Wie steht es um die Netzpolitik in Deutschland? Der Mobilfunkanbieter BASE hat den parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier und mich zum UDL DigitalTalk Unter den Linden eingeladen. Ein paar Gedanken, die ich mir auf der Heimreise dazu gemacht habe. UPDATE: jetzt mit Video (s.u.)
Foto: Manuel Höferlin
Lange Zeit besaß die Netzpolitik unter der Reichstagskuppel einen Stellenwert wie einst das Ressort Frauen und Gedöns unter Kanzler Schröder. Das ist heute anders. Nicht nur, dass der Regierungssprecher twittert, jeder zweite Bundestagsabgeordnete besitzt ein iPad, Politiker posen und posten bei Facebook um die Wette. Wenn dann auch noch einer wie Peter Altmaier, erster parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, sich seit kurzem an die Netz-Gemeinde ranschmeißt, weiß man, was die aktuelle Stunde geschlagen hat: Das Internet ist in Berlin Mitte angekommen.
Ob Stuttgart oder Tahrir: Die Politik hat erkannt, dass man sich in Zeiten der Echtzeit-Kommunikation dem Wut/Mut-Bürger nicht länger entziehen kann, sondern dass man sich diesen Leuten irgendwie stellen muss. Im Netz genießen die etablierten Parteien einen noch schlechteren Ruf als ohnehin schon. Das Misstrauen ist groß, sogar gegenüber den einstigen Rebellen, den Grünen. Der Preis, den man zahlen muss, wenn man auf dem Weg zur Macht zu oft die eigenen Ideale verrät? Auch Peter Altmaier hat im Bundestag für Netzsperren, Bundestrojaner und die Vorratsdatenspeicherung gestimmt. Und das obwohl er die Freiheit des Netzes selbst so prima findet?
„Fraktionszwang“ bezeichnen die Abgeordneten diesen Gruppendruck bei der Abstimmung. Eine von vielen Fragen, die ich aufgrund meiner Aufgekratztheit an dem Abend leider nicht gestellt habe: Wer, wenn nicht die Fraktionsspitze, hat wohl Einfluss auf den Fraktionszwang?
Eine andere beliebte Erklärung, die ich vor allem im Zusammenhang mit Themen wie der Vorratsdatenspeicherung und dem Bundestrojaner immer wieder höre: „Ich habe über das Thema zu wenig gewusst“. Internet-Kompetenz sei im Parlament nämlich gar nicht so entscheidend, lerne ich. Viel mehr gelte in den Fraktionen die Devise: „Stimmst Du für mein Gesetz, dann stimme ich auch für Deins.“ Umgekehrt werden Ideen, die man zwar für richtig hält, abgelehnt, wenn sie vom politischen Gegner stammen (manchmal sogar vom eigenen Koalitionspartner). Angesichts solcher Polit-Pirouetten, wen überrascht es, wenn die Piraten-Partei in Umfragen bundesweit bei 10 Prozent liegt?
Netzpolitik, da geht es nicht etwa um das Internet, nicht um Smartphones oder um Computer. Es geht um Menschen und ihre Meinungen, um Transparenz und um mehr Teilhabe. Ein Konzept, mit dem sich so manch ein Machtpolitiker in Berlin noch schwer tut. Immerhin, so zumindest mein erster, flüchtiger Eindruck: Die analoge Mauer beginnt zu bröckeln.
Du, lieber Richard, hast bei der Diskussion leider viel zu oft ziemlich alt ausgesehen. Genau das, was wir den Politikern immer vorwerfen, sie würden Fragen ausweichen und oberflächlich antworten, hast Du hier verkörpert. Ich habe wirklich keinerlei Sympathien mit der CDU, aber der Altmaier öffnet sich und das in halbwegs ehrlicher Art und Weise, er gibt den einen oder anderen Fehler zu – er ist lernbereit. Und das im Gegensatz zur immer mehr klugscheißernden Netzpolitik-Szene, leider, leider… Ich habe ehrlich gesagt anderes erwartet!
@Telegeist – Um ehrlich zu sein, ich hatte auch mehr von mir erwartet. Lass es mich so sagen: war ein Scheißtag. Gruß Richard
Danke für Deine Ehrlichkeit, trotzdem stehst Du offensichtlich – das zeigt der obige Text – noch vielen kritisch gegenüber, soweit so gut. Man muß Altmaier und Andere nicht für Ihre aktuellen Bekenntnis, Öffnungen etc. gegenüber netzpolitischen Themen loben. Trotzdem: Vor dem Hintergrund Deiner Performance und der von mir angesprochenen zunehmenden Klugscheißerei, aber auch vereinzelter Arroganz der bekannten netzpolitischen Akteure, wirkt der Text ein wenig wie ein beleidigtes Nachtreten (siehe „posen“, „mauern“, „ranschmeißt“, …) Damit zeigen wir uns auch nicht sonderlich tolerant…
@Telegeist – du hast sicher recht, was das Nachtreten betrifft. Da sollten wir (ich) eigentlich schon weiter sein. Jedoch darf man nicht ganz außer Acht lassen, dass Politiker wie Altmaier Schuld daran sind, dass in den letzten zehn Jahren ein Raubbau an Bürgerrechten stattgefunden hat, wie das die Bundesrepublik noch nie zuvor erlebt hat. Oder wie es Konstantin von Notz so schön formuliert hat: Ein bisschen zwitschern macht noch keinen Frühling.