Es ist halb ein Uhr nachts. Ihr letzter Anruf ist wenige Minuten her. Immer wieder habe ich mich zusammen gerissen, mir überlegt, wie reagiert man besonnen in so einer Situation. Jetzt habe ich genug. Ich will mich nicht länger verstecken. Ich werde gestalkt. Seit zehn Jahren.
Ihr Name ist Manuela. Sie muss um die 30 Jahre alt sein. Sie stammt aus der Nähe von Magdeburg. Dank Polizei kenne ich inzwischen auch ihre Adresse. Als ob das was helfen würde.
Es begann vor zehn Jahren. Ich hatte mehrere Jahre im Radio moderiert, war daher gelegentliche Fan-Anrufe bei mir zuhause gewöhnt (damals stand ich noch im Telefonbuch).
Die Anrufe von Manuela waren anders. Selten rief sie tagsüber an. Sie meldet sich meist spät am Abend oder mitten in der Nacht. Anfangs wechselte ich noch ein paar Worte mit ihr. Später dann ging ich dazu über, ihr zu sagen, dass ich mich durch ihre Anrufe belästigt fühlte. Manchmal ließ sie mich dann ein paar Wochen in Ruhe. Meistens jedoch nicht.
Sie gratuliert mir zum Geburtstag. Sie kommentiert mein Outfit bei meinen Fernsehsendungen. Sie findet immer wieder einen Grund, sich zu melden, zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit. Als ich den Anschluss wechselte, war sie eine der ersten, die meine neue Nummer hatte. Das war 2003.
Seitdem habe ich alles getan, was man in so einer Situation tun kann: Ich habe geschwiegen. In den Hörer geschrien. Bin nicht ans Telefon gegangen. Habe aufgelegt. Immer und immer wieder. Ich war bei der Polizei. Habe ihre E-Mails gesammelt und Excel-Tabellen angefertigt mit Datum und Uhrzeit der unerwünschten Anrufe. Zwecklos. Es ist ein Irrglaube zu meinen, in so einer Situation komme man mit Logik weiter.
Es gebe doch Rufnummererkennung, belehrt mich der Polizist auf der Polizeiwache. „Warum gehen Sie überhaupt noch ran?“ Er weiß nicht, dass Manuela schon seit Jahren dazu übergegangen ist, mich von diversen Nummern aus anzurufen. Mal wird die Nummer angezeigt, mal nicht. Ratschlag des Beamten: „Dann machen Sie Ihr Telefon halt aus“.
Ein paar Mal wurde ich auch im Auftrag angerufen. Einmal meldete sich eine Visagistin. Sie sagte, ihre Kundin hätte sie gebeten, mich anzurufen. Sie beschrieb mir Manuela als eine junge, attraktive Frau, die mit mir reden wolle. Ein anderes Mal meldete sich eine Männerstimme. Ein Passant auf der Straße, der Manuela wohl einen Gefallen tun wollte.
Was mich stutzig macht: meine eigene Reaktion. Als Journalist für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen, erlebe ich mich in dieser Lage völlig anders: passiv. Ich greife nicht zum Hörer, recherchiere auch nicht über die Hintergründe von Stalking. Ich ziehe mich zurück, will einfach nur meine Ruhe haben. Irgendwie ist mir die ganze Sache auch peinlich. Mit so einer lächerlichen Situation werde ich doch allein fertig, oder?
In meinem Bekanntenkreis habe ich das Thema lange verschwiegen. Wird schon eines Tages von selbst aufhören, dachte ich. Falsch gedacht. Schließlich beginne ich, einigen Freunden davon zu erzählen. Anfangs machen die noch Witze: „Na, was macht Dein irrer Fan?“. Heute verstehen sie, dass so eine Sache auf Dauer echt belasten kann.
Anfang des Jahres, nach einer ganzen Serie von Anrufen innerhalb einer einzigen Nacht (23:27 Uhr, 23:28 Uhr, 0:12 Uhr, 2:21 Uhr, 4:31 Uhr), habe ich genug. Ich erstatte Anzeige. Warum jetzt erst? Ich war schon zweimal bei der Polizei. Beide Male machten mir die Beamten klar, dass das nichts bringe, dass die Sache ohnehin nicht weiter verfolgt werde, Stalking-Gesetz hin oder her.
Diesmal bestehe ich auf eine Anzeige. Ich will raus aus dieser lähmenden Passivität, will endlich etwas unternehmen, endlich etwas schriftlich in Händen halten. Nicht, dass es später einmal heisst: warum sind Sie damit denn nie zur Polizei gegangen?
Ich spiele dem Beamten einige Sprachnachrichten vor, die Manuela auf meiner Mailbox hinterlassen hat. Dazu präsentiere ich eine Reihe ihrer E-Mails, die sie mir über meine Web-Seite geschickt hat. Jede einzelne davon umfasst rund 1000 Worte (etwa zwei eng beschriebene Schreibmaschinenseiten). In ihren letzten Schreiben ist immer häufiger die Rede davon, dass sie mich besuchen will. Einmal sei sie sogar schon mit dem Zug nach München gefahren, nur um mich zu sehen.
Post. Die Staatsanwaltschaft München teilt mir mit, man habe das Ermittlungsverfahren eingestellt. Begründung: die Nachstellung müsse zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führen. Im Original liest sich das so: „Dies ist nicht schon dann gegeben, wenn Belästigungen und Beeinträchtigungen von der betroffenen Person subjektiv nachteilig empfunden werden“.
Nachfrage bei der zuständigen Staatsanwältin. Ich möchte wissen, wann denn der Tatbestand von „Stalking“ erfüllt sei. Wenn eine Krankheit vorliege, so die Juristin. „Aber diese Person ist doch offensichtlich krank“. Nicht der Anrufer müsse krank sein, erklärt die Staatsanwältin, „sondern Sie“.
Nach den Anrufen vergangene Nacht habe ich dann doch noch ein paar Stunden schlafen können. Heute Morgen dann, kurz nach Sieben, weckt mich das Telefon. Raten Sie mal wer dran war.
Stalking in Deutschland
Es gibt weitaus schlimmere Fälle von Stalking in Deutschland als meinen. Manche Verfolgung endet tatsächlich erst mit dem Tod. Untersuchungen zufolge soll jeder zehnte Deutsche schon mal von Stalking betroffen gewesen sein. Zwei Drittel der um Hilfe suchenden Opfer geben an, von Polizei und Behörden nicht ernst genommen zu werden. Oft wird sogar den Opfern Schuld an der Situation gegeben. Daran scheint auch das im Jahr 2007 eingeführte Stalking-Gesetz (§238 StGB, der „Anti-Stalking-Paragraph“) nicht viel geändert zu haben. Mehr Informationen zu Stalking in Deutschland gibt es u.a. bei der Technischen Universität Darmstadt.
Hi,
ich hoffe, es klingt nicht zu neunmalklug, aber warum nicht einfach eine andere Person eine Internetrufnummer beantragen und die über den eigenen Router als Privatnummer laufen lassen. Wüsste nicht, wie man das rauskriegen sollte ausser über Leute, die die Nummer kennen.
Ansonsten wünsche ich Dir Nervenstärke, so blöd das auch wieder klingt,
Carsten
Hi Carsten, ist keineswegs neunmalklug, vielen Dank für den Tipp. Das Problem: als Journalist, der ja viel mit Menschen reden muss (und auch möchte), kommt eine Geheimnummer nicht in Frage. Ausserdem will ich mich nicht verstecken. Ich habe ja nichts verbrochen.