Google Streetview ist da – na und? Angst macht mir eine andere Entwicklung: in Deutschland werden mittlerweile mehr Telefone abgehört als in den USA. Das Problem: anders als bei Google können wir uns dem Staat nicht entziehen.
Neulich hatte ich Streit mit meinen Kollegen in der Kantine. Sie müssen wissen, ich arbeite beim Fernsehen, einem Medium, das davon lebt, dass wir meist ungefragt Häuser, Passanten und königliche Hochzeiten filmen. Nirgendwo hagelt es mehr Proteste gegen Google Streetview als in meinem Kollegenkreis: Unverschämtheit! Wo kommen wir denn da hin! Wenn das jeder so machen würde! Danach sind wir alle wieder an die Arbeit gegangen. Haben Häuser, Passanten und Hochzeiten gefilmt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: ich bin für die Selbstbestimmung von Daten und für einen besseren Persönlichkeitsschutz. Aber doch bitte dort, wo er hingehört und nicht an Orten, die ohnehin für alle offen sichtbar sind. Wir regen uns auf, wenn Google unsere Hausfassade fotografiert. Foto! Hal-lo! Keine 24/7 Webcam! Wir schweigen aber, wenn der Staat millionenfach Telefonate abhört, E-Mails abfängt oder Webseiten speichert, die wir besuchen.
In Deutschland werden heute mehr Telefone angezapft als in den USA. Die Anzahl der abgehörten Telefonate in Bayern ist allein im letzten Jahr um 30 Prozent gestiegen – 30 Prozent! Begründet werden solche Maßnahmen, wie erst jüngst wieder, mit einer mehr oder weniger akuten Terrorgefahr. Dabei hat der Großteil der später tatsächlich durchgeführten Abhörmaßnahmen nullkommanull mit Terrorismus zu tun, wie die Behörden übrigens auch selbst einräumen.
Vor einigen Wochen habe ich unsere Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner auf der Straße getroffen (Sie wissen schon, das ist die, die neulich in einer Quizshow vor einem Millionenpublikum mit Anlauf in ein Planschbecken gesprungen ist). Ich habe ihr ein paar Fragen zu Google Streetview gestellt. Die Ministerin zeichnete ein düsteres Bild von bösen Internet-Konzernen, die unsere Daten missbrauchen. Gerade wir Deutsche mit unserer Geschichte seien da ja besonders misstrauisch, so die Ministerin.
Aber war es nicht der Staat, der mit seiner Schnüffelei uns Deutschen stets zum Verhängnis wurde? Zur Erinnerung: Die bereits laufende Vorratsdatenspeicherung musste im Nachhinein vom Bundesverfassungsgericht gestoppt werden. Netzsperren, die Ausspionierung von Privat-PCs, Vorratsdatenspeicherung, alles Gesetze, die von unserer obersten Datenschützerin, Ilse Aigner, im Bundestag befürwortet wurden. Aber bei Facebook austreten und das eigene Haus verpixeln lassen! Ob Ilse Aigner bei sich zuhause wohl einen Gartenzwerg hat? Wenn ja, ich würde ihn gerne mal filmen.
Unbedingt lesen: Heribert Prantl in der NZZ über die schleichende Aushöhlung der Bürgerrechte „Der Terrorist als Gesetzgeber“ (von 2007)
Meine Print-Kolumne findet Ihr jeden Freitag im Kultur- und Medienteil der Münchner Abendzeitung.
Kommt schon, wer traut sich eine Webcam auf Ilse’s Haus zu richten und online zu stellen?! ;-)
@Nino
Wenn du mir sagst wo das Haus steht…
@Nino @Jens … mache ich mich strafbar, wenn ich hier Minister-Adressen poste?