Die neue ARD/ZDF-Onlinestudie ist da. Oberflächlich betrachtet ist alles in Ordnung: Fernsehen, Radio und das Internet führen eine friedliche Koexistenz. Doch wer genau hinsieht, der kann aus den Zahlen ableiten, welche radikalen Umbrüche der Medienwelt bevorstehen.
Trügerische Sicherheit
Seit Jahren predige ich in meinen Workshops und Vorträgen die folgende, inzwischen nicht mehr ganz so neue Weisheit: Die Zukunft der Medien ist mobil und sie bewegt sich – sprich: Inhalte müssen vom Smartphone her gedacht werden, das Thema Video wird noch wie ein Tsunami über uns hereinbrechen.
Die mittlerweile 18. ARD/ZDF-Onlinestudie untermauert diese alten Thesen und zeichnet ein furioses Medien-Szenario für die Zukunft.
Wer nur die statistischen Durchschnittswerte betrachtet, könnte dem Trugschluss erliegen, der Medienwandel sei halb so wild: Das Internet habe sich in der Gesellschaft etabliert, die klassischen Medien würden auch in Zukunft weiter ihre Vormachtstellung behaupten.
Doch bei genauerer Betrachtung stellt man fest: Unter der Oberfläche brodelt es gewaltig! Ein Beispiel:
Das Fernsehen belegt mit einer durchschnittlichen Sehdauer von 244 Minuten am Tag die unangefochtene Spitzenposition im bundesdeutschen Medienmix. Das stimmt – aber nur im Bevölkerungsdurchschnitt.
Bei den 14-29-Jährigen hat das Internet mit 233 Minuten Nutzungsdauer am Tag das sog. „Leitmedium“ Fernsehen (2014: 128 Minuten, 2013: 134 Minuten) schon lange hinter sich gelassen.
Rasanter Zuwachs
Gerechnet auf die Gesamtbevölkerung (also inklusive Offliner) ist jeder Deutsche im Schnitt täglich 111 Minuten online (2013: 108 Minuten) und damit fast eine Dreiviertelstunde länger, als noch 2010. Kein Medium zuvor hat jemals einen derart rasanten Zuwachs hingelegt.
Die Autorinnen der Studie räumen ein, dass die Zuwächse der Internet-Nutzung gegenüber den Vorjahren stagnieren. Gleichzeitig weisen sie aber auch darauf hin, dass es diesbezüglich zwei Wahrheiten gibt:
„Auch wenn der Wandel in den Nutzungsgewohnheiten langsam vollzogen wird (…) so erkennt man gerade an der jungen Generation, wie die Medienzukunft aussehen könnte.“
Die Alten kommen
Dieser Wandel könnte sich sogar noch schneller vollziehen, sobald auch die zahlenmäßig überlegenen „Alten“ nach und nach die Vorzüge des Internets für sich entdecken.
Tatsächlich geht der größte Zuwachs im Netz heute von den Über-60-Jährigen aus: Fast jeder Zweite der 60+ Generation nutzt das Internet. Bei den 60- bis 69-Jährigen stieg der Anteil der Onliner von 59 Prozent (2013) auf 65 Prozent (2014).
„Je größer die Wahlfreiheit ist, umso wichtiger wird es gerade für Fernseh- und Radioanbieter, ihre Inhalte als Marken zu etablieren“ lautet das Fazit der Medienwissenschaftlerinnen.
Karstadt vs. Amazon
So wie klassische Warenhäuser heute gegen Online-Shops konkurrieren, werden etablierte Sender demnächst gegen Online-Medien bestehen müssen. Und die Einschläge kommen näher: Amazon hat diese Woche auch in Deutschland seine Settop-Box Fire TV eingeführt. In wenigen Wochen folgt der Streaming-Dienst Netflix.
Auch hier empfehle ich einen differenzierten Blick auf die Zahlen: Nur 13 Prozent der deutschen Internetnutzer (7,23 Millionen) nutzen Video-Streamingdienste. Aber: In der Altersgruppe der 14-29-jährigen Onliner werden diese Angebote bereits von über einem Viertel (26%) genutzt, ein Zuwachs von 5 Prozent gegenüber 2013!
Mit anderen Worten: Die Schlacht um die Aufmerksamkeit hat gerade erst begonnen. Wer heute nicht auch online erfolgreich ist, droht morgen in einem Meer von alternativen Angeboten unterzugehen.
Meine Thesen zum Fernsehen der Zukunft:
Breaking The Utterly Bad – die bevorstehende TV-Revolution (2013)
Medienwandel: Brauchen wir noch TV-Sender? (2014)
Geräte & Anwendungen
Audio-Nutzung
Video-Nutzung
Birgit van Eimeren, als langjährige Autorin der ARD/ZDF-Onlinestudie – gab es dieses Jahr Überraschungen?
Überraschungen gab es wohl nicht. Vielmehr verstärken sich die Trends, die gerade in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen haben: Zunahme der mobilen Nutzung, Erschließung neuer, mobiler Nutzungssituationen für mediale Inhalte durch die mobilen Endgeräte und damit ein weiterer Ausbau der Medienzeit, und schließlich die steigende Nachfrage nach professionell produzierten Videos, wovon insbesondere der Content der Fernsehanbieter profitiert. Professionelle, bekannte Anbieter, und dies sind noch die TV-Anbieter, profitieren dabei von der zunehmenden Aneignung des Internets in der älteren Generation (Tablets!), die deutlich stärker bekannte Marken im Netz sucht als jüngere.
Für mich persönlich spannend: Die Leute sind heute deutlich sensibler, was Datensicherheit im Netz anbelangt. Unbekümmert im Netz bewegt sich keiner mehr. Nur: Persönliche Konsequenzen ziehen die wenigsten, da bei der Abwägung von Sicherheit und persönlichem Nutzen schlussendlich doch Bequemlichkeit und individueller Mehrwert gewinnen. Statt selbst aktiv zu werden, zum Beispiel durch Kündigung von Accounts, weniger persönliche Akkreditierungen, Verschlüsselung der Daten etc., werden Regulative von außen, sprich der Politik, gefordert.
Haben PC und Laptop als Internet-Plattform ausgedient?
Immer wieder beeindruckend für mich: der Gerätepark der deutschen Onliner. 5,4 internetfähige Endgeräte stehen in jedem Haushalt, persönlich nutzt jeder Onliner 2,8 Endgeräte. Für die meisten gibt es nicht mehr das „All-in-one-Gerät“, sondern die Spezialisierung beim Einsatz der Endgeräte schreitet voran: das Smartphone für unterwegs, das Tablet zum Frühstück und auf der Couch vor dem Fernseher sowie Laptop und PC zum ernsthaften Recherchieren und Arbeiten. Die klassischen stationären PCs haben vor allem noch die älteren Nutzer, die Unter-60-Jährigen bevorzugen den Laptop.
Kurz vor dem Start von Netflix in Deutschland – welche Zukunft hat Fernsehen im Netz oder sollte man vielleicht schon sagen das „Internet im Fernsehen“?
Oder beides? Jeff Bewkes, der Chef von Time Warner, führte kürzlich in einem Spiegel-Interview aus, dass es zurzeit keinen Teil des Fernsehgeschäfts gäbe, der nicht wachse: die Zahl der Produktionen und Sender, die Zeit, die Menschen mit Fernsehen verbringen, die Werbegelder. Für Bewkes ist das Fernsehen gerade dabei, das Internet zu übernehmen. Ob nun das Fernsehen tatsächlich das Internet übernimmt, bezweifle ich. Aber das Fernsehen hat auf jeden Fall durch seine professionellen Inhalte und seine vorhandene Infrastruktur gute Chancen, sich in der neuen Medienwelt zu behaupten und Nutznießer der vielen Verbreitungswege und der vielfältigen Präsentationsmöglichkeiten zu sein. Voraussetzung ist, dass es den TV-Anbietern gelingt, ihre Inhalte als crossmediale Marken auf allen relevanten Plattformen zu etablieren. Dann werden sie in der Summe aller Ausspielwege mehr Aufmerksamkeit, mehr Nutzer und mehr Gesprächswert als je zuvor haben.
Ich glaube die Nutzer-Stärke bei Online könnte noch viel stärker und bei Fernsehen schwächer sein, wenn wirkliches Breitband auch breitflächiger verfügbar wäre. Ein großer Teil der Internetanschlüsse ist ja bekanntlich immer noch unter DSL 6000-Niveau. Da macht es natürlich weniger Spaß sich das eigene Programm per Mediathek und VoD zusammen zu stellen, sodass man da eher geneigt ist das klassische TV zur Unterhaltung zu nutzen.
[…] 3. Schon mehrere Jahre besitzen sadfsh und ich kein Fernsehgerät mehr und haben es bisher auch so gut wie nie vermisst, was nicht bedeutet, dass wir keine Serien/Filme/Dokumentationen mehr anschauen. Wir wählen jetzt nur sehr viel bewusster und angepasst an unseren Tagesrhythmus aus. Mit der Zukunft des Fernsehens und des Internets befasst sich auch eine im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten durchgeführte Studie: Die ARD-ZDF-Onlinestudie. Journalist Richard Gutjahr hat die wichtigsten Ergebnisse schön zusammengefasst: ARD/ZDF-Onlinestudie 2014: Ändere sich wer kann! […]