Diesen Text dürft Ihr erst ab 23 Uhr lesen. Der Grund: in diesem Text kommen die Worte „Sex“ und „Shit“ vor, und das könnte dann ja auch unsere Jugend verderben. Wie, Ihr findet das bescheuert? Tja, so ist die deutsche Politik, ganz besonders, wenn es um das Thema Internet geht.
„Wir sind weiterhin gegen den #JMStV, die Fraktion hat sich aufgrund parlamentarischer Zwänge anders entschlossen“ – dieser Tweet löste in der Blogosphäre einen Shitstorm aus. Ob Facebook oder Twitter – auf allen Kanälen machte die Netzgemeinde Front gegen die Grünen, viel mehr gegen Abgeordnete, die sich mehr um ihre Macht scheren, als um den eigenen Verstand.
Der 1.1.2011: der neue Jugendschutz tritt in Kraft
Was bisher geschah: Als eines der letzten Länderparlamente hat der Düsseldorfer Landtag über den JMStV abgestimmt, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag (tja-ha, liebe Scrabble-Freunde, das sind 31 Buchstaben!). Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass auch Blogger jetzt Texte, Bilder und Videos, die sie ins Internet stellen, mit einer Altersfreigabe ausweisen müssen, so wie man das von Alkohol, Sex-Spielzeug oder Schusswaffen kennt.
Sendezeiten für’s Internet
Damit nicht genug: Webinhalte, die „geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“, müssen gar mit einer digitalen Zeitschaltuhr versehen werden und dürfen erst nach 23 Uhr frei zugänglich sein. Bei Zuwiderhandlung drohen Bußgelder von bis zu 500.000 Euro.
Obwohl sich die Grünen auf einem Parteitag ausdrücklich gegen dieses web- und weltfremde Gesetz ausgesprochen haben, stimmte die Fraktion im Parlament dann dafür – aus einer Verpflichtung heraus gegenüber der SPD.
Wann immer es um das Internet geht, laufen die Parteien mit ihren Gesetzen Amok: Da fordert die Regierung eben noch, man müsse mehr Handys und Computer anzapfen, wegen der Terrorgefahr (Die Zahl der abgehörten Telefonate in Deutschland ist geg. dem Vorjahr um weitere 25% gestiegen – die meisten Fälle betreffen übrigens. Drogen, Betrug und Steuerhinterziehung). Eine Woche später heißt es: wir brauchen besseren Datenschutz wegen WikiLeaks. Da werden Stoppschilder gegen Kinderpornos eingeführt. Dann, als man feststellt, dass das Gesetz Grütze ist, will es plötzlich keiner mehr gewesen sein. Jetzt also sollen deutsche Webseiten mit Altersfreigaben versehen werden. Bringen tut das natürlich nix. Aber darum geht es ja gar nicht. Hauptsache, es gibt ein neues Gesetz.
Deutschland ein digitales Entwicklungsland
Noch können wir uns diesen Regulierungswahnsinn leisten, denn die deutsche Wirtschaft brummt. Doch machen wir uns nichts vor: Unser Wohlstand stammt aus einer zu Ende gehenden Epoche, dem Industriezeitalter. In der digitalen Welt von morgen ist Deutschland Entwicklungsland.
Der Präsident des Hightech-Branchenverbandes Bitkom mahnte kürzlich, die Politik solle endlich aufhören, permanent vor den Risiken des Internet zu warnen und stattdessen ein kreatives Klima schaffen. Kreativ werden unsere Volksvertreter aber allenfalls dann, wenn es um neue Verbote geht. Auf ein Google oder Facebook made in Germany können wir lange warten. Denn wir Deutsche können offenbar alles – außer Internet.
Hinweis: Dieser Text ist freigegeben ab 16 Jahren.
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Ähh bin ich jetzt auf dem völlig falschen Dampfer? Du schreibst, im NRW Landtag wurde bereits über den JMStV abgestimmt?
Ich dachte die grüne Fraktion hätte am Montag beschlossen, dass über das Thema noch mal mit der SPD geredet werden muss und die SPD hat das Thema auf Grund von Klärungsbedarf auf nächste Woche verschoben hat. So melden es auch Pottblog (http://bit.ly/hIXobz) und Netzpolitik (http://bit.ly/fGe6D0) am 30.11.
Kann es sein, dass du am 3.12. noch auf dem Stand von Sonntag gegen Rot-Grün schießt, ohne weiter recherchiert zu haben? Oder habe ich in den letzten Tagen den Landtagsbeschluss einfach verpasst?
@Tiim Koch Missverständlich geschrieben. Der Text schließt mit dem ganzen Jahr bundesdeutscher Netzpolitik ab und ist eine Art „Jahresrückblick“. Die Formulierung „was bisher geschah“ sollte das deutlich machen. Ich füge eine extra-Zeile ein, um das klarer zu machen. Danke.