Eine Welt ohne Privacy – na und? Wir leben doch schon mitten drin. Eine Bestandsaufnahme.

Psst! Sind Sie allein? Gut. Lassen Sie uns reden. Nur Sie und ich. Ganz schön aufregend, so ein Privatgespräch, finden Sie nicht? Ich meine heute, wo alles so öffentlich ist, so vernetzt. Ich sitze gerade im Flieger von Berlin nach München. Musste ich vor dem Start natürlich noch schnell twittern. Nicht auszudenken, wenn ich das vergessen hätte! Wer nicht spätestens im Flughafenbus sein Handy zieht, um seine Mitmenschen wissen zu lassen, dass man sicher gelandet ist, ist sowieso verdächtig, V-Mann – oder schlimmer noch: C-Klasse-Promi.

Apropos Promis. Beim Hinflug heute früh am Gate sind mir Günter Netzer und Peter Scholl-Latour begegnet. War mir aber wurscht, weil ich gerade damit beschäftigt war, mich selbst zu googeln. Die einen brauchen morgens eine halbe Stunde im Bad. Ich benötige die Zeit zum Ego-Googeln. Netzhygiene ist wichtig. Oder wie mein Online-Reputation-Coach immer sagt: „Du bist, was bei Google über Dich gelistet ist“. Deshalb lasse ich auch zweimal im Jahr hartnäckige Netz-Ablagerungen von einem Spezialisten entfernen. Nicht ganz billig, aber was will man machen: In der digitalen Welt hat jeder User 15 Gigabyte Ruhm.

„Privacy is over“, hat dieser Facebook-Lümmel, Mark Zuckerberg, einmal gesagt. Wer daran zweifelt, sollte öfter Bahn fahren. Da diskutieren mobil-telefonierende Sitznachbarn ungeniert ihre Beziehungsprobleme genauso wie über exotische Geschlechtskrankheiten. Und das oft in einer Lautstärke, dass man gar nicht anders kann, als mit zu lauschen. Manchmal habe ich den Verdacht, diese Leute wollen nirgendwo hin, sondern einfach nur den anderen Fahrgästen auf den Keks gehen. Der Zug als öffentliche Telefon(Terror-)Zelle. Notiz an mich selbst: Idee für neue Casting-Show. 10 Kandidaten performen live Privattelefonate auf der Bühne. Die intimsten Enthüllungen gehen in den Recall. Jury: Boris Becker, Giulia Siegel und Lothar Matthäus.

Rrrring!. Verzeihen Sie, lieber Leser, ist wichtig…

Hallo Chef? Die Kalkulation? … Ja, ist fertig. Wie meinen? Ich weiß, ja, . ich mach’s gleich aus! – Sorry, Chef, die Stewardess. Wegen der internen Revision? Keine Sorge, das deixeln wir wie letztes Jahr. Augenblick bitte…. – JA-HA! DANN HOLEN SIE HALT DEN KAPITÄN! …olle Saftschubse! Nein, Boss, nicht Sie… Bitte? Aber Chef, Sie kennen mich doch! Das machen wir wie immer – ganz diskret.

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9 Kommentare
  1. Detlef Hauke schreibt:

    Klasse Text – wie aus dem richtigen Leben. Gut das wir alle in einer Matrix leben und dieses Verhalten somit als Softwarefehler betrachten können ;-)

    In diesem Sinne:“Have a nice weekend.“

    Hätte ich fast vergessen – ich sitze nicht im Flieger. Nur f.d. Fall, das jemand nicht auf meine foursquare Check-ins achtet :-D
    Mist, ich glaube, ich brauche einen Software-Update – immer dieser Zwang sich mitzuteilen.

  2. […] G! – gutjahr’s blog: “Eine Welt ohne Privacy – na und? Wir leben doch schon mitten drin. Eine Bestandsaufnahme.&#… […]

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