Schluss mit lustig: Rupert Murdoch will Geld für seine Webangebote. Der DJV will Google verklagen. Die Debatte um Bezahlmodelle im Internet ist neu entbrannt und nimmt bisweilen hysterische Züge an.
Die neue ARD/ZDF-Online-Studie ist da. Die Internet-Nutzung steigt nur leicht von 66,8 auf 67,1 Prozent. „Habitualisierung“ lautet das Fazit von Birgit van Eimeren, Videonutzung, Podcasts und die Informationssuche im Netz sind in Fleisch und Blut übergegangen. Wer die allererste ARD-Online-Studie aus dem Jahr 1997 dagegen hält, der stellt fest: die Entwicklung ging sehr viel schneller als erwartet. Vor 12 Jahren waren gerade mal 6,5 Prozent der Bevölkerung (vor allem Männer um die 30) im Netz. Heute ist das Netz Alltag quer durch alle Bevölkerungsschichten, die Offliner sind in der Minderheit.
Zitat des Tages (New York Times) zum Thema ‚paid content‘:
„Now let’s see. Delete bookmark. Navigate to different news site. Create new bookmark. Rupert who?“
Im Jahr 2020 wird es „Online“-Studien nicht mehr geben. Medien werden nicht mehr unterschieden in On- oder Offline, neu oder alt. Vorurteile, wonach Print der „wahre“, „höherwertige“ Journalismus sei, gehören dann hoffentlich der Vergangenheit an. Ein journalistisches Produkt kann qualitativ gut oder schlecht sein, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen investigativen Zeitungsbericht, einen Podcast oder eine Bildergalerie handelt. Und: unabhängig davon, ob der Inhalt von einem Profi-Journalisten oder einem Freizeit-Blogger erstellt worden ist – denn ja, liebe Edelfedern, das ist dem Web nämlich ziemlich egal.
Ob die Menschen bereit sind, für guten Content zu zahlen? Warum denn nicht! Sie tun es doch jeden Tag: am Bahnhofskiosk, an der Kinokasse – sogar im Internet: bei iTunes, im AppStore, bei Amazon. Sogar. Chris Anderson („Free“) glaubt an die Co-Existenz von Gratis- und Pay-Modellen. Ich wage die These: Überall dort, wo der Zugang einfach ist und sofern die Gegenleistung stimmt (!), zahlen die Menschen sogar gerne. Warum: Weil das Erworbene dadurch sogar noch an Wert gewinnt. Man erwirbt ja nicht nur ein Produkt – man erwirbt auch Ansprüche gegenüber dem Hersteller.
Wenn ich einen Tipp abgeben müsste, wohin die Reise geht, so setze ich auf einen noch intensiveren Informations-Austausch der Menschen untereinander.. Twitter explodiert förmlich, auch. Facebook hat den Mainstream erreicht. Selbst wenn der Hype mal zu Ende geht: Es gibt kein zurück mehr – die Massenmedien entwickeln sich zu Medien der Massen (Gunnar Bender). Die. ARD/ZDF-Web 2.0-Analyse lässt hier viele Fragen offen. Blogs und Mikroblog-Dienste wie Twitter können. Kinofilme schon am Eröffnungswochenende killen,. Fastfood-Ketten in die Knie zwingen,. Markenimages zerstören, bevor die betroffene Firma überhaupt Wind davon kriegt. Manche Konzerne und PR-Firmen haben verstanden, beschäftigen Social Media Experten, die den direkten Kontakt zum Endverbraucher halten. In vielen Fällen ist es ihnen dadurch bereits gelungen, größeren Schaden von ihrer Firma abzuwehren, allein. durch Zuhören und rechtzeitiges Handeln.
Ich habe schon viele Umbrüche hinter mir: Als Hospitant bei der Süddeutschen Zeitung habe ich. Artikel noch mit Wachs gummiert und per Hand auf Zeitungsfahnen geklebt. Beim Radio lernte ich noch das. Senkel-Schneiden: Tonbänder wurden tatsächlich mit Messern physisch auseinander geschnitten, um mit Tesafilm wieder zusammengebappt zu werden. Das selbe Spiel jetzt also beim Fernsehen: Redakteure, die Kaffee-schlürfend neben den Cuttern sitzen und ihnen bei der Arbeit zusehen, gehören genauso zur aussterbenden Spezies wie Betacam und Drehkassetten.
Doch beim Web 2.0 geht es um mehr als nur um neue Produktionstechnik. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Facebook, Twitter und YouTube stellen die klassischen Kommunikationsmodelle auf den Kopf. Noch immer meinen viele Verleger und Senderchefs: lieblose Texte und Videos ins Netz stellen und ringsherum Werbung platzieren, damit sei es getan. Ein Irrtum, den das Netz gnadenlos bestraft. Denn was Verleger nicht begreifen: manchmal liegt es nicht am bösen Internet oder an den bösen Lesern, die alles gratis haben wollen, sondern schlicht und ergreifend daran: die Geschichten sind Käse! Uninspirierte, abgekupferte 0815-Texte, schlampig recherchiert und schon 100 mal gelesen;. dafür ist heute niemand mehr bereit zu zahlen – egal ob gedruckt oder online. DAS ist der wahre Grund, warum die Zeitungen Probleme haben!
Wenn wir Medienmacher nicht lernen zuzuhören, unsere journalistischen Produkte nicht an die neue Zeit und die Bedürfnisse der Nutzer anpassen,. unser Publikum weiterhin ignorieren und dessen Feedback nicht in unsere Recherche integrieren, manövrieren wir uns zielsicher ins Abseits. Dann wird uns tatsächlich nichts anderes übrig bleiben, als unsere Bilder, Texte, Videos. gratis anzubieten. Denn Mittelmaß findet der Nutzer auch ohne uns. Mit dem Internet an seiner Seite hat er einen starken Verbündeten, mächtiger als Murdoch & Co.
Die klassischen Medien müssen raus aus ihren Redaktionsbunkern und Anstalts-Ghettos. Sie müssen dahin gehen, wo die Menschen sind: in die Fußgängerzone, in die Netzwerke, ins Leben!. Auch Journalistenverbände wie der DJV wären gut beraten, ihre Lobby-Strukturen zu überdenken, anstatt nach dem Gesetzgeber zu rufen und auf Google einzudreschen. Das Schlimme: eigentlich meinen die Funktionäre ja gar nicht Google sondern das Internet per se. Genauso gut könnte man versuchen, schlechtes Wetter oder Verkehrsstaus zu verbieten. Guten Flug.
Was aber ist zu tun? Man muss gar nicht wie. Vodafone eine Menge Geld auf den Tisch legen, um sich bei der Zielgruppe anzubiedern und Web-Credibility zu kaufen. Für den Anfang würde es schon genügen, Talkback-Kanäle zuzulassen, die eigenen Texte, Bilder und Filme mit den Nutzern zu diskutieren. Zweitens: sich in die „Niederungen“ des Netzes herabzubegeben und zu bloggen und zu twittern. Und Drittens: originäre und kreative Inhalte schaffen, die es so auf dem Online- und Zeitungsmarkt noch nicht gibt.
Wie Markus Albers so trefflich in der ZEIT schreibt: was Verleger brauchen, ist das iPhone für den Zeitungsmarkt. Keine Frage: es wird kommen.
Es wäre klug, wenn wir Medienmenschen bis dahin unsere Hausaufgaben gemacht hätten.
Herrjeh, warum sollen denn immer alle bloggen und twittern? Was sollen mir denn Blogs und Tweets von 60.000 Journalisten im Land bringen? Ein paar werden es machen, einige davon werden es gut und interessant machen – und andere können vielleicht anderes besser. Vielleicht schreibt ja jemand eine Superreportage mit 20.000 Zeichen, kann sich aber in 140 Zeichen nicht gut ausdrücken.
Dass Journalisten lernen müssen, mit dem Internet umzugehen, steht außer Frage. Aber mich nervt inzwischen die heilgeschichtliche Erwartung, die manche an Twitter und Blogs pflegen. Das hat schon fast sektenhafte Züge nach dem Motto: „Ich bin erleuchtet, die anderen verharren noch in der Unwissenheit.“
Dabei geht es nur um eines: um guten Journalismus – das Medium dafür ist doch weitgehend egal.
Außerdem: Warum soll man eigentlich nicht gegen Google sein dürfen? Google ist eben NICHT das Wetter! Google ist ein riesiger, profitorientierter Konzern. Das ist auch ok. Wachstum und Profitorientierung sind schließlich die Rolle von Firmen in einer Marktwirtschaft. Aber es ist gefährlich und defätistisch, globale Konzerne wie unvermeidliche Naturphänomene zu behandeln – und dabei noch auf ihr altruistische Gehabe hereinzufallen.
Und selbst wenn Google wie das Wetter wäre? Kommentieren Sie die weltweiten Bemühungen um eine CO2-Reduktion ähnlich hämisch? Schließlich geht es dabei darum, Einfluss auf das Wetter zu nehmen.
@ Klardeutsch:
Natürlich kann man „gegen Google“ sein. Dafür gibt es viele Gründe, mehr und weniger gute. Aber Google für das eigene Versagen verantwortlich zu machen, ist schlichtweg lächerlich. Und sehr bedenklich! Weil es den Eindruck der Orientierungslosigkeit noch verstärkt.
Blogs und Tweets sind mit Sicherheit nicht die Heilsbringer, aber de facto nun mal wichtige Kanäle, über die heute viel kommuniziert wird. Man muss sich also aktiv(!) damit auseinandersetzen und sehen, ob und inwieweit sie sich sinnvoll in eigene Konzepte integrieren lassen. Akademische Diskussionen bringen den Journalismus kein Stück weiter. Hier hilft nur noch Ausprobieren, Erfahrungen sammeln – kurzum: Machen. Ja, auch Fehler! Aus solchen kann man immerhin lernen …