Netzsperren, Netzneutralität, Vorratsdaten. Die Schlacht um das Internet hat gerade erst begonnen.. Mit SOPA und PIPA versuchen die alten Mächte in den USA, ihre Pfründe zu sichern …und riskieren dabei unabsehbare Kollateralschäden..
Am Mittwoch waren die englischsprachigen Seiten von Wikipedia für zwölf Stunden nicht erreichbar. Auch Google, Facebook, unzählige Blogs und Web-Services haben sich an der Aktion beteiligt, protestierten auf ihren Seiten gegen zwei Gesetzesvorlagen, die zur Zeit in den USA ausgehandelt werden. Mit dem Stop Online Privacy Act (SOPA) und dem Protect IP Act (PIPA) versuchen Plattenbosse und Hollywood-Studios, Raubkopierer zu bekämpfen, Tauschbörsen abschalten zu lassen, sogar Seiten, die auch nur auf entsprechende Angebote im Web hinweisen. Ein noch nie dagewesener Angriff auf das freie Internet (gut erklärt von Markus Beckedahl bei. Netzpolitik.org).
Hollywood vs. Silicon Valley vs. Washington – was hier geschieht ist bemerkenswert. Das Netz rüttelt an den Grundfesten unserer Gesellschaft. E-Mail, Blogs und Wikis haben die Welt verändert. Mit jedem verkauften Smartphone, jedem neuen Mitglied bei Facebook oder Twitter verschieben sich die Machtverhältnisse. Schleichend, aber in der Summe dramatisch (fragen Sie mal Husni Mubarak oder auch nur Karl-Theodor zu Guttenplag). Neben Politik und Kapital hat sich eine neue, souveräne Öffentlichkeit formiert.
Spätestens beim Geld hört der Spaß auf. Nicht die großen Konzerne und Medien-Tycoone haben bislang im Netz Milliarden gemacht, sondern umtriebige College-Abbrecher wie Bill Gates, Steve Jobs oder Mark Zuckerberg. Mit SOPA und PIPA versuchen die alten Mächte, ihre Pfründe zu verteidigen. Ein Eingriff in die dezentralen Strukturen des Webs, der immense Kollateralschäden mit sich bringen kann. Gibt man den Bossen und Machthabern erst einmal das Werkzeug an die Hand, unliebsame Inhalte aus dem Web löschen zu lassen (bzw.Bürgerdaten kollektiv zu speichern und auszuwerten – s.a. Netzpolitik.org), werden sie von dieser Waffe auch Gebrauch machen. Nicht immer nur – so ist zu befürchten – zum Wohle der Menschheit.
Die größten Umbrüche geschehen nicht über Nacht. Sie geschehen etappenweise. Für gewöhnlich verlaufen diese stets nach demselben Muster: Ein neuer Player taucht auf am Horizont. Man ignoriert ihn. Man belächelt ihn. Man bekämpft ihn. Man resigniert. Man arrangiert sich – aber so weit sind wir noch nicht. Das Netz wird schon lange nicht mehr ignoriert und aus dem anfänglichen Lächeln auf den Gesichtern der Mächtigen ist eine hässliche Fratze geworden. Der Kampf um das freie Internet hat gerade erst begonnen. Wenn wir nicht aufpassen, werden unsere Bildschirme irgendwann schwarz sein, dann aber nicht nur für einen Tag.
Oder sehe ich das zu schwarz?
Nein, ich denke nicht, dass das zu schwarz gesehen ist. Es kommt da eine Zensur auf uns zu, welche derzeit noch z.B. bei den Chinesen verteufelt wird. Dabei ist uns gar nicht bewusst, wie viel wir jetzt schon überwacht werden. Bei uns geschieht das nur nicht so offensichtlich.
Warum greifen die „Großen“ die Freiheit des Internet überhaupt an? Für mich ist die Sache klar: weil sie etwas zu verbergen haben. Es geht nicht nur um Raubkopien von irgendwas, es geht um viel mehr. Die „Großen“ haben so viel Dreck am Stecken, dass ihnen inzwischen bewusst geworden ist, dass sie nicht mehr sicher sind, wenn das Internet relativ frei bleibt. Wikileaks und Co. haben da sozusagen schlafende Hunde geweckt. Es wurde schon vor Monaten (eigentlich sogar Jahren) eine Kettenreaktion in Gang gebracht, deren derzeitige Konsequenz SOPA und PIPA sind. Aufhalten lässt es sich nicht mehr, es ist nur nicht sicher, welchen Weg diese Kettenreaktion weiter nehmen wird.
@Petra K – Danke für Dein Feedback. Auch wenn ich das in meinem Text überzeichnet habe, denke ich nicht, dass es „den Bösen“ oder die „Mächtigen“ gibt, schon gar nicht irgendeinen „Masterplan“. Die Gesellschaft verändert sich, und diejenigen, die von der alten Ordnung profitiert haben (diese auch zum Teil mit aufgebaut haben), wollen es dabei belassen. Das ist nur verständlich und per se nicht böse. Man sollte sich aber über die Motive dieser Kräfte im Klaren sein, damit man für sich selbst eine Entscheidung treffen kann – an der Wahlurne – oder besser noch: im tgl. Austausch mit seinem persönlichen „Publikum“ bei Twitter, Facebook oder in Blogs.
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