Tunesien, Ägypten – demnächst sogar Bayern? Der arabische Frühling kennt keine Grenzen und ist aktuell in Israel angekommen. Dort ist man stolz darauf, jüngst seine eigene Facebook Revolution angezettelt zu haben. Alles Käse?

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Am Anfang war der Hüttenkäse. Nachdem die Molkereien des Landes den Preis für den in Israel so überaus beliebten Käse von einem Tag auf den anderen drastisch erhöht hatten, formierte sich im Internet ein Shitstorm, der sich gewaschen hatte. Schnell griffen die Proteste über auf andere Themen, so zum Beispiel die Wucher-Mieten in der Küstenmetropole Tel Aviv. Seit Wochen belagern Tausende junge Menschen den Rothschild-Boulevard. Die beliebte Flaniermeile im Herzen der Stadt – eine einzige Zeltstadt.

Die Demonstranten fordern bezahlbare Mieten sowie bessere Lebens-bedingungen und sie wissen dabei die breite Bevölkerung hinter sich. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten 90 Prozent der Israelis den Protest, darunter Ärzte, Lehrer, Studenten. Ein „Aufstand der Anständigen“, einer sonst eher unauffälligen Mittelschicht, das hatte die Regierung von Benjamin Netanjahu in Jerusalem genauso wenig auf dem Radar, wie die Potentaten in Kairo oder in Tunis. Inzwischen haben sich die Proteste auf 10 Städte ausgeweitet. 100.000 Menschen sind auf der Straße – und es werden immer mehr.

Auch in München macht man sich Sorgen. Was, wenn die dritte Startbahn am Münchner Flughafen zu einem bayerischen „Stuttgart 21“ wird. Vergangene Woche musste CSU-Generalsekretär Dobrindt Gesprächsbereitschaft signalisieren, indem er sich vor die Parteizentrale stellte, um sich von den Demonstranten. mit Obst, Tomaten und Eiern bewerfen zu lassen.

Noch immer rätseln Politikwissenschaftler, wie sich der Streit um einen Bahnhof im sonst so betulichen Baden-Württemberg zu einem derartigen Flächenbrand ausweiten konnte. Die Vermutung liegt nahe: Neue Kommunikationswege wie Twitter, Facebook und Blogs sind an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt. Spätestens als Deutschlands Vorzeigepolitiker durch die Schwarm-Intelligenz des Webs zu Fall gebracht und – wie jetzt bekannt wurde – ins politische Exil in die USA gejagt wurde, brach in den Parteizentralen die blanke Panik aus: Heute Karl-Theodor, und wer bitteschön ist morgen an der Reihe?

Wie wird man Herr über jene „Wutbürger“, die sich in kürzester Zeit unkontrolliert im Web formieren und die über die klassischen Kanäle nicht mehr erreichbar sind – schon gar nicht mit Argumenten? Das wird eine der ganz großen Herausforderungen für die Politik der Zukunft sein. In Anbetracht der wenig- bis nicht vorhandenen Web-Kompetenz in den Führungszirkeln wünsche ich schon mal guten Flug.

Übrigens: Auch in Israel haben die Revolutionäre am Ende triumphiert: die Preiserhöhung für den Hüttenkäse musste zurückgenommen werden. LeChaim!


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12 Kommentare
  1. Cyberdroid schreibt:

    Nur am Rande:

    „Wie wird man Herr über jene „Wutbürger“, die sich in kürzester Zeit unkontrolliert im Web formieren und die über die klassischen Kanäle nicht mehr erreichbar sind – schon gar nicht mit Argumenten?“

    Dies setzt doch voraus, dass es Argumente gibt, die verbreitet werden können. Ich für meinen Teil kann mich nicht erinnern, wann ein Politiker zuletzt mit nachvollziehbaren Argumenten vernünftig argumentiert hat.

    • Richard Gutjahr schreibt:

      @Cyberdroid Ich bin nicht der Meinung, dass Politiker keine Ahnung haben und nicht argumentieren könnten. Allerdings sind viele Entscheidungen Macht bzw. Lobby-getrieben und haben nicht immer nur das Wohl der Menschheit vor Augen. Insofern lautet das Zauberwort der Zukunft: Transparenz.

  2. aufruhrbedarf schreibt:

    Und genau aus dem Grund „brauchen“ wir die „Kinderpornosperren“ für das Internet. Wo wir hinkommen, wenn sich hier alle Menschen eines Landes absprechen, sehen wir ja schon in den ersten Zügen. Stelle sich einer vor es käme sowas wie Mitbestimmung raus – am Ende noch eine Volksherrschaft !? Welch grausige Vorstellung für die Lobbyisten.

Willkommen!