Erst das Internet verpennen und dann die Öffentlich-Rechtlichen prügeln – wegen einer Tagesschau-App? Wirklich? Ein Blogpost für alle Verleger, die aus dem zu Ende gehenden Jahrzehnt offenbar nichts gelernt haben.
Liebe Verleger,
ich finde, nun ist’s auch langsam mal wieder gut. Nachdem Ihr über eine Dekade damit vertan habt, das Internet zu bekämpfen, solltet Ihr endlich begreifen: egal wie viel politischen Druck Ihr ausübt – die Welt dreht sich nicht mehr nach Euren Druckmaschinen. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, nicht durch Lobby-Arbeit in Berlin, nicht durch teure Anwälte in Brüssel, nicht mal durch die Bild-Zeitung auf der Straße.
Ich gratuliere den Kollegen von der Tagesschau und bin stolz, dass man dort der Entwicklung nicht hinterherläuft, sondern an neuen Wegen arbeitet, wie man dem Gebührenzahler das gibt, wofür er ja schließlich auch bezahlt: seriöse Berichterstattung – immer mehr auch jenseits der Stechuhr. Wie oft wurde den Öffentlich-Rechtlichen vorgeworfen, nicht zeitgemäß zu sein oder mit seinen Programmen nur noch Rentner zu bedienen?
Auch Menschen, die arbeiten, die pendeln müssen und nicht pünktlich um 20 Uhr zuhause vor dem Fernseher sitzen können (oder wollen), haben ein Recht auf seriöse, öffentlich-rechtliche Nachrichten. Sie haben ein Recht darauf – denn sie haben dafür bereits gezahlt. Dass die Sender ihre teuren Produktionen sieben Tage nach Ausstrahlung aus dem Internet nehmen und vor ihrem Publikum wieder verstecken müssen, ist absurd genug.
Über Sinn und Zweck von Gebührengeldern lässt sich streiten. Diese Debatte wurde ja auch schon gelegentlich geführt. Nur soviel: Wenn man prinzipiell der Meinung ist, Ja, wir wollen ein öffentlich-rechtliches Programmangebot, dann sollte man denjenigen, die das am Ende dann bezahlen müssen, auch die Freiheit lassen, auf ihre Inhalte zugreifen zu können – und zwar wann immer und wo immer sie das wollen.
Wenn ein ARD-Korrespondent in Iran oder in Afghanistan seinen Kopf riskiert, um für die Tagesschau zu berichten, dann darf es doch nicht darum gehen, auf welchem Endgerät der Zuschauer dessen Beitrag empfängt. Am Ende geht es doch immer um die Nachricht – nicht um den Verbreitungsweg. Sogar die Demonstranten in Teheran nutzen inzwischen Video-Handys, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Den Mullahs passt diese neue Technik offenbar genauso wenig wie hierzulande einigen Verlegern.
Geht doch: friedliche Koexistenz auf dem iPhone
Ich selbst bin Mitarbeiter bei einem öffentlich-rechtlichen Sender. Freier Mitarbeiter wohlgemerkt, will sagen: wie viele meiner freien Kolleginnen und Kollegen kann ich jeden Tag meinen Job verlieren, nämlich dann, wenn Sendungen gestrichen werden. Auch das habe ich schon hinter mir.
Ihr, liebe Verleger, erweist gerade uns jüngeren Journalisten – öffentlich-rechtlich oder privat – einen Bärendienst. Statt Arbeitplätze mit Zukunft zu schaffen, beisst Ihr Euch an überholten Geschäftsmodellen fest. Glaubt Ihr im Ernst, ohne die Öffentlich-Rechtlichen wäre das anders? Dazu müsstet Ihr schon Google, ach was, das ganze Internet verbieten. Guten Flug.
Ob Journalisten, Verleger oder Senderchefs, wir Medienleute stehen am Anfang einer neuen, großartigen Epoche: freier Zugang zu ungefilterten Informationen – welch einzigartige Chance, gerade für die Verlage! Ironischerweise sind es oft einfache College-Bengels, die jene Lügen strafen, von wegen, mit Informationen im Internet könne man kein Geld verdienen. Google, Facebook oder Twitter funktionieren weltweit, völlig egal, ob es in einem Land gebührenfinanzierte Medien gibt oder nicht.
Macht endlich Schluss mit dieser verlogenen Debatte um Meinungsvielfalt und Arbeitsplätze und sagt uns, worum es Euch in Wahrheit geht: um Eure liebgewonnen Gewinnmargen!
Die Zeitungs-Lizenz, einst erteilt von den Alliierten, war für die Verleger über Jahrzehnte hinweg eine Lizenz zum Geld drucken; seit Kriegsende kaum ein Jahr ohne ein neues Rekordergebnis. Welche Branche kann das schon für sich beanspruchen?
Das Spiel hat sich geändert, doch Ihr spielt noch immer nach den alten Regeln: Ihr beklagt Verluste, droht mit Arbeitsplatzabbau. Dabei machen diejenigen, die am lautesten schreien, immer noch Gewinn! Nicht mehr soviel wie einst, das mag man bedauern. Allerdings werdet auch Ihr Euch bald wieder berappeln, nämlich dann, wenn Ihr endlich wieder Angebote macht und Plattformen anbietet, für die/über die wir auch gerne zahlen (Musikindustrie-iTunes, Versandhandel-Amazon…).
Keine andere Branche hatte es so leicht, seine Produkte auf das neue Zeitalter auszurichten. Keine andere Branche hätte das Internet inniger umarmen und neue Technologien schneller vorantreiben müssen, wie die Print-Industrie: millionenfache Produktauslieferung in Sekundenschnelle, weltweit, per Mausklick. Probier das mal mit anderen Gütern, wie zum Beispiel mit einem Auto.
Schnell seid Ihr dabei, wenn es darum geht, einen Schuldigen für Eure Probleme zu benennen: Google, das Internet, die Öffentlich-Rechtlichen.
Ich lese gerne Zeitung; auf Papier, im Internet und auf dem iPhone. Und ja, ich würde Euch für hochwertige, sauber recherchierte Texte im Internet auch etwas zahlen, wenn Ihr es mir nicht stets so schwer gemacht hättet, das zu tun (Hallo Frankfurter Allgemeine: Zwei Euro für die Nutzung eines einzigen Artikels für eine Dauer von 24 Stunden? – Bravo!).
Euer Feind ist nicht irgendein angekündigtes Killer-App, nicht die Tagesschau, nicht ARD oder ZDF. Euer Feind seid Ihr selbst.
Tut uns 2010 doch bitte einen Gefallen: Hört endlich auf zu jammern. Überrascht uns lieber mit tollen Angeboten. Es wird Zeit.
Guter Text. Aber warum sagt dann der BR gegenüber BILD: „Wir haben und planen derzeit kein solches Angebot“? Fällt der Sender damit nicht der „Tagesschau“ in den Rücken? Und wären die Zulieferungen des BR zur „Tagesschau“ nicht auch Teil der „Tagesschau“-App?
Deinem Blogpost ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es ist wirklich höchste Zeit, dass sich die Print-Verleger mal beim eigenen Schopf packen (und nicht die Schuld bei anderen Leuten suchen) und aufhören, um sich zu schlagen, um ihre verstaubten, aber auf modern getrimmten Geschäftsmodelle zu verteidigen. Wünschenswert wäre auch mehr Risikobereitschaft für neue, auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnliche Ideen und Wege. Denn nur so können Innovationen geschaffen werden. Das nötige Kleingeld dürfte jedenfalls vorhanden sein.
Das Dichtmachen der Netzeitung halte ich in diesem Zusammenhang für einen Schritt in die falsche Richtung.