Selfies sind mehr als nur eine Modeerscheinung. Sie haben eine lange Tradition und erfüllen darüber hinaus eine wichtige, gesellschaftliche Aufgabe.
Ein Schnappschuss geht um die Welt: 3,3 Millionen. So viele Menschen haben bis dato das Handy-Foto geteilt, das Ellen DeGeneres während ihrer Oscar-Moderation live ins Netz stellte. Binnen 35 Minuten hatte das Bild die 800.000-Retweet-Marke gerissen. Damit hat die Showmasterin den bisherigen Rekordhalter, Barack Obama, auf die Plätze verwiesen.
Selfies, also Bilder, die man mit ausgestrecktem Arm von sich selbst knipst, haben eine lange Tradition. Schon alte Meister wie Rembrandt oder van Gogh schufen erste Selfies, indem sie ihr eigenes Antlitz auf Leinwand bannten und in irgendein Museum hängten. Was blieb ihnen auch anderes übrig, Handykamera und Facebook gab es ja noch nicht.
Das Selfie im Wandel der Zeit
Seinen eigentlichen Durchbruch feierte das Selfie vor wenigen Jahren, als mehr und mehr Menschen damit begannen, ihre Selbstportraits in Sozialen Netzwerken zu teilen. Dabei verfolgt das Selfie nur das eine Ziel, nämlich seinen echten wie auch falschen Freunden zu zeigen, was für ein klasse Typ man doch ist.
Beim Selfie unterscheidet man zwischen zwei Arten: Gruppe 1 ist das ortsgebundene Selfie, also Fotos, die den Selfisten in einer möglichst exklusiven Situation oder vor exotischer Kulisse zeigen – etwa vor dem Eiffelturm, auf der Zugspitze oder nackig reitend auf einem Einhorn.
Bei der anderen Gattung Selfie handelt es sich um Partner- oder Gruppenfotos, die Personen-gebunden sind und dem Betrachter signalisieren, wie beliebt der Selfie-Macher doch ist. Partyfotos etwa erfüllen diesen Zweck oder Bilder an der Seite eines Filmstars oder inmitten eines Knäuls von Hundewelpen.
Auch Wahlplakate sind nichts anderes, als getarnte Selfies, wobei hier ein professioneller Fotograf zum Einsatz kommt, der dem Selfisten als verlängerter Arm dient (auch: Strangies). In vielen Fällen wird das Ergebnis später noch am Computer nachbearbeitet, von einem Retusche-Künstler, oder auch – in besonders schweren Fällen – von einem Restaurator (Lifties).
Was völlig okay ist, denn ein Selfie bildet nie die Realität ab, sondern die Art und Weise, wie ein Selfist von Anderen gerne gesehen werden möchte. So gesehen sind Selfies eine überaus ehrliche Angelegenheit: eine Momentaufnahme unserer Seele.
Jetzt war ich gerade angezogen von dem Versprechen, etwas über die „wichtige, gesellschaftliche Aufgabe“ zu erfahren … und dann … leider nichts. Oder habe ich es nucht verstanden?
Die Tradition ist zwar lang – vom eingeschmuggelten Selbstproträt in der frühen Malerei über die ersten echten Selbstproträts bis zur Erfindung des Selbstauslösers Ende des vorigen Jahrhunderts (Rembrandt ist der wichtigste Ahnherr – er hat sich fast 50 mal in Öl gemalt, außerdem in Radierungen und wer weiß wie oft gezeichnet). Alles das waren aber Prüfbilder wie beim Blick in den Spiegel und beruhten vor allem auf dem Motiv der Selbstbefragung: „Wer bin ich eigentlich?“
Bei dem, was man jetzt Selfie nennt, ist das komplett andersherum. Zwar spürt man noch hier und da diesen kritischen Frageblick in den Spiegel, aber eigentlich geht es um Mitteilungen ohne Text. Wenn man so will, ersetzen Selfies schreiben und erzählen – Foto-Sprache in der 1. Person. Und das liegt einfach in der technischen Logik des Smartphones.
Die „gesellschaftliche Bedeutung“ ist mir aber immer noch ziemlich schleierhaft ;) Soziologisch ist immerhin das Dokumentarische interessant. Wir sehen wie andere Menschen leben, wie andere Menschen aussehen etc. Das ist bekanntlich für Menschen das Interessanteste überhaupt („Was tun die anderen? Wie verhalten sie sich? Was denken sie?“) – leider auch das, woran sie sich am liebsten orientieren. Wir neigen ja nach unzähligen Studien ohnehin dazu, einander ständig nachzuäffen. Selfies würde dann „gesellschaftlich“ als Verstärker allermöglichen Moden und Hypes wirken.
Bei der psychischen Bedeutung kann man auch nur spekulieren. Da passiert unglaublich viel mit uns. Wer einmal mit den Selfies anfängt, wird in Vanitas-Spiralen hineingezogen – wer Pech hat bzw. sowieso gefährdet ist, geht darin unter. Wirklich souveränen Umgang mit den Selfies haben die Promis. Endlich kriegen wir nicht mehr nur die Fotos von den Paparazzi, sondern die Promis werden zu Paparazzi ihrer selbst, was dann ja wirklich lustig ist. Ich folge z.B. dem Twitter Account vcon Ron Wood – und das ist neben dem Spaß tatsächlich auch soziologisch interessant. Für Schriuftsteller zeitgenössischer Romane unendliche Stoff-, Inspirations- und Detailreserven.
Ironiedetektor in der Werkstatt? ;)
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