren können, wenn man penetrant genug ist.
    Entweder habe ich etwas verpasst, aber ich glaube wir hatten so etwas mit ähnlichem Ausmaß noch nicht hier in Deutschland, zumindest nicht zur Überwachung. Ja Empörung im Netz, viele Artikel, aber konkrete politische Handlungen?

    Die Vorstellung, dass die Politiker alle Böse sind und uns ständig anlügen halte ich für Unsinn, zumindest in dieser Verallgemeinerung. Das politische Feld (Begriff von Bourdieu) hat eigene Regeln, die wir als Außenstehende nur wenig kennen. Wir sollten akzeptieren, dass viele – nicht alle – unserer Poliker einfach wirklich nichts wissen. Wir müssen davon ausgehen, dass wir kein völlig autonomes Land sind, das weltweit Beziehungen (zu den USA) aufs Spiel setzen wird, „nur“ um irgend ein Teil des Volkes zufrieden zu stellen. Das enthebt die Poltiker nicht ihrer Verantwortung und wir sollten auch nicht aufhören genau das zu fordern, aber wir sollten eine andere, eine besonnere Haltung einnehmen, die weg von Vowürfen hin zu Lösungssuche geht.

    Die Fragen sind nur: Wann muss sich die Politik dem Volk stellen? Wann dürfen wir Fragen zur Überwachung stellen? Wann darf unangenehm gefragt werden, ohne, dass es „dem nichts hinzuzufügen gibt“, oder Gespräche abgebrochen werden?
    Wir dürfen auch im Jahr 2 nach Snowden die Thematik nicht untergehen lassen (d.h. immer wieder Analysen, Erklärungen schreiben und betreiben), wir müssen unsere Rechte einfordern, für unsere Rechte, die beschnitten werden sollen kämpfen, wir müssen fordern uns anzuhören und wir müssen zeigen, dass es uns wichtig ist und das am besten mit vielen!

    Um auf deinen Artikel zurück zu kommen, das was hier von Regierungsseite in Sachen Überwachung betrieben wird ist eine Sauerrei! Noch unverständlicher und schlimmer ist aber der Umgang, der seitdem damit stattfindet. Auch wenn ich das so schon sehr oft gelesen habe, ist es nur noch wichtiger geworden, vielen Dank für den Artikel!

    Grüße

    Fabian

    • Richard schreibt:

      Ich glaube nicht, dass hinter der mangelnden Kontrolle von BND & Co Absicht steckt. Die meisten Gesetze werden in guter Absicht verabschiedet. Nur leider ist gut gemeint nicht immer gut gemacht. Und wenn man Mist baut, soll man dafür auch gerade stehen und dem Volk reinen Wein einschenken.

    • Hirnchirurg schreibt:

      Ich kann deinen Frust verstehen, mir geht es ähnlich.
      Mein momentaner Standpunkt ist der: Respektiere ich meine Mitmenschen als freie und mündige Menschen, als für sich selbst verantwortlich, so kann ich nicht mehr tun als diese Menschen aufzuklären wenn Interesse und der Wunsch danach vorhanden ist. Was diese Personen dann mit den Informationen machen, ist ihnen überlassen und sie tragen die Verantwortung dafür. Insofern sehe ich es als eine Tatsache an, das ein Großteil der Bevölkerung der sogenannten westlichen Welt im Status Quo verharrt. Es schmerzt mich, läßt sich aber nicht ändern.

      Was ich jedoch geschafft habe:
      – Ich habe 8 Menschen dazu gebracht, PGP beim Email schreiben mit mir zu nutzen.
      – Ich habe einen Mumble-Server aufgesetzt, der zur sicheren Kommunikation genutzt werden kann und wird.
      – Ich habe ein paar Menschen dazu gebracht, Threema und Jabber mit OTR zu nutzen.
      – Ich kann permanent von der Überwachung reden und keiner betitelt mich als paranoid.

      Das ist doch immerhin etwas :)

Willkommen!