Woran liegt es, dass die meisten Web-Innovationen aus Kalifornien stammen? Dass Deutsche, die Erfolg haben wollen, erst in die USA gehen müssen? Nach unserer Tour durch das Silicon Valley glaube ich, eine Antwort gefunden zu haben. …und ganz nebenbei habe ich etwas entdeckt, das größer und mächtiger ist, als Google, Facebook und Twitter zusammen.
TV-Tipp: Goldrausch 2.0 – Ein Münchner im Silicon Valley, Montag, 23. November 2009, 13:30 Uhr auf PHOENIX
Selten habe ich an einem Blogeintrag so lange gesessen. Das liegt vor allem an den vielen Eindrücken, die ich in diesen 7 Tagen im Silicon Valley gewonnen habe. Die eigentliche Erkenntnis allerdings, neben den tollen Menschen und den vielen Orten, die wir kennengelernt haben, kam erst später. Nachdem unser Film fertig gedreht und geschnitten ist, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Gedanken aufzuschreiben.
Von der Idee auf den Schirm
Als Marcus Schuler und ich zum ersten Mal über dieses Projekt sprachen, hätte keiner von uns gedacht, dass wir es wirklich umsetzen könnten. Internet-Themen sind im Fernsehen eine knifflige Angelegenheit. Unser Publikum ist im Schnitt jenseits der 60, in den Redaktionen fürchtet man deshalb schlechte Quoten, die solche Themen mit sich bringen.
Zum Anderen war es schwierig, an die Protagonisten heranzukommen. Anders als bei Siemens oder bei der Münchner Rück ist es bei erfolgreichen Web-Unternehmen und Bloggern nicht immer selbst verständlich, dass man auf eine Interview-Anfrage eine Antwort bekommt (geschweige denn, dass diese überhaupt gelesen wird).
Dass wir überhaupt in die Lage kamen, unsere noch recht vage Projekt-Idee tatsächlich in die Tat umzusetzen, haben wir vor allem zwei Personen zu verdanken: Conrad Tribble, dem neuen US Generalkonsul in München, dessen Team uns bei all unseren Fragen und Problemen unbürokratisch unterstützt hat.
Und:. Marcus Schuler selbst, der nicht nur durch seine grandiose Kamera-Arbeit unseren Berichten einen ganz besonderen Look verpasste (Full HD!). Marcus überraschte immer wieder durch seine außergewöhlichen Kontakte, die er in die Web-Szene unterhält, mit immer neuen Interviewpartnern und Locations. Journalist, Radio-, Film- und Web-Experte in einer Person.
Michael Reuter – Unternehmer der Zukunft
Michael Reuter, YiGG-Gründer und Protagonist unserer „Vor Ort“-Reportage ist für mich ein Phänomen. Nicht nur, dass er ein umtriebiger Unternehmer ist (Seine erste Firma gründete er noch als Student in. Bayreuth, ließ sich auch durch die New-Economy-Blase nicht ins Boxhorn jagen). Auf unserer Reise habe ich ihn auch als außergewöhnlich kreativen und humorvollen Menschen kennengelernt, der nicht nur gut zuhören kann, sondern der aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung auch über ungeheuer viel Wissen verfügt, das er auch gerne mit anderen Menschen teilt (vorzugsweise früh morgens beim gemeinsamen Laufen zur Fishermans Wharf).
Vom morgendlichen Joggen mal abgesehen blieb nicht viel Zeit für Privates. Unser Drehplan war hart und endete meist nicht vor 22 Uhr. Nicht genug, dass wir drei verschiedenen Redaktionen versprochen hatten, Reportagen und Magazinbeiträge zu liefern. Wir hatten auch den Ehrgeiz, am Rande des Web2.0-Summits die Stars der Branche abzugreifen, um unsere Interviews für jedermann bei YouTube zugänglich zu machen. Wann hat man schon die Gelegenheit, mit Evan Williams, dem Erfinder von Twitter, zu sprechen?
Meet: The Scobelizer
Einen der beeindruckendsten Gesprächspartner haben wir in der Half Moon Bay getroffen, knapp 50 Kilometer südwestlich von San Francisco. Sein Büro hat er direkt unterm Dach: ganz oben in einem schmucken Haus, in Fußweite zum Pazifischen Ozean.
Robert Scoble sitzt vor seinem hochkant gestellten Apple-Monitor und twittert als wir in sein Dach-Büro kommen. Daneben ein Notebook und sein Fotoapparat, den er als Videokamera benutzt. . Er erklärt uns seine Welt des Internets, immer wieder zeigt er während des Gesprächs auf eine große Magnet-Tafel. Auf dieser hat er die wichtigsten Themen festgehalten.
Der 44jährige ist schon fast ein Urgestein des Webs. Mit seinem Blog, seinen Video-Interviews ist er eine feste Größe im Valley. Robert ist ein „Geek“ – einer der sich für Technik, Web, Vernetzung interessiert, der oft schon ein paar Tage oder Wochen früher weiß, wohin die Reise geht, welche Trends oder Ideen sich durchsetzen werden, welches Unternehmen künftig schnell wachsen wird oder welches bald dicht macht.
Dabei hat der in New Jersey geborene Journalist einen anderen Weg gewählt, als Michael Arrington, der mit seinem Blog „Teccrunch“. mittlerweile. unter die Verleger gegangen ist. Scoble hat sich festanstellen lassen, anstatt als freier Unternehmer oder Herausgeber zu arbeiten. Teamarbeit liegt ihm nicht so sehr, sagt Scoble. Außerdem habe er eine Familie zu ernähren und ein Haus abzuzahlen, da sei ihm eine Festanstellung lieber. Nach Stationen bei Microsoft und Fast Video arbeitet er jetzt für ein Web-Hosting-Unternehmern, das ihm freie Hand lässt.
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Besuch der Elite-Schmiede Stanford: Die Luft der Freiheit weht
Bei unseren Dreharbeiten an der Stanford University stolperten wir über ein interessantes Detail: im offiziellen Emblem der Elite-Schule steht der Satz: „Die Luft der Freiheit weht“. Nicht etwa auf lateinisch – sondern auf deutsch. Der Spruch geht (laut Wikipedia) auf den deutschen HumanistenUlrich von Hutten (1488–1523) zurück.
Die Frage, die wir unseren Gesprächspartnern immer wieder stellen: welchen Ruf genießen Deutsche im Silicon Valley?Welche Bedeutung haben wir überhaupt noch für die großen Player?
Am meisten hängen geblieben ist mir dabei die Antwort von Tim O’Reilly. Der Erfinder des Begriffs „Web 2.0“ sagt, er unterscheide nicht (mehr) in Nationalitäten. Wer Erfolg haben möchte, müsse lernen, global zu denken. Das gilt für kleine wie für große Unternehmen, für deutsche, wie für amerikanische.
„The fucking most innovative company in the world“
Eine herbe Enttäuschung war die Firma Google. Dazu muss ich vorausschicken, dass weder Marcus noch ich bis dato Probleme mit Google hatten. Im Gegenteil: Wir waren stets neugierig, was Google wohl als nächstes auf den Markt bringt. Haben berichtet, als Google Wave oder Fast Pages vorgestellt hatte, in Blogs, in unseren Sendungen, bei Vorträgen oder Podiumsgesprächen.
Unsere mehrfachen Anfragen für einen Besuch der Zentrale in Mountain View wurden erst gar nicht beantwortet. Auch über das US State Department, das freundlicherweise vermittelte, sind wir nicht weiter gekommen.
Als Google-Chefin Marissa Mayer (Präsidentin für Suchmaschinen bei Google) auf dem Web-2.0-Summit dann von der Bühne kam, haben wir das getan, was jeder Journalist tun würde: sie angesprochen und um ein Interview gebeten. Ms. Mayer, von Glamour gerade zur Woman of the Year gewählt, kam dieser Bitte auch freundlicherweise nach. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Frau Mayer mag es offenbar nicht, wenn man ihr kritische Fragen stellt.
Später, in der Hotel-Lobby, steuert der oberste Pressechef von Google plötzlich auf uns zu. In einem zunächst noch ruhigen Tonfall gibt er uns zu verstehen, dass „ein solches Interview“ hinsichtlich unseres Wunsches, bei Google drehen zu wollen, nicht gerade supportive sei. Er wisse, worauf wir aus seien: conflict. Das wiederholt er einmal, zweimal. Die Diskussion in der Lobby des Westin Hotels wird, wie soll ich es beschreiben, emotional und gipfelt in den Worten des Google-Sprechers –
Zitat:
„Google is the fucking most innovative company in the world !“ Ich wollte noch erwidern: „…nein, eigentlich ist das Apple“ – biss mir dann aber auf die Lippen.
Face to Face: das Headquarter von Facebook
Zum Glück gibt es da noch Facebook: offen, freundlich, zugänglich. Kein Pressemensch, der unsere Fragen auf die Gold-Waage legte, gar einen Besuch davon abhängig macht.
Palo Alto, 11 Uhr Vormittags. Die Mitarbeiter von Facebook wirken entspannt. Hier und da tragen sie Kopfhörer. Ob sie Musik hören oder ob das zur Arbeit gehört, weiß ich nicht. Was auffällt: kaum einer hier ist über 30. Die meisten Angestellten kommen direkt vom College, haben nur wenige Berufsjahre hinter sich. Mandy beispielsweise stammt aus der Nähe von Dresden. Sie hat in Kalifornien studiert und ist gleich hier geblieben.
Wie die meisten anderen ihrer Kollegen schätzt sie an Facebook die Cafeteria. Das Essen sei spitze, die Köche denken sich immer was Neues aus. Erst kürzlich sei Oktoberfest-Day gewesen. Da gab es Saussage und Brezen. Überhaupt, die Verpflegung: Im Zentrum des Großraumbüros befindet sich die Snack-Bar. Hier kann man sich rund um die Uhr mit Obst, Schokoriegeln, Joghurt, Cookies, Cola, Saft, Tee und Kaffee versorgen – das alles natürlich gratis.
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Jeden Freitag kommt die Firmenleitung, meistens in Gestalt von Mark Zuckerberg persönlich, und informiert die Mitarbeiter über Neuigkeiten. Anschließend kann jeder bei der offenen Q&A-Runde Fragen an den Firmengründer stellen. Auf dem Basketball-Court, direkt hinter der Cafeteria finden regelmäßig Turniere statt. Die Buchhaltung gegen die Grafiker, die Programmierer gegen die Personalabteilung. Danach wird gemeinsam gefeiert.
Natürlich wissen wir, dass Facebook zur Zeit sehr gut dasteht und dass hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Und dennoch: ich habe schon unzufriedenere Gesichter in Unternehmen gesehen.
The Next Big Thing – mächtiger noch als Google
Was ich mit nach Hause nehme? Eine Multi-Millionen-Dollar-Idee für das nächste Google, Facebook oder Twitter?
Falsch. Was ich auf dieser Reise gelernt habe, ist viel größer, viel gewaltiger und mächtiger, als Google jemals werden kann: ich habe gelernt, dass Glück und Erfolg nicht an einen Ort gebunden sein müssen. Sicherlich, eine kreative und für Veränderungen aufgeschlossene Umgebung (und die Ansammlung von solventen Geldgebern) wie im Silicon Valley hilft. Aber der eigentliche Schlüssel zum Erfolg liegt woanders: er liegt in den Menschen selbst.
Wir alle kennen das Gefühl, das auch Michael Reuter am Ende unserer Reportage beschreibt. Dieses euphorische Gefühl, wenn wir uns endlich mal wieder aufgerafft haben, zum Laufen oder ins Fitnesscenter zu gehen. Hinterher ist man erschöpft, ausgepowert, und doch irgendwie stolz und voller Tatendrang.
Wenn man dieses Gefühl nicht von Zeit zu Zeit erneuert und immer wieder aufs Neue durchlebt, neigt man dazu, faul, träge, lethargisch zu werden. Neid und Missgunst sind die Folge, Eigenschaften, die gerade bei uns in Deutschland doch recht ausgeprägt sind. Neid auf den Nachbarn, den Bekannten oder auf den Arbeitskollegen.
Von den Amerikanern lernen heißt für mich: offen und tolerant zu bleiben. Dazu muss man gar nicht mal fucking most innovative sein. Sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, wie der Schuhputzer, der sein kleines Ein-Mann-Unternehmen betreibt (und dabei wohlmöglich sogar glücklicher ist, als viele seiner Kunden). Dinge auszuprobieren, statt ständig nach Gründen zu suchen, warum etwas nicht geht. Bereit zu sein, aus Fehlern zu lernen und zu versuchen, jeden Tag ein bisschen besser zu machen.
Das allein mag noch kein Garant sein für Glück. Aber sicherlich ein Weg dahin. The pursuit of happiness – oder übersetzt ins 2.0-Zeitalter:
Life is a Beta.
[…] Beitrag über das Silicon Valley könnte interessant werden, wenn ich gutjahr’s blog so lese. Daher ausnahmsweise ein TV-Tipp: Vor Ort – Die Reportage: Goldrausch 2.0 – Heute, […]
Gerade gesehen… Ein angenehmer Film, sehr persönlich, schön fotografiert. Leise und doch sehr lebendig – hat mir gut gefallen. Danke für den Tipp!
Olli