Die SXSW – die South by Southwest in Austin, Texas – seit 1987 Pflicht-Festival der Kreativbranche. Musik, Film und Tech – Bereiche, die dank Internet immer stärker zusammenwachsen. 5 Tage Vorträge, Workshops und Partys. Eine Bilanz.
Yieeha! Für mich ist es die erste SXSW und ich kann sagen, meine nicht gerade bescheidenen Erwartungen wurden weit übertroffen. Soviel positive Energie konzentriert auf einen Ort habe ich selten erlebt. Menschen aller Altersgruppen, Abstammung und Ausbildung aus der ganzen Welt treffen hier aufeinander, pitchen ihre Ideen, diskutieren über aktuelle Trends, lernen und feiern gemeinsam bis tief in die Nacht.
Die Interactive, also der Tech-Schwerpunkt des Festivals, geht heute zu Ende. Im folgenden eine Hand voll Eindrücke, die ich von hier mitnehme und die ich gerne mit Euch teilen möchte.
Die Konferenz, die Messe, die Partys
Die SXSW besteht im Wesentlichen aus drei Bereichen: dem offiziellen Konferenzprogramm mit seinen Vorträgen, Lesungen und Workshops. Im Kongresszentrum gibt es einen Messebereich, in dem u.a. auch einer der beiden einzigen Geldautomaten steht, an dem man Bitcoins kaufen oder sich in US-Dollar auszahlen lassen kann. Die Straßen rund um die Konferenz-Locations sind gesäumt mit Sponsoren-Lounges und Foodtrucks, an denen man sich auf dem Weg zur nächsten Session einen Kaffee oder ein Breakfast-Taco holt. Ab Mittag weht über das gesamte Gelände der Geruch von Bier und BBQ.
Die Angebote rund um das Konferenzzentrum sind so umfangreich, dass man auch ohne Eintritts-Badge genug zu tun hätte, um auf seine Kosten zu kommen. Dazu zählen vor allem die unzähligen Partys, die manchmal in echten Stress ausarten können. An einem Tag habe ich es auf drei unterschiedliche Feiern geschafft, die mal mau, manchmal aber auch richtig großartig ausfallen können. Während die Facebook-Fete am Sonntag eher mal so mittelprächtig war, ging es zum Beispiel auf dem Reeperbahn-Festival im German Haus hoch her. Ob’s am Freibier lag?
Aber man ist ja nicht zum Feiern hier!
(…habe ich das wirklich gerade geschrieben?!)
Lass Dich überraschen!
Widmen wir uns also den Vorträgen. Allein während der 5 Tage der SXSW-Interactive konnte man aus einem Katalog von rund 1000 Sessions auswählen. Der Ratschlag, den man mir als Newbie gegeben hatte, erwies sich als goldrichtig: Such dir zwei Programmpunkte pro Tag aus, die du unbedingt sehen willst – der Rest ist Freestyle. Es kann passieren, dass ein Saal schon voll ist, so dass man spontan zu einer anderen Session ausweichen muss.
Oft sind diese ungeplanten Sessions die viel spannenderen Orte weil man dabei mit Themen konfrontiert wird, mit denen man sich in seiner eigenen Wahrnehmungs-Bubble sonst eher selten beschäftigt. So bin ich beispielsweise in einen Vortrag geraten, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Emoticons und Emojis die Schrift und die weltweite Kommunikation verändern.
Gary Vaynerchuk: Pay forward first!
Den inoffiziellen Auftakt zur SXSW 2014 machte einmal mehr Gary Vaynerchuk mit seinem Vortrag „How to Rock the SXSW“. Vaynerchuk verkörpert wie kaum ein anderer Speaker hier auf dem Festival den American Dream. Als Sohn einer Einwandererfamilie aus Weißrussland arbeitete er sich vom Hilfsarbeiter im Spirituosenladen seines Vaters hoch zum Chef seiner eigenen Social Media Agentur. Gary, heute Millionen schwer, (video-) bloggt, schreibt Bücher und hält Motivations-Vorträge wie hier auch auf der SXSW. Kostprobe: „Hack life!“ – „Don’t be a f*cking Taker! Pay forward first.“ – „Try what you talk about. Stop talking, take action! Go in!“
Apropops Bücher: Kaum eine Session ohne einen Speaker, der nicht zufällig gerade ein Buch veröffentlicht hat und der nicht müde wird, immer wieder auf sein aktuelles Werk hinzuweisen. Kopfkratz-Mode on: Wir reden über gedruckte Bücher, die auch hier auf der Digital-Konferenz verkauft und signiert werden. Signierstunden sind überhaupt der Trend schlechthin; weil sich Kindle & iPad schlecht bekritzeln lassen, fördern Autogrammaktionen den Verkauf der ausgedruckten und gebundenen eBooks auf Papier.
Hier nochmal die 3 Top-Titel der SXSW Interactive (alle nach wenigen Tagen ausverkauft):
Brandon Stanton: Distribute! Distribute! Distribute!
Bleiben wir gleich bei „Humans of New York“. Die Geschichte des Hobby-Fotografen Brandon Stanton ist auch so eine Story nach dem Motto: „Only in America!“. Ein junger Wertpapierhändler verliert unverschuldet seinen Job, zieht durch die USA und knipst eifrig Fotos. Im Automatik-Modus, so richtig gelernt hat er das Fotografieren nie. „Wenn man nur oft genug abdrückt, ist die Chance groß, dass unbeabsichtigt mal was gutes dabei ist“, so Stanton auf der SXSW bescheiden.
Er richtet einen tumblr-Blog ein und nennt ihn „Humans of New York“. Sechs Monate unbeobachtet. Dann nimmt die Seite langsam Fahrt auf. 300.000 Facebook-Freunde und ein Fotoband später steht Stanton nun schon seit 20 Wochen auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Beim Interview mit David Pogue erzählt er seine bewegende Geschichte: „Das Internet hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Werke weltweit zu verbreiten.“ – „Distribute! Distribute! Distribute! Just go and get your name out there!“. Das Geld bedeutet dem 30-Jährigen angeblich wenig, er besäße zwei Jeans und wohne noch immer wie früher in einem winzigen Apartment in Brooklyn zusammen mit einem Kumpel. Faszinierender Typ.
David Pogue: Von der Times zu Yahoo!
Das Tolle an der SXSW ist auch – hier laufen die „Stars“ der Szene zwischen ihren Auftritten wie selbstverständlich auf der Straße herum. Man begegnet ihnen ganz unverhofft beim Bummeln oder beim Schlangestehen im Starbucks. Geduldig geben sie Autogramme (= Selfies) oder unterhalten sich mit ihren Fans.
Disclaimer: Bevor Ihr weiter lest, muss ich offenlegen, dass ich vermutlich Deutschlands größter David-Pogue-Fan bin.
Seine wöchentliche Tech-Kolumne in der New York Times gehörte fast ein Jahrzehnt lang zu meiner Pflichtlektüre. Pogues unnachahmliche Kombination aus Witz und Wissen haben mich seit jeher fasziniert. Seine Tech-Videos – jedes für sich ein kleines Kunstwerk. Hin und wieder lässt er darin seine Broadway-Erfahrung durchblitzen (Pogue wollte ursprünglich Musicals inszenieren). Obwohl wir schon mal via E-Mail Kontakt hatten, bin ich David Pogue auf der SXSW zum ersten Mal persönlich begegnet. Dabei hat er mir auch verraten, weshalb er letztes Jahr die vermutlich beste Zeitung der Welt verlassen hat, um als „Technical Director“ ins Silicon Valley zu Yahoo zu gehen:
Julian Assange: Neue Wikileaks-Enthüllungen
Nach dem NSA-Skandal war Datensicherheit und Überwachung das Top-Thema dieses Jahr auf der SXSW. Und so durfte Julian Assange am Samstag, gewissermaßen als Vorgruppe für Edward Snowden, aus London via Skype seine Weltsicht präsentieren.
Viel Neues gab es dabei nicht zu erfahren, zumal es sehr anstrengend war, Assanges genuschelten und nicht enden wollenden Monologen zu folgen. Erstaunlich: die größte Halle des Festivals war gerappelt voll. Assange genießt unter den Techies nach wie vor große Sympathien.
Assanges Kern-Aussagen: Je tiefer das Internet in unseren Alltag eindringt, desto umfassender die Überwachung der Gesellschaft. Es sei bemerkenswert, dass ausgerechnet jene Journalisten, die vor dieser Entwicklung warnen (u.a. Jacob Applebaum, Laura Poitras, Glenn Greenwald) in Deutschland bzw. Brasilien defacto im Exil leben müssten. Snowden bemerkte auch, dass Deutschland und Brasilien stark genug wären, den US-Behörden Paroli zu bieten.
Ach ja, und dann kündigte er am Ende auch noch neue Enthüllungen an, über die er aber noch nicht sprechen möchte.
Fun-Fact: In einer meiner ungeplanten Ausweich-Sessions hat Matthew Prince von der Firma Cloudflare verraten, dass sein Unternehmen von der SXSW damit beauftragt wurde, die Leitungen für die Assange-Schalte über mehrere Proxi-Server zu verschlüsseln, damit niemand das Signal stören oder unterbrechen könne. Wer mit „niemand“ gemeint war, verriet er nicht.
Edward Snowden und die dunklen Künste
Und dann natürlich unangefochtener Superstar der SXSW 2014: Edward Snowden. Für die Übertragung aus Moskau muss Matthew Prince die Zahl der Proxis nochmal gut verdoppelt haben. Die Bild-Leitung stockte derart, dass man von Snowden nur ruckelige Stillleben zu sehen bekam. Der Ton war jedoch gut genug, dass er über die Boxen im komplett gefüllten Saal gut zu verstehen war. Über Snowdens Auftritt ist ja bereits viel geschrieben worden. Was ich für mich mitgenommen habe: Snowden spricht klar und unaufgeregt. Weniger manipulativ wie Julian Assange nur zwei Tage zuvor. Und doch war auch Snowdens Auftritt gespickt mit rhetorischen Spitzen. Kostprobe: Ein Kampf gegen „die dunklen Künste“, welche dabei wären, die Zukunft des Internets „in Brand zu stecken“.
Snowdens Strategie ist klar: Auch er sucht den Schulterschluss mit der Tech-Gemeinde, will die Unternehmen und damit das große Geld dazu bringen, eine Allianz gegen die Überwacher zu schmieden. In Austin scheint ihm das gelungen zu sein. Immer wieder gibt es Szenenapplaus nach seinen Worten, am Ende sogar Standing Ovations, zumindest in den vordersten Reihen.
Den größten Zuspruch aber erfährt Snowden in Form einer eMail. Die kommt von Tim Berners Lee, dem „Erfinder“ des World Wide Web. Darin bezeichnet er Snowden als einen Menschen, der sich wie kein anderer um das Gemeinwohl verdient gemacht habe.
Wenn Ihr mehr zum Thema NSA und Überwachung wissen wollt, möchte ich Euch einladen, in den kommenden Tagen wieder in meinem Blog vorbei zu schauen.
Soweit heute von mir aus Texas. Farewell und vielleicht bis bald.
Nun stellt sich nur noch die Frage, wie bekommt man es hin, dass so etwas auch in Deutschland mal stattfindet. Die CeBIT ist ja stark wieder zu ihren Wurzeln zurück gekehrt und hat sich wieder stark nur noch auf Handel und Marketing konzentriert. Wo ist also jetzt hier die offene Messe für Techies und Technik-nutzende Kreative und Macher im Web?
Solch eine Veranstaltung in Deutschland würde ich aber auch unterstützen.
Ist bei uns halt noch nicht Mainstream genug. Neuland und so. Seufz.
Fassen wir zusammen, die Rettung der Buchbranche sind signierte Bücher! ;)
Die armen Autoren… denen fallen ja bald die Griffel ab.